2.6 Der Mensch im schamanisch-spirituellen Kontext
Wir Menschen sind Teil des fortdauernden, schöpferischen Prozesses des Universums. Dabei sind wir nicht nur passive Zuschauer, sondern senden durch unsere Gedanken, Gefühle, Worte und Handlungen permanent Energie aus und weben am großen Netz der Schöpfung mit. Daher sind wir gleichzeitig Mitschöpfer des großen Ganzen. Über die »Energiefäden«, die wir dadurch erzeugen und die die gesamte sichtbare und unsichtbare Existenz durchdringen, sind wir mit allem verbunden, was in diesem Universum existiert. Eine Trennung in ein Ich und ein Du, so wie wir sie normalerweise empfinden, gibt es deshalb nicht.
Solange wir uns mit unserem »niederen Selbst« identifizieren, bleiben uns die Zusammenhänge verschlossen. Erweitern wir aber unser Bewusstsein und verbinden uns wieder mit unserem »höheren Selbst«, erkennen wir, dass unser Bewusstsein unabhängig vom menschlichen Gehirn oder Geist existiert. Letztendlich wird über unser Gehirn ein Tor geöffnet, das uns dazu befähigt, aus unserem höheren Selbst heraus uns selbst zu betrachten und uns jenseits unserer ansonsten beschränkten Sichtweise als das zu erkennen, was wir in Wahrheit sind: reines, grenzenloses Bewusstsein. Wir erkennen, was die alten Weisen immer schon sagen: Die Welt ist wie ein Traum, und die ganze Welt eines Traumes besteht aus dem Bewusstsein des Träumenden.
Wir erkennen, dass wir einen Körper und eine Seele haben, aber wir wissen jetzt, dass wir Bewusstsein sind. Vielleicht hat der Körper Probleme und gilt als krank, vielleicht erleben wir emotionale Höhen und Tiefen, Gedanken kommen und gehen, das Leben mag schwierig oder leicht sein. Wir erfahren und wissen, dass all dies das Bewusstsein nicht berührt, denn es war immer, ist immer und wird immer sein.
2.6.1 Die schamanischen Bewusstseins- und Wahrnehmungsebenen
Die unterschiedlichen Areale des Gehirns waren Schamanen früherer Zeiten nicht bekannt, aber die schamanische Trance und ihre Verbindung zu anderen Dimensionen des Seins ermöglichte es ihnen, in verschiedene Bereiche der Realität zu reisen. So fanden sie vier grundlegend unterschiedliche Ebenen der menschlichen Wahrnehmung, die der gesamten evolutionären Entwicklung des Gehirns entsprechen, so wie es der amerikanische Hirnforscher Paul D. MacLean in seinem Modell des dreieinigen Gehirns formuliert hat 3(das älteste, innen liegende Reptilienhirn, das Säugetiergehirn und das außen liegende Großhirn mit dem Neokortex als der Oberfläche des Großhirns und dem präfrontalen Kortex, der sich an der Stirnseite des Hirns befindet). Wir bezeichnen die schamanischen Bewusstseins- und Wahrnehmungsebenen hier in Anlehnung an einen schamanischen Sprachgebrauch als »Schlangenebene«, »Bärenebene«, »Falkenebene« und »Adlerebene«.
Erst in einem harmonischen, sinnvollen Miteinander kann der Mensch nach dieser Betrachtung sein volles Potenzial entfalten. Solange wir von einer Ebene abhängig sind, sind wir weder frei noch bewusste Schöpfer, sondern Abhängige und Gefangene unseres eigenen Systems.
Die Schlangenebene:Das Handeln wird rein von den Urinstinkten bestimmt. Es geht ums pure Überleben, also um Nahrungsaufnahme, Fortpflanzung, Sex und die grundlegende Entscheidung »Kampf oder Flucht« beim Zusammentreffen mit Feinden. Hier ist kein Platz für weiterführende Gedanken oder Gefühle. Jede Handlung ist lediglich vom Instinkt bestimmt, um das Überleben, die Selbst- und die Arterhaltung zu sichern.
Diese Wahrnehmungsebene ist dem Übergangsbereich zwischen dem Reptilienhirn und dem Säugetiergehirn zugeordnet. Es geht um die Materie, um unseren Körper und die Aufrechterhaltung seiner Funktionen.
Die Bärenebene:Dies ist die Ebene, auf der die Fähigkeit, zu denken und zu fühlen, entsteht. Wir sind nicht mehr rein von den Instinkten gesteuert, die Wahrnehmung wird weiter und differenzierter. Diese Ebene entspricht dem Übergang vom Säugetiergehirn zum Großhirn und ermöglicht es, Pläne zu schmieden, Dinge zu reflektieren, Ereignisse auszuwerten und zu bewerten.
