► Aber wir sollten uns durch die positive Würdigung der Tugenden nicht blenden lassen: „Tugenden sind mit Zunahme der Reichtümer gesunken“ ( K.J. Weber ). Denn: „Wenn das Geld ruft, hat die Moral seit jeher kaum eine Chance.“* Auch die Eitelkeit kann Tugenden zunichte machen: „Tugenden und Mädchen sind am schönsten, ehe sie wissen, dass sie schön sind“ ( L. Börne ). Wenn wir bestimmte Tugenden von anderen Menschen fordern, tun wir das nicht immer ganz selbstlos. Marie von Ebner-Eschenbach sagt dazu: „Wir verlangen sehr oft nur deshalb Tugenden von anderen, damit unsere Fehler sich bequemer breitmachen können.“ Wahre Tugend ist reinste Gesinnung und ist streng von Schmeichelei zu trennen: „Schöne Worte und schmeichlerisches Gehabe gehen selten mit wahrer Tugend einher“ ( Konfuzius ). Zum Schluss erkennen wir, dass hohe Tugendhaftigkeit im praktischen Leben durchaus nicht erfolgreich sein muss: „Wenn einer besonders tugendhaft ist, lass ihn zum Einsiedler werden“ (von den Philippinen). Ähnlich: „Wem die Scham erste Tugend ist, darf sich nicht wundern, wenn sich kein Partner findet.“*
► Wir lernen aus den Thesen und Antithesen zur Tugend: „Die Verwirklichung moralischer Werte ist durchaus nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, denn Geldgier, Eitelkeit und Stolz verführen uns schneller als wir es verhindern können.“* „Eine vorbildliche Haltung und hervorragende Charaktereigenschaften sind ohne Frage anstrebenswert: Aber sie müssen nicht zum unbedingten Lebenserfolg führen.“* „Wer möchte in tugendhafter Größe und in einer sich schnell verändernden Welt zum totalen Eigenbrödler werden oder ein Leben lang ganz ohne Partner sein?“*
Vielleicht kann der Kategorische Imperativ als Tugend-Grundsatz die Lösung aus dem Dilemma bringen: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer Allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte“ ( E. Kant ). Aber es gilt auch, dass dem Leben eigene Gesetze innewohnen, wie es sogar die Bibel offen legt: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Matthäus 26.41). In diesem Sinne scheint mir auch bei der Bewertung von Tugenden ein wenig menschliches Verständnis angebracht, weil wir alle Fehler machen:
„Die großen Tugenden machen einen Menschen bewundernswert. Die kleinen Fehler machen ihn liebenswert“
(P.S. Buck)
Deshalb wohl auch die Feststellung: „Wer tugendhaft lebt, wird geehrt, aber nicht beneidet“ (aus Persien). Dazu eine weitere Forderung: „Der Mensch sollte nicht tugendhaft, sondern nur natürlich sein, so wird die Tugend von selbst kommen“ ( G. Keller ). Interessant ist auch die Herstellung des direkten Bezugs der Tugend zum Laster: „Der Tugend folgt die Belohnung, dem Laster die Strafe“ ( H. von Kleist ). Ein früherer amerikanischer Präsident philosophiert: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute ohne Laster auch sehr wenige Tugenden haben“ ( A. Lincoln ). Abschließend die schlitzohrige Aussage eines Menschenkenners: „Man denkt sich den moralischen Unterschied zwischen einem ehrlichen Manne und einem Spitzbuben viel zu groß“ ( F.W. Nietzsche ). Zum Schluss mein Rat: „Bei der gezielten Bewertung von Tugenden sollte das menschliche Verständnis nicht außen vor bleiben.“* Alle folgenden Tugenden werden in dialektischer Sicht betrachtet.
Die Tapferkeit ist die Fähigkeit eines Menschen, einer schwierigen Situation ohne Furcht entgegenzutreten.129 Hinsichtlich dieser Tugend ist insbesondere in folgendem Fall Mut erforderlich: „Der höchste Mut ist Unerschrockenheit angesichts des sicheren Todes“ ( Vauvenargues ). Tapferkeit äußert sich in dem Willen, einen physischen oder mentalen Konflikt ohne Angst durchzustehen. Tapferkeit kann beispielsweise durch Anerkennung, Beförderung, Geld bzw. durch Orden belohnt werden. Dabei gilt: „Weisheit, Mitleid und Tapferkeit sind die drei wichtigsten sittlichen Eigenschaften des Menschen“ ( Konfuzius ). In vielen Fällen wird der Tapfere von der Überzeugung getragen, für eine gute Sache zu kämpfen, auch wenn es manchmal sinnlos erscheint. Wer es versteht, sich in aussichtslosen Situationen trotzdem zu behaupten, der besitzt Standhaftigkeit. „Die Tapferkeit steht zwischen der Tollkühnheit und der Feigheit“, sagt Aristoteles . Wie ist die Tapferkeit als Tugend zu bewerten?
