Für alle Abschnitte gilt, dass in die besprochenen Themen nur eingeführt werden kann und sie darum nicht in Vollständigkeit abgehandelt werden. Allerdings sind jedem Kapitel Literaturhinweise hinzugefügt, die eine ausgiebige und dem aktuellen Stand angepasste Vertiefung ermöglichen.
AUFBAU DER KAPITEL
Im Prinzip besitzen alle Kapitel den gleichen Aufbau. In der Einleitung wird in das Thema eingeführt. Dabei wird vor allem im zweiten und dritten Abschnitt mit einem biografischen Ausschnitt eines (post)modernen Menschen begonnen. Diese biographischen Ausschnitte sind realistisch und basieren auf der Erfahrung tatsächlich existierender Menschen (Namen und Ortsangaben geändert). Sie sollen helfen, einen lebensnahen Zugang zum Thema zu gewinnen. Des Weiteren geben sie Einblick in die Erlebnis- und Denkwelt des (post)modernen Menschen.
Nach der Einleitung wird das jeweilige Thema in aufeinanderfolgenden Abschnitten behandelt. Jedes Kapitel wird mit einer »Klärung« abgeschlossen. In dieser Klärung wird das Besprochene zusammengefasst und mit konkreten Fragen, die auch als Übungen verstanden werden dürfen, vertieft.
Die insgesamt 21 Kapitel bauen aufeinander auf. Dennoch können die jeweiligen Abschnitte auch als in sich abgeschlossene Themenkomplexe verstanden werden. Aber ein vertieftes Verstehen eines späteren Abschnitts ist nur unter dem Einbezug eines früheren Abschnitts garantiert. Gerade der erste Abschnitt (Kapitel 1 bis 6) ist äußerst wichtig und Grundlage für alles Darauffolgende. Diese ersten Kapitel sind in ihrer Art komplexer als der Rest des Buches, aber mit ihnen erschließt sich ein faszinierendes Verständnis der Wirklichkeit aus prophetischer Sicht. Mit diesem Verständnis lassen sich viele (post)moderne Herausforderungen sinnvoll verstehen und beantworten. Ab dem zweiten Abschnitt lesen sich die Kapitel wesentlich einfacher.
Auch wenn jedes Kapitel seinen Gegenstand nicht umfassend behandelt, ist es in den aktuellen Stand des wissenschaftlichen Diskurses eingebettet. Literaturhinweise, die jedes Kapitel ergänzen, helfen, das Gelesene im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs zu kontextualisieren. Die Literaturhinweise haben nicht ausschließlich die Funktion, die Aussagen der jeweiligen Kapitel zu bestätigen, sondern sind als Reflexionsmaterial zu verstehen, mit dem die ausgeführten Gedanken dieses Buches kritisch reflektiert und weitergeführt werden können. Das Buch ist also nur ein Anfang, eine Hilfe zum weiteren Nachdenken. Das ist dann auch der Grund, weshalb die einzelnen Kapitel mehr als Meditationen und Reflexionen zu verstehen sind und nicht als endgültige Antworten. Und so wird der Leser schnell feststellen, dass im Textverlauf das Wort »Reflexion« häufig stellvertretend für »Kapitel« gebraucht ist.
HOFFNUNG
Als Autor dieses Buches wünsche ich mir drei Dinge. Als erstes hoffe ich, dass der Leser einen Zugang zu sich selbst findet. Dass er sich selbst verstehen und kritisieren kann. Dass der prophetisch-philosophische Entwurf in der Lage ist, ihn zu spiegeln, sodass der Leser sich selbst ansehen kann. Die Momente, in denen wir uns selbst sehen, sind äußerst selten – vielleicht auch, weil sie häufig schmerzvoll sind. Aber ohne diesen Selbstanblick bleibt man blind fürs Leben. Zweitens hoffe ich, der Leser erkennt, dass er mit seiner Gedanken- und Lebenswelt nicht allein steht. Oft übermannen einen der Zweifel und die Komplexität unserer Gedanken, sodass sie uns auch vom Anderen trennen und uns einsam fühlen lassen: »Sicher ist niemand solchen Gedanken, solchen Zweifeln und solchen Ängsten ausgesetzt wie ich.« In der Einsamkeit müssen wir meist feststellen, dass unsere Kraft und Disziplin nicht ausreicht, unser Denken und Fühlen zu meistern. Aus Scham ziehen wir uns noch weiter zurück. Ich hoffe, dass dieser Rückzug mit dem Buch und seinen biografischen Ausschnitten unterbrochen wird und gewendet werden kann. Dass der Leser erkennt, dass er mit seinen Fragen und Sorgen Teil einer Gemeinschaft ist. Und drittens hoffe ich, dass der Leser in der prophetischen Wirklichkeitsschau den Anfang seines Lebens und in ihm den Sinn seines Lebens findet. Möge das Gelesene den Leser wie ein angenehm frischer Wind an die Ufer eines guten Gottes treiben.
