Nach und nach wurde ich gewahr, daß die Frau Muhme gar sehr hitzig, ja boshaft werden konnte. Ich bin dazugekommen, daß sie vor der Stalltüre eine Magd bei den Haaren hatte und so furchtbar abpatschte, daß deren Kopf noch einmal so dick und fuchsrot wurde. Da ertönte die grell klingende Pfeife des Amtmanns, die er stets in der Tasche trug, die Magd kriegte noch eine Zugabe – und die Frau Amtmännin ging mit scharfen männlichen Schritten auf ihre Stube.
Ich ging auch, aber zum Tore hinaus, traf auf den Hofmaier und deutete von dem eben Erlebten etwas an. Er meinte, die Magd sei zwar ein sehr leichtsinniges Mädchen, das die Schläge wohl verdient habe, aber die Frau Amtmann sollte sich doch mehr beherrschen. Es käme sonst kein ordentliches Mädchen mehr ins Haus, sondern lauter freche Deerns, die sich durchbissen und nicht einmal ehrlich wären. Er wollte mir noch mehr solche Dinge erzählen, doch mir war, als schicke es sich nicht für mich, das anzuhören.
Ich ging ins Backhaus, wo ich noch Brot im Ofen hatte. Gleich in den ersten Tagen schon hatte ich den Brotteig gemacht, den Ofen geheizt, eingeschoben und ausgebacken und da das Brot recht schön geraten war, glänzte die Frau Muhme im ganzen Gesicht vor Freude. Bei solcher Gelegenheit kriegte ich einen Kuß und ein paar Patsche auf die Backen von ihr, denn sie behandelte mich wie ihr Kind, obgleich sie mir nicht vorkam wie meine Mutter.
Einstmal hatte ich auf dem Vorwerk Tost zu tun, da sagte ein Knecht: „Dort kimmt de Fru Amtmann!“ – „Ei, wo denn?“ fragte ich. „Dort uf em Pferd.“ Wahrhaftig! Sie kam geritten wie ein Husar. Bein nüber und rüber; denn sie hatte Hosen an und nur ein leichtes Röckchen drüber her. Sie hielt nun Revision in allen Ecken; dann schrieb sie einen Brief, den mir die Wirtschaftsmagd herausbrachte. „Sei söllen glicks te Huse gahn un dit den Herrn bringe, het Fru Amtmännin segt.“ Ich sah mich um, die Muhme winkte mir aus der Bodenluke freundlich zum Fortgehen.
In einer halben Stunde stand ich vor dem Amtmann. Er las und lachte. „So ist sie, alles will sie strikte nach ihrem Kopfe haben. Es täte not, ich käme nun gleich hin und prügelte die Leute – und das geht doch nicht an.“ Er fügte noch hinzu: „Das schöne Erbstück des Jähzorns hat sie von ihrem Vater“ (dem Bruder meines Großvaters Bechstedt), „der ein gar grimmiger Hitzkopf gewesen ist. Im Siebenjährigen Kriege hat er Glück gehabt mit seiner Hitze und ist rasch zum Leutnant avanciert, aber als Obereinnehmer in Halberstadt hat sie ihm manchen Taler gekostet, daher er denn auch nichts hinterlassen; der Sohn hat Grobschmied werden müssen und die Tochter ins Waisenhaus spazieren.“
Das hatte seine Richtigkeit. Im Waisenhaus hat sie so gut Rechnen und Schreiben gelernt, daß sie mit dem fünfzehnten Jahr schon in einen Ladendienst eintreten konnte. Von da ist sie auf ein großes Gut als Wirtschafterin gerufen worden, wo der wohlhabende Herr Verwalter Bär sie kennenlernte und sich in die schöne Luise verliebte. –
Am Dözel fließt die Ohre vorbei, ein Fluß wie unsere Unstrut, geht auf Neuhaldensleben, treibt mehrere Mühlen und zieht sich nach der Elbe. Zwei Stunden weit hatte mein Vetter die Fischerei; diese Strecken fuhren wir mit einem Kahne, den sechs bis acht Tagelöhner zogen, dem Wasser entgegen. Drei- bis viermal wurden Garne quergestellt und bei der Rückfahrt ein Streichgarn nachgezogen vom Kahne bis ans andere Ufer reichend, wo ein Tagelöhner im Wasser gehen mußte. Bei jedem Quergarn wurde Halt gemacht und die Fische herausgeholt. Es gab sehr viel Fische von allerhand Sorten. Bei dem Zufahren mußte immer an den Ufern ins Wasser gestoßen werden mit Stangen, woran hohle Klötzer waren, damit die Fische hervorkamen und mit dem Streichgarn vorwärts nach dem Quergarn zugetrieben wurden. Am Kahn war ein großer Fischkasten festgemacht, der wurde auf die Letzte ganz voll.