► „Die Tapferkeit wird zu Recht als die erste der positivern Eigenschaften des Menschen angesehen, weil sie diejenige ist, die alle anderen gewährleistet“ ( W. Churchill ). Vor allem für die Jugendzeit gilt: „Die Tapferkeit trotzt der Ermahnung“ ( Ovid ). Dazu passt: „Die Begeisterung für rechte Tapferkeit ist der Jugend schönstes Vorrecht“ ( H. v. Treitschke ). Und: „Tapferkeit ist unparteiisch“ ( T. Lenk ). „Tapferkeit in Verbindung mit Macht führt zu Tollkühnheit“ ( Aristoteles ). Tapferkeit braucht auch Zuversicht: „Das Vertrauen auf die eigene Kraft ist die Grundlage der Tapferkeit“ ( Friedrich der Große ). „Tapferkeit ist die Fähigkeit, von der eigenen Furcht keine Notiz zu nehmen“ ( G.S. Patton ). Und Tapferkeit ist mit Aktivitäten verbunden: „Wer einen Ertrinkenden retten will, muss sich nass machen, wer einen Entlaufenen einfangen will, muss rennen“ ( Lü Bu We ).
► Nicht alle Menschen haben mit der Tapferkeit gute Erfahrungen gemacht, vor allem, wenn es um Leben und Tod geht: „Der militärische Ausdruck für Dummheit ist Tapferkeit“ ( S. Sarek). W. Shakespeare sagt es milder: „Der bessere Teil der Tapferkeit ist die Besonnenheit.“ Und: „Tapferkeit muss eine Krankheit sein. Viele sind an ihr gestorben“ ( E. Blanck ). Tapfer zu sein ist nicht jedermanns Sache: „Sie tapfer, aber geh’ aus de Schusslinie“ (aus dem Kaukasus). Deshalb verwundert folgender Ausspruch nicht: „Tapferkeit ist ein Anfall, der bei den meisten Menschen schnell vorübergeht“ ( M. Twain ). Wer fällt, muss möglichst schnell wieder aufstehen: „Um aufzustehen, muss man gefallen sein“ ( D. Wieser ). Zum Schluss: „Die Tapferkeit mancher Leute ist nur ein Rechnen mit der Furchtsamkeit des Gegners“ ( H. de Balzac ).
► Zusammenfassung: Wer meint, auf Tapferkeit verzichten zu können, kann böse Überraschungen erleben: „Wer sich seiner Haut nicht wehrt, dem wird sie abgezogen“ ( J.V. von Scheffel ). Auch gilt: „Tapferkeit wird dadurch nicht schlechter, dass sie ein wenig schwerfällt“ ( G.B. Shaw ). Darüber hinaus stellen wir mit Konfuzius fest: „Wer wirklich gütig ist, kann nie unglücklich sein; wer wirklich weise ist, kann nie verwirrt werden; wer wirklich tapfer ist, fürchtet sich nie.“ Damit steht fest: „Gegen die Infamitäten des Lebens sind unsere besten Waffen: Tapferkeit, Eigensinn und Geduld. Die Tapferkeit stärkt, der Eigensinn macht Spaß und die Geduld gibt Ruhe“ ( H. Hesse ). Es gilt auch: „Die Tugend des Glücks ist Mäßigung, die Tugend des Unglücks ist Tapferkeit“ ( F. Bacon ). Die Tapferkeit kann auch mit negativer Erfahrung verbunden sein:
„Männer von Charakter, Tapferkeit, Klugheit und Weisheit haben meist lange in Not und Bedrängnis gelebt“
(Mong Dsi)
Zum Schluss eine kompakte Meinung: „Der Jammer der Menschheit ist, dass die Klugen feige, die Tapferen dumm und die Fähigen ungeduldig sind. Das Ideal wäre der tapfere Kluge mit der nötigen Geduld“ ( T. Capote).
Mut ist die psychische Gestimmtheit des Menschen, sich etwas zu trauen bzw. etwas zu wagen und keine Angst zu haben. Diese Tugend zeigt sich in unerschrockenem, überlegtem Verhalten vor allem in gefährlichen Situationen, z. B. in Wagemut, Tapferkeit, Kühnheit und Beherztheit. Er basiert auf dem Selbstbehauptungswillen und dem Selbstwertgefühl des Menschen: „Mut ist die Summe von positiven Erfahrungen“ ( A. Selacher ). Daraus ist ableitbar: „Wer Gutes tut, hat frohen Mut“ ( J.H. Voß ). Wer andere Menschen ermutigt, tut damit etwas Gutes. Mut benötigt der Mensch auch, um sich selbst zu erkennen: „Der Mut zur Selbsterkenntnis verrät Charakterstärke“ ( E. Ferstl ). Was ist das Gegenteil von Mut? „Das größte Laster ist die Verzagtheit“ ( Franz von Assisi ). Was ist Demut? „Demut ist der Mut, mit Gott zu rechnen“ ( A. Maggauer-Kirsche ). Auch der Mut kann in dialektischer Sicht gesehen werden.
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