»Bauer, du! Bei der Allmacht des Herrn befehle ich dir: steig ab von deinem Wagen!«
Alberto zögerte einen Moment. Im nächsten bereits bemerkte er die Kälte des Metalls der Hellebarde, die einer der Männer des Inquisitors auf ihn richtete.
Alles war verloren. – Er war ein einfacher Mann. Aber was jetzt kam, dafür musste man nicht rechnen können.
Er stieg von seinem Bock herunter und legte die Hand an die Flanke seines Mulis, die Unruhe des Tieres verspürend.
»Guter, du! Unsere Wege müssen sich jetzt trennen. Danke für alles!«
Ein letzter Blick, dann ließ er sich mit inne sitzender Verzweiflung abführen.
»Und jetzt zu dir, Bruder! Steig auch du herunter und leiste keinen Widerstand gegen die Diener Gottes! Deine unchristliche Absicht hat sich zerschlagen.
Gottes Urteil wartet auf dich!«
In Bruder Manuels Augen stieg das Feuer der Leidenschaft empor. Gottes Urteil! Was weißt du, du reißender Wolf der Hölle, vom Richten unseres Herrn?
Nein, ihm leiste ich keinen Widerstand, wohl aber dir!
Von tausend Ängsten übermannt hockten Pepa und Gabriel in ihren engen Verstecken, die keine mehr waren. Sie ahnten es. – Gleich würden sie entdeckt werden!
Es gab kein Entkommen!
Bruder Manuel bemerkte, wie nah sich das Gefährt am Abhang des Klosterhügels befand. Einen Augenblick überlegte er noch. Dann packte er das erste Fass, in dem Pepa steckte, und warf es den Abhang hinunter.
Im nächsten Moment bohrte sich eine Hellebarde durch den schwarzen Chorrock und seine übrige Kleidung in seine Seite. Bruder Manuel stöhnte auf vor Schmerz. Doch noch hatte er die Kontrolle über seinen Willen und seinen Körper. Er riss die Hellebarde aus seinem Körper, packte entschlossen das nächste Fass, in dem Gabriel hockte, und warf es ebenso den Hang hinunter.
Gott musste darüber wachen, dass die Kinder unverletzt blieben. Wieder spürte er, wie die Hellebarde sich ihn bohrte.
»Du Hund!«
Der Inquisitor schritt hastig um den Wagen herum. Seine gierigen Augen funkelten in die Dunkelheit, konnten aber nichts erspähen. Die mondlose Zeit gebar eine totale Finsternis. Nur das Poltern der Fässer war zu hören.
»Hinterher!«
Einer der Wachleute, den der Inquisitor in den Blick gefasst hatte, beeilte sich, den Abhang hinunter zu laufen.
»Schneller! Oder du brennst auch!«
Der Inquisitor war außer sich. Er sah nach Bruder Manuel, der zusammengebrochen war und gekrümmt vor Schmerz auf dem Wagen lag. Sein Habit begann sich mit Blut zu tränken.
»Kümmert euch um ihn! Er darf nicht sterben! Er soll Gottes Richtspruch erfahren … durch mich!«
Nein, Herr! Nimm mich jetzt zu dir! Ich hab alles an Aufgabe getan!
*
Der Höllenritt den Abhang hinunter dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Gabriel wurde in dem Fass umhergeschleudert, unfähig etwas zu seinem Schutze zu verrichten. Er wusste nicht mehr, wo oben und unten war, und war der Ohnmacht nahe.
An einem Felsbrocken kam das Fass zum abrupten Stillstand und zersplitterte.
Gabriel lag wie tot im Gras, die Schatten der Nacht umhüllten ihn und auch seine Seele. Unzählige Prellungen, die er sich zugezogen hatte.
Nicht lange dauerte es, da drang von fern eine Stimme durch seine Benommenheit. Es war die Stimme des Soldaten, den der Inquisitor auf die Suche geschickt hatte.
Ungeduldig sprang Alfonso de Torquemada unterdessen auf der Höhe herum und rief fortwährend in die Tiefe.
»Nein, ich habe noch nichts gefunden, Herr!«
Die Stimme war jetzt keine dreißig Schritte entfernt.
Gabriel kam zu vollem Bewusstsein.
Pepa! Was war mit Pepa?
Und Bruder Manuel, wo war er?
Gabriel versuchte sich zu erinnern.
War auch Pepa mitsamt dem Fass, in dem sie steckte, von dem Wagen geworfen worden? Gabriel konnte sich an nichts erinnern.
Er hörte keine Worte mehr, dafür aber Schritte, die genau auf ihn zukamen.
Noch schützte ihn die mondlose Dunkelheit. Aber er musste etwas tun. Entweder ohne Bruder Manuel und Pepa die Flucht antrete oder sich verstecken und sodann die beiden suchen.