Oliver Glanz
Rotterdam, im Januar 2012
WENN DIE
GÖTTER
AUFERSTEHEN
1Wofür noch kämpfen?
2Von der Unabhängigkeit in die Gefangenschaft
3Denken und Glauben
4Jenseits von 1. und 3. Person: JHWH am Anfang
5Jenseits von 1. und 3. Person: Prophetisches Theoriedenken
6Jenseits von 1. und 3. Person: Kultur und Normativität
I belong to the Blank Generation. I have no beliefs, I belong to no community, tradition, or anything lith that. I‘m lost in this vast, vast world. I belong nowhere. I have absolutely no identity.
(Veith, G. E. Postmodern Times: a Christian Guide to Contemporary Thought and Culture. Wheaton: Crossway Books, 1994, 72)
Literatur: Heschel, A. J. God in Search of Man: A Philosophy of Judaism. New York: Farrar, Straus and Giroux, 1997; Plantinga, A. »On Christian Scholarship«, n.d. http://www.calvin.edu/academic/philosophy/virtual_library/articles/plantinga_alvin/on_christian_scholarship.pdf; Taylor, C. Sources of the Self: The Making of the Modern Identity. Cambridge: Harvard University Press, 2006.
1.1 Einleitung: Beobachtungen
Unser Leben heute ist ganz anders als das Leben vor 50 oder 200 Jahren. Unser Lebensgefühl ist ein anderes, unsere Probleme sind auch anders. Während die ökologische Herausforderung, die Terrorgefahr und die bedrohlich wachsende Weltbevölkerung uns meist nur noch über die Medien begegnen, ist unser gewöhnlicher Alltag ganz subtil, aber dominant, von der Spannung zwischen Subjektivismus und Objektivismus geprägt. Was das bedeutet und wie sich diese Spannung als zentrale Spannung unseres modernen Lebens darstellt, wird in dieser Reflexion behandelt.
Die Spannung zwischen Subjektivismus und Objektivismus erlebt heute jeder Mensch, egal ob Putzfrau oder Professor, ob religiös, atheistisch oder agnostisch. Sie liegt in jedem Menschen. Diese Spannung ist so dominant und allgegenwärtig, dass sie gar nicht mehr registriert wird, aber in den meisten Handlungen, Gesprächen und Entscheidungen vorausgesetzt ist. Schlussendlich hat diese Spannung den modernen Menschen in ein Dilemma gebracht, ihm seine Träume, Ideale, den Lebenssinn und dessen Würde genommen – nicht da draußen in der sogenannten Dritten Welt, sondern hier: in Amsterdam, in München und in Genf. Die Moderne ist Opfer dieser Spannung.
Bevor ich erkläre, was Subjektivismus und Objektivismus genau sind, werde ich an zwei konkreten Beispielen diese Spannung sichtbar machen:
1. Alltagssubjektivismus:An einem kühlen Sommerabend in der Amsterdamer Altstadt sind ein Freund und ich auf der Suche nach einem Café, das zur Stimmung passt. Dabei treffen wir zwei Studenten im Alter von ca. 25 Jahren. Es ergibt sich, dass wir sie nach ihrer Studienrichtung fragen und was sie motiviert, zu studieren. Der eine studiert Politikwissenschaften, der andere Biologie. Mit ihrem Studium verfolgen sie keinen Traum, kein Ideal spornt sie an, und an Karriere denken sie auch nicht wirklich. Von einer besonderen Motivation kann darum auch nicht die Rede sein – eher von Lethargie. Man studiert, weil jeder studiert, und als Nichtstudierter hat man auf dem Arbeitsmarkt heute kaum noch Chancen. Aber die beiden Studenten sehnen sich nach Idealen, nach etwas, wofür man sein Leben investieren könnte. »So wie damals unsere Eltern«, meinen sie. Als ihre Eltern so alt waren wie sie (60er und 70er Jahre), haben sie in den Studentenbewegungen (68er-Bewegung), den Bürgerrechtsbewegungen (Martin Luther King) und der Hippiebewegung (Woodstock) das eigene Leben für die eigenen Überzeugungen aufs Spiel gesetzt! Es gab Dinge, die waren wichtiger als das eigene Leben. Das ist heute anders, vielleicht werden wir uns einmal mit aller Leidenschaft um die Rettung unserer Umwelt bemühen – aber dann wohl eher aus Gründen der Selbstrettung und weniger aus Idealismus. Wer wählt heute noch eine Partei aus ideologischen Gründen? Man wählt nicht die Sozialdemokraten oder Liberalen, weil man Sozialdemokrat oder Liberaler ist, sondern weil in den nächsten vier Jahren besser regiert werden soll. Der heutige Mensch ist Pragmatiker.
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