Kurz: Diese Konzeption des ideologischen Kampfes ist die eines ›Stellungskrieges‹. Sie bedeutet auch, die verschiedenen ›Demokratie‹-Konzepte innerhalb einer ganzen Kette assoziierter Ideen zu artikulieren. Und das heißt, diesen Prozess der ideologischen De-Konstruktion und Re-Konstruktion mit einer Reihe organisierter politischer Positionen und mit einer bestimmten Anordnung sozialer Kräfte zu artikulieren. Ideologien werden nicht deshalb als eine materielle Kraft wirksam, weil sie den Bedürfnissen voll ausgebildeter gesellschaftlicher Klassen entspringen. Aber auch das Gegenteil ist wahr – obgleich es das Verhältnis zwischen Ideen und gesellschaftlichen Kräften umgekehrt anordnet: Keine ideologische Konzeption kann jemals materiell wirksam werden, sofern und solange sie nicht artikuliert werden kann mit dem Feld der politischen und gesellschaftlichen Kräfte und den Kämpfen zwischen den verschiedenen Kräften.
Es ist sicherlich nicht notwendigerweise eine Form des Vulgärmaterialismus, wenn wir sagen, dass Ideen – auch wenn wir sie nicht in bestimmten festen Kombinationen der Klassenlage zuschreiben können – tatsächlich aus den materiellen Bedingungen entstehen, in denen die gesellschaftlichen Gruppen und Klassen existieren, und diese widerspiegeln können . In diesem Sinne – das heißt historisch – kann es wohl bestimmte tendenzielle Ausrichtungen geben, zum Beispiel zwischen denen, die zu den Prozessen der modernen kapitalistischen Entwicklung in einem ›Krämerladen‹-Verhältnis stehen, und ihrer Neigung, sich vorzustellen, dass die ganze fortgeschrittene kapitalistische Ökonomie nach Art eines ›Krämerladens‹ begriffen werden kann (vgl. Hall 1982, 118). Ich glaube, dies meinte Marx im Achtzehnten Brumaire , als er sagte, es sei nicht unbedingt notwendig, dass die Leute ihr Geld tatsächlich als Mitglieder des Kleinbürgertums verdienen, damit sie kleinbürgerliche Ideen anziehend finden. Nichtsdestoweniger legte er nahe, dass es eine Verwandtschaft oder gleiche Tendenz gibt zwischen der objektiven gesellschaftlichen Lage dieser Klassenfraktionen und den Schranken und Horizonten des Denkens, zu dem sie spontan hingezogen werden (vgl. MEW 8, 142). Das war ein Urteil über die charakteristischen Denkformen, die idealtypisch bestimmten Positionen in der Gesellschaftsstruktur entsprechen, aber bestimmt keine einfache Gleichsetzung zwischen Klassenpositionen und Ideen in der tatsächlichen historischen Realität. Das Entscheidende bei den historischen Tendenzbeziehungen ist, dass nichts unvermeidlich, notwendig oder für immer festgelegt ist. Die tendenziellen Linien der Kräfte definieren lediglich die Gegebenheit des historischen Terrains.
Sie zeigen an, wie das Terrain historisch strukturiert worden ist. Es ist also durchaus möglich, dem Begriff der ›Nation‹ eine fortschrittliche Bedeutung und Konnotation zu geben, die »Schaffung einen popularnationalen Kollektivwillens« [anzustreben], wie Gramsci ausführte (Gramsci, 1991ff, Bd.7, 1539). In einer Gesellschaft wie Großbritannien aber ist der Begriff der Nation bis heute konsistent artikuliert mit der Rechten. Vorstellungen von ›nationaler Identität‹ und ›nationaler Größe‹ sind eng verbunden mit imperialer Vorherrschaft, gefärbt mit rassistischen Konnotationen und untermauert durch eine vierhundertjährige Kolonisationsgeschichte, Weltmarktbeherrschung und weltweite Schicksalsmacht über eingeborene Völker. Es ist deshalb äußerst schwierig, der Vorstellung von ›Britannien‹ eine gesellschaftlich radikale oder demokratische Referenz zu geben. Diese Assoziationen sind nicht für alle Zeit gegeben. Aber sie sind schwer aufzubrechen, da das ideologische Terrain dieser besonderen Gesellschaftsformation so machtvoll durch ihre Vorgeschichte in dieser Weise strukturiert wurde. Diese historischen Zusammenhänge definieren die Art und Weise, wie das ideologische Terrain einer einzelnen Gesellschaft eingeteilt wurde. Das sind die von Gramsci erwähnten ›Spuren‹: die »verfestigte[n] Schichtungen in der Popularphilosophie« (Gramsci, 1991 ff, Bd. 6, Heft 11, 1376)), die keinen Bestand mehr haben, aber die Felder abstecken und definieren, auf denen der ideologische Kampf sich tendenziell abspielt.