Er entschied sich dafür und umschlich mit Schmerzen den Felsbrocken, um an seiner Rückseite der Entdeckung zu entgehen.
Jetzt ist der, der ihn finden will, bei ihm angelangt. Keine fünf Schritte mehr sind sie voneinander entfernt.
»Herr, hier ist eines der Fässer! Es ist zerbrochen! Ich suche die Umgebung ab!«
Die Worte kamen nicht mehr bei dem Inquisitor an. Zu groß schon war der Abstand.
Alfonso de Torquemada befehligte, da sie ihre Arbeit verrichtet und Alberto und Bruder Manuel dingfest gemacht und weggebracht hatten, noch drei der ihn begleitenden Männer den Abhang hinunter.
»Wagt es nicht, mir ohne Erfolg wieder unter die Augen zu treten!«
Ein, zwei Minuten schon hatte Gabriel keinen Laut mehr gehört.
Sein Jäger verhielt sich geräuschlos wie eine Eule.
Endlich vernahm Gabriel weitere Stimmen. – Die Sache wurde immer gefährlicher.
Leise entfernt er sich von dem Felsbrocken. Plötzlich aber wird es noch dunkler vor seinen Augen. Einen einzigen Augenblick noch, da greift eine Hand nach ihm, um ihn festzuhalten, und eine andere hält seinen Mund zu, um zu verhindern, dass er nach Hilfe schreit oder auf seine Lage aufmerksam macht.
»Hab ich dich, Bürschlein! Einem alten Kämpen machst du nichts vor! Wag nicht, dich zu wehren!«
Gabriel gerät in Panik und versucht sich aus der Umklammerung zu lösen. Er strampelt mit den Füßen in der Luft. Die Hand seines Widersachers, die seinen Mund nahezu zum Ersticken zuhält, verrutscht. Es gelingt ihm, in diese Hand zu beißen.
Ein Schmerzensschrei des Soldaten, ein gepresstes Einatmen, ein Schrei von Gabriel in die Dunkelheit, die nicht länger mehr auf seiner Seite zu sein scheint. Dann hat sein Gegner ihn wieder ganz unter seiner Kontrolle.
»Kommt hierhin! Ich habe ihn! Schnell!«
Er wartet auf die nötige Hilfe. Gabriel wehrt sich weiter mit aller Kraft. Der Griff des Soldaten jedoch bleibt unüberwindbar.
»Wo bleibt ihr denn?«
Es ist das Einzige noch, was er sagen kann. Wie von einer unsichtbaren Macht gefällt sinkt er plötzlich zu Boden. In seinem Fallen wird eine andere Gestalt sichtbar. Gabriel mag es nicht fassen.
Pepa!
Sie lässt den Stein fallen, den sie soeben dem vor ihr stehenden, scheinbar übermächtigen Gegner auf den Kopf geschlagen hat. Zu sehr ist er mit Gabriel beschäftigt und ihr gegenüber deshalb unachtsam, gar ahnungslos gewesen.
Noch nie hat sie sich zu solch einer Tat hinreißen lassen. In ihr toben die Empfindungen von Erschrecken und Staunen. Allein die Gefahr, in welcher sie Gabriel angetroffen hat, hat sie mutig und stark werden lassen. Dieser Mann durfte Gabriel nichts antun.
Nein, es war ungerecht, was er tat. Er durfte Gabriel nicht wehtun und ihn auch nicht festhalten.
Über die Wirkung ihres Hiebs konnte sie nur einen Moment lang verblüfft sein. Schon eilten die anderen Soldaten des Inquisitors herbei.
»Komm, Gabriel! Rasch!«
Wenige Augenblicke später trafen die Verfolger am Ort des Geschehens ein.
Sie fanden nur ihren bewusstlosen Kameraden vor und auch das zersplitterte Fass.
»Einer bleibt hier! Der Rest macht sich auf die Suche! Der Herr bringt uns auf den Scheiterhaufen, wenn wir den Jungen und den, der in dem anderen Fass gesteckt hat, nicht finden!«
Die Suche nach den Flüchtigen dauerte die ganze Nacht, aber sie waren nicht dingfest zu machen. Im Hellen allerdings würden sie keine Chance haben, ihrer Entdeckung zu entgehen. Darauf setzte Alfonso de Torquemada, der Gift und Galle hätte speien können, seine ganze Hoffnung.
Er war nah dran, den Prior aufs Schärfste anzugehen und ihn zur Rede zu stellen, wie es zu dieser Flucht nur hatte kommen können und ob er das Mindeste zu seiner Unschuld vortragen konnte. Doch der Inquisitor war ein durchtrieben schlauer Mensch, der längst schon wusste, dass der Prior sicher war vor seinem Zugriff. Er wusste um seine verwandtschaftlichen Bande zu seiner Obrigkeit, dem Herzog von Medina Sidonia, in dessen Diensten er selbst schon so lange stand.
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