Die Falkenebene:Hier eröffnet sich eine Wahrnehmungsebene, die weit über das reine Denken und Fühlen hinausreicht. Wir sind in der Lage, in Bildern zu träumen und die Zusammenhänge hinter der sichtbaren Realität zu erkennen. Hier ist die Wahrnehmungsebene der Seele, die Ebene der Archetypen.
Dies entspricht dem Neokortex. In diesem Bereich ist unsere Kreativität beheimatet. Es ist das Land der Bilder, Träume und Mythen, der Musik und Dichtung. Auf dieser Ebene kann man durch Visualisierung leichter die Realität verändern. Und hier beginnen wir zu verstehen, dass es mehr gibt als die materielle und logische Ebene; wir ahnen, dass alles einen Sinn hat, dass alles heilig ist.
Die Adlerebene:Auf dieser Ebene herrscht reines Bewusstsein. Es gibt keine Grenzen, keine Trennung mehr, Materie löst sich auf, alles besteht aus reiner Energie. Hier erlangen wir Zugang zur göttlichen Absicht, werden mit dem Spirit sowie mit unserer wahren Berufung und Lebensaufgabe konfrontiert. Wir treten in Kontakt mit dem göttlichen Prinzip. Im Gehirn entspricht diese Wahrnehmungsebene dem präfrontalen Kortex.
Um die ganze Kraft der Wahrnehmungsebenen nutzen zu können, ist es wichtig, dass alle Ebenen aktiviert und verbunden sind und dass keine Ebene dominant ist. Dies erreichen wir, indem wir mit Meditationen und Übungen (→ Kap. 7.8) unsere Wahrnehmung erweitern und von störenden Einflüssen und Blockaden befreien. So stellen wir sicher, dass wir alle Areale unseres Gehirns optimal nutzen und in den jeweiligen Situationen und Herausforderungen entsprechend handeln können. Beim Meditieren auf der Adlerebene wäre es sicherlich sehr störend, wenn wir gleichzeitig permanent an Sex denken würden (Schlangenebene). Ebenso würden wir unsere Lust sicherlich schmälern, wenn wir beim Sex über das zu kochende Mittagessen oder den nächsten Geschäftstermin nachdenken würden.
Die Folgen der Identifikation mit der Materie
Solange wir uns mit der Materie und unserem Körper identifizieren, dominiert der Körper über den Geist; dann haben das Reptilienhirn und das frühe Säugetiergehirn mit seinen Überlebensinstinkten die Kontrolle: »Ich bin ein Opfer der Umstände; ich bin den Zufällen und Widrigkeiten des Lebens hilflos ausgeliefert.«
Sobald wir erkennen, dass wir geistige Wesen sind, können wir beginnen, mit unseren Werkzeugen – dem Verstand usw. – die Materie und unseren Körper entsprechend zu formen. Hier erahnen wir, dass alles möglich ist. Der Geist dominiert über die Materie. Das vom Ego (von allen Ängsten und Blockierungen) befreite Großhirn übernimmt die Kontrolle. Das zentrale Nervensystem (ZNS) ist von der Dominanz des Reptilienhirns befreit.
»Alles hat einen Sinn. Ich forme die Umstände meines Lebens selbst. Ich bin selbst der Schöpfer/die Schöpferin.«
Wenn wir uns von allen Ich-Konzepten befreien und wieder im Allbewusstsein sind, lösen sich alle Grenzen auf und wir erfahren uns als göttliche Wesen jenseits aller Einschränkungen und Hierarchien. Wir kommen in einen Zustand der Transzendenz jenseits von Körper, Geist und Seele. Um dieses Tor zu öffnen, benötigen wir neben dem präfrontalen Kortex die gesunde Zirbeldrüse und die Chakras mit der frei fließenden Kundalini-Energie. (Wir werden dies noch näher erläutern.)
»Ich bin der ich bin. Ich bin weder Opfer noch Täter. Ich bin.«
Wie weit oder eng unser Bewusstsein ist, hängt also immer auch davon ab, welche Hirnareale bei uns die Kontrolle übernehmen bzw. von welchen Hirnarealen aus wir agieren. Insofern ist es sinnvoll, alle Bewusstseinsebenen ohne Dominanz einer Ebene zu aktivieren; alle Ebenen sollten als Werkzeug des Geistes bzw. des höheren Selbst dienen und nicht vom verletzten Ego gesteuert werden, das uns den bewussten Zugriff auf den Neokortex und besonders auf das Allbewusstsein blockiert.
Читать дальше