Für Gramsci war das vor allem das Terrain dessen, was er den »Alltagsverstand« nannte: eine historische, keine natürliche oder universelle oder spontane Form popularen Denkens, notwendigerweise fragmentarisch, zerstückelt und episodisch. Der Alltagsverstand ist aus sehr widersprüchlichen ideologischen Formen zusammengesetzt: man findet in ihm »Elemente des Höhlenmenschen und Prinzipien der modernsten und fortgeschrittensten Wissenschaft, Vorurteile aller vergangenen, lokal bornierten geschichtlichen Phasen und Intuitionen einer künftigen Philosophie, wie sie einem weltweit vereinigten Menschengeschlecht zueigen sein wird« (ebenda). Und Gramsci betonte nun, dass genau auf diesem Terrain der ideologische Kampf am häufigsten stattfindet, weil dieses Netzwerk von präexistierenden Spuren und Elementen des gesunden Menschenverstandes für die Masse des Volkes den Bereich des praktischen Denkens konstituiert. Der »Alltagsverstand« wurde zu einem der Einsätze, um die der ideologische Kampf geführt wird. Und letztlich wird »die Beziehung zwischen ›höherer‹ Philosophie und Alltagsverstand wird von der ›Politik‹ gewährleistet« (Gramsci 1991, Bd. 6, Heft 11, 1382).
Ideen werden letzten Endes nur dann wirksam, wenn sie sich mit einer bestimmten Konstellation gesellschaftlicher Kräfte verbinden. In diesem Sinne ist der ideologische Kampf ein Teil des allgemeinen gesellschaftlichen Kampfes um Herrschaft und Führung – kurz, um Hegemonie. Für die »Hegemonie« in Gramscis Sinne aber ist wesentlich nicht das bloße Hinaufarbeiten einer ganzen Klasse zur Macht, mit ihrer voll ausgebildeten ›Philosophie‹, sondern der Prozess , durch den ein historischer Block gesellschaftlicher Kräfte konstruiert und die Überlegenheit dieses Blocks gesichert wird. Wir begreifen also das Verhältnis zwischen ›herrschenden Ideen‹ und ›herrschenden Klassen‹ am besten, wenn wir es im Sinne von Prozessen ›hegemonialer Herrschaft‹ denken.
Gibt man andererseits die Frage oder das Problem der ›Herrschaft‹ – der Hegemonie, Beherrschung und Autorität – auf, weil die Art, in der es ursprünglich gestellt wurde, unbefriedigend ist, würde man das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Herrschaft der herrschenden Ideen wird nicht dadurch garantiert, dass sie immer schon mit den herrschenden Klassen gekoppelt sind. Vielmehr ist die wirksame Kopplung herrschender Ideen an den historischen Block, der in einer bestimmten Periode hegemoniale Macht erlangt hat, genau das, was der Prozess des ideologischen Kampfes sicherstellen will. Sie ist das Ziel der Übung – nicht die Aufführung eines schon geschriebenen und abgeschlossenen Drehbuchs.
5. Für eine nicht-ökonomistische Theorie der ökonomischen ›Determination‹
Es dürfte klar sein, dass dieses Argument sehr weitgehende Konsequenzen hat für die Entwicklung der marxistischen Theorie insgesamt, obgleich es hier nur in Verbindung mit dem Ideologieproblem dargelegt wurde. In Frage steht eine bestimmte Konzeption von ›Theorie‹: Theorie als Ausarbeitung einer Reihe von Garantien. Umstritten ist auch eine bestimmte Definition von ›Determination‹. Ausgehend von der Lektüre, die ich oben vorgeschlagen habe, ist klar, dass der ökonomische Aspekt des kapitalistischen Produktionsprozesses wirkliche begrenzende und einschränkende (d.h. determinierende) Wirkungen auf die Kategorien hat, in denen die Produktionskreisläufe ideologisch gedacht werden und umgekehrt. Das Ökonomische liefert das Repertoire an Kategorien, die im Denken verwendet werden. was das ökonomische nicht kann, ist (a) die Inhalte bestimmter Gedanken bestimmter gesellschaftlicher Klassen oder Gruppen zu einer bestimmten Zeit zu liefern, (b) ein für allemal festzulegen oder zu garantieren, von welchen Ideen welche Klasse Gebrauch machen wird. Das Determinierende des ökonomischen für das Ideologische kann deshalb nur darin liegen, dass es die Grenzen setzt für die Definition des Operationsfeldes, indem es das ›Rohmaterial‹ des Denkens festlegt. Die materiellen Umstände sind ein Netz von Zwängen, die ›Existenzbedingungen‹ für praktisches und vorausschauendes Denken über die Gesellschaft.
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