1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 Siehe Tab. 3.1 für einen Überblick und eine Auswahl an häufig vorkommenden Bildungsmustern mit Angabe der involvierten Wortarten ((N)omen, (V)erb, (A)djektiv). Das jeweils rechts stehende Element bestimmt die WortartWortart des Wortbildungsprodukts. Für die Affixe (abgekürzt mit hochgestelltem aff) bedeutet dies, dass Suffixe die Wortart festlegen, Präfixe hingegen nicht. Affixe verbinden sich nicht mit jedweder Basis, es gelten (mehr oder weniger strikte) Beschränkungen für ihre Kombinatorik. Beispielsweise verbindet sich das SuffixSuffix - bar mit Verben, die ein Akkusativobjekt verlangen (mit sog. transitiven Verben) und es entsteht daraus ein Adjektiv.
Bezeichnung und Kurzbeschreibung |
typische Muster |
mit Beispielen |
KompositionKompositionVerbindung frei vorkommender Wörter |
N + N → N A + N → N |
Haus+tür, FußFuß+ball Hoch+haus, Rot+wein |
DerivationDerivationVerbindung eines frei vorkommenden Wortes mit einem Wortbildungsaffix (Präfix,Präfix SuffixSuffix oder Zirkumfix) |
PräfigierungV aff+ V → V A aff+ A → A SuffigierungV + N aff→ N A + N aff→ N N + N aff→ N V + A aff→ A |
ver+lauf(en), ent+lass(en) un+gut, un+wissend Les+ung, Les+er, Bohr+er Wahr+heit , Heiter+keit Kind+chen, Lehrer+in ess+bar , lös+bar |
KonversionKonversionWortartwechsel |
- morphologische KonversionKonversion1 das Wortbildungsprodukt besteht nur aus dem StammStamm |
N → V A → V V → N A → N |
filter(n), fisch(en) glätt(en), kürz(en) der Lauf, der Treff, der Fall das Rot, das Hoch |
- syntaktische KonversionKonversiondas „Wortbildungsprodukt“ weist ein Flexionselement des zugrundeliegenden Wortes auf |
A → N A (aus Part. I) → N A (aus Part. II) → N V (Infinitiv) → N |
das/der/die Alt e der/die Studierend e der/die Abgeordnet e das Lauf en , das Bedauer n |
Tab. 3.1:
Die wichtigsten Wortbildungstypen im Deutschen
Ein spezieller Fall, der sich weder dem Wortbildungstyp der KompositionKomposition noch dem der DerivationDerivation zuordnen lässt, aber im Deutschen als ausgesprochen produktiv gilt, ist die sogenannte PartikelverbbildungPartikelverbbildung (z. B. auf-/an-/zu-/ab-machen ). Der besondere Status ergibt sich aus der Trennbarkeit in bestimmten morphologischen und syntaktischen Kontexten, vgl. (1)-(4). Im Kontrast dazu handelt es sich bei Komposita und bei durch Derivation gebildeten PräfixverbenPräfixverben um feste Einheiten.
(1) |
Er will nachher seine Tochter von der Schule abholen. |
(2) |
Er ist gerade los, um seine Tochter von der Schule abzuholen. |
(3) |
Er holt gerade seine Tochter von der Schule ab. |
(4) |
Er hat seine Tochter von der Schule abgeholt. |
Es ist daher also berechtigt, PartikelverbenPartikelverben einen besonderen Status zuzubilligen. Es handelt sich bei diesen um ein Phänomen zwischen Wortbildung und Syntax (siehe grammis2). Um Lernende auf die Besonderheiten von Partikelverben aufmerksam werden zu lassen, könnten die Partikeln fett markiert werden, vgl. (1)-(4). Diese Hervorhebung lässt sich auch dadurch rechtfertigen, dass Verbpartikeln (z. B. ab , auf , zu , an , ein , …) im Unterschied zu Verbpräfixen (z. B. be -, er -, ent -, ver -) den Akzent tragen, vgl. ab fragen , an fragen vs. be fra gen , er fra gen .
Um die Lernenden an die morpho-syntaktischen Eigenarten von PartikelverbenPartikelverben heranzuführen und ihnen eine Mustererkennung der Verwendungsweisen zu ermöglichen, ist es ratsam, zunächst eine Auswahl an nur wenigen, frequent gebrauchten Partikelverben zu treffen. Wählt man hierbei einen semantisch unspezifischen Verbstamm, wird der Fokus automatisch auf die Partikel gelenkt, da sie die zentrale Bedeutung enthält (z. B. auf machen , zu machen , an machen ). Bei einer solchen wohl überlegten Auswahl an Partikelverben gelingt es dem Lernenden leichter als bei einem Überangebot an verschiedenen Partikeln und Verbstämmen (wie häufig in Lehrbüchern zu finden) das zugrundeliegende System der Verwendungsmuster zu durchschauen und zu verinnerlichen. Hierauf aufbauend lässt sich dann systematisch der Verbwortschatz erweitern und die Produktivität einzelner Partikelverbmuster erfahren, vgl. (5) und (6).
(5) |
Wie, auf welche Art und Weise kann man etwas auf machen ? auf drehen , auf schrauben , auf ziehen , auf drücken , auf brechen , auf stoßen , … |
(6) |
Wie, auf welche Art und Weise kann man ins Klassenzimmer rein kommen ? rein rennen, rein schlendern, rein schleichen, rein schlurfen, rein poltern, rein stolpern, … |
Mit der PartikelverbbildungPartikelverbbildung haben wir nun also neben der KompositionKomposition, DerivationDerivation und KonversionKonversion, vgl. Tab. 3.1, einen weiteren, wenn auch aufgrund seiner morpho-syntaktischen Eigenarten speziellen, im Deutschen aber sehr präsenten Wortbildungstyp identifiziert. Die Schwierigkeiten, die Lernende mit PartikelverbenPartikelverben haben, können auf ihre Trennbarkeit und Distanzstellung zurückgeführt werden. Dies gilt insbesondere für SprachanfängerInnen und wird in den Kapiteln 5 und 12 zur Wortstellung noch einmal thematisiert. Bei fortgeschrittenen Deutschlernenden geht es vor allem darum zu durchschauen, welche Bildungen produktiv sind, vgl. (5), und somit auch für eigene Wortschöpfungen zur Verfügung stehen, und welche lexikalisiert sind (z. B. aufräumen , auffinden ).
Wenden wir uns im Folgenden noch einmal den anderen Wortbildungstypen zu. Besonders „berüchtigt“ ist die deutsche Sprache für ihre starke Neigung zur KompositionKomposition (Roelcke 2011: 56). Auf eindrückliche Weise zeigt sich vor allem bei diesem Wortbildungstyp ein Hang zu komplexen Wortkonstruktionen. Man vergleiche hierfür nur einmal die Konstruktion Unabhängigkeitserklärung mit der englischen Entsprechung Declaration of Independence . Die meisten Lernenden zeigen sich überrascht, was das Deutsche für „Bandwurmwörter“ hervorbringen kann, und wissen nicht recht, wie sie damit umzugehen haben.
Ausgehend von einfachen, häufig gebrauchten Komposita ( weinrot , Rotwein , Haustür ), lassen sich zunächst die Grundregeln der KompositionKomposition vermitteln. So bestimmt das rechtsstehende Element nicht nur die WortartWortart sondern auch die Flexionsklasse. Daher lassen sich Übungen mit N+N-Komposita auch gut verbinden mit Übungen zum grammatischen Geschlecht: das Haus + die Tür → die Haustür (zur Genuskategorie siehe auch 4.2.1).
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