Am Abend war Fischschmaus. An die dreißig Leute, Tagelöhner, Knechte und Mägde, der Hofmaier an der Spitze, bekamen vollauf Fische und Weißbier. Am Herrentische aber gab’s ein gut Glas Wein und die Fische waren delikat zubereitet, worin die Frau Muhme Meisterin war.
An demselben Abend noch sah ich vom Fenster herab, daß die Frau Muhme ein gesattelt Pferd herausführte und zu ihrem Manne sagte: „Da, Vaterken, riete, riete! Dau kannst et glefen, et is wieder nix, als dau hetst en betten tofehl fräten.“ Und so war es auch; denn er war ein sehr starker Esser; am anderen Tage schien er wieder ganz munter und gesund.
So schwanden wohl vierzehn Tage hin wie ein schöner Traum. War ich allein, so dachte ich an Langensalza, Mutter und Geschwister und an meine große Reise durch das Harzgebirge und Lenchen strahlte darin wie ein glänzender Diamant. Eines Nachmittags mußte ich der Frau Muhme was vorlesen, indes sie Hosen flickte. Da kam es mir an, ihr zu erklären, ich sei nun lange genug da und wolle weiterreisen. Aber sie verbot mir geradezu das Maul, als ob meine Rede albernes Geschwätz wäre. Übern Hof kam jetzt ein Mann auf uns zu gegangen. „Vetterken, da kömmt auch ein Bäckergeselle. Der führt das Werk einer Witfrau in Neuhaldensleben und war schon oft hier, um mit Weizen zu handeln.“
Sie stellte mich ihm vor. „Du bist aus Langensalza?“ fragte er. „Ei, da habe ich vor vier Jahren auch gearbeitet, bei einer Frau Reichhardt am Erfurter Tor. Bei deiner Mutter war damals ein ganz junger Bursche. Sie hat wohl wieder geheiratet?“
„Nein, guter Freund, aber derselbe junge Bursche ist noch bei uns,“ und nun mußte ich erzählen und fragte ihn auch, ob es hier für mich keine Arbeit gäbe. Er wußte einen Gesellen, der nur darauf wartete, daß sein Meister Ersatz für ihn fände und als der Mann meiner Frau Muhme auf ihr Befragen erklärte, die Arbeit sei nicht zu schwer für mich, durfte ich mit zu dem Meister gehen und die Sache wurde richtig gemacht.
Den folgenden Tag trat ich ein. Der Meister war ein magerer schwärzlicher Mann von etwa vierzig Jahren, sehr rüstig und arbeitete alles mit. Die Arbeit wurde mir leicht bis auf das schnelle Kringelspinnen (l-Pfennig-Brezel machen und schließen), doch nach acht bis zehn Tagen kam ich dem Meister darin ziemlich gleich. – Es lag eine Eskadron Kürassiere in der Stadt und wir hatten das Kommißbrot zu backen. Ich war so ungeheuer stark und kräftig, daß ich mich vor nichts fürchtete und bin manchmal bewundert worden, wenn ich den großen Teig so bald fertig hatte oder die schweren Bretter so leicht auf- und herunternehmen konnte. Nach vierzehn Tagen wurde Lohn gemacht; ich bekam sechzehn Gutegroschen pro Woche.
Außer der Frau und einem Kinde von zwei Jahren war der vierund-achtzigjährige Vater des Meisters im Hause, der noch Kommißbrot wirkte wie ein Junger, ferner waren ein Knecht und zwei Dienstmädchen da. Es wurde auch Ökonomie getrieben; zwei Pferde und Kühe standen im Stall. Die fünf oder sechs Bäckergesellen in der Stadt lernte ich bald kennen. Der jüngste von ihnen, Heinrich, der eine gute Schulbildung besaß, arbeitete bei einem Pfefferkuchenbäcker Wiegemann. Wir besuchten einander und so wurde auch ich mit seinem Meister bekannt, der ein ungemein geschickter Honigküchler war; ich werde später darauf zurückkommen.
Im allgemeinen gefiel es mir wohl in meiner Stelle, nur einmal bekam ich das Heimweh. Ich mußte nämlich auf einem Dorfe mahlen. Die Mühle hatte nur einen Gang, ich also nicht viel Arbeit und die Leute dort sprachen so erschrecklich Platt, daß ich sie nicht verstehen konnte. In dieser Einsamkeit wurde mein Herz furchtbar beklemmt. Ich bekam eine Angst und beinahe Zittern, daß ich nicht wußte, wohin und wo bleiben. Wenn ich mich auf einen Sack legte und die Augen schloß, so sahe ich meine Mutter und Schwestern, wie sie mir winkten. „Komm Christel, komm!“ Ich sprang wieder auf, setzte mich hierhin und dorthin, fand aber nirgends Ruhe, kurz, der Zustand dauerte zwei Stunden lang, bis mein Essen kam, das mir die Frau Meisterin selbst brachte, weil, wie sie sagte, sie hier beim Dorfe Land hätten, was sie besehen wolle.
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