»Das funktioniert doch niemals!«, ereiferte ich mich. »Was ist, wenn es Trittbrettfahrer sind?«
»Das ist so gut wie ausgeschlossen. Letzte Gewissheit bekommen wir nachher. In dem Erpresserschreiben wird die genaue Mischung des Sprengstoffs beschrieben. Reste davon haben die Entenbobbys inzwischen bergen können.«
Ich kannte den Spaßausdruck für die Wasserschutzpolizei und wollte gerade etwas erwidern, als die Tür aufgerissen wurde. So zornig hatte ich KPD selten erlebt. Polternd setzte er sich zu uns an den Tisch.
»Denen hab ich’s aber gegeben!«, begann er ohne Begrüßung zu schelten. »Das Landeskriminalamt wird immer dreister. Nur weil wir hier einen kleinen Deichbruch haben, wollen die den Fall an sich reißen. Lächerlich, was die sich alles einbilden! Ich habe denen kräftig die Meinung gegeigt. Hier in meiner Dienststelle bewerte ich die Lage immer noch selbst. Solange ich ein guter Chef bin, können wir das allein regeln. Mit meinem Organisationsgeschick dürfte das eine leichte Übung sein.«
Fassungslos glotzten wir ihn an. Bevor einer von uns auch nur den Hauch einer Chance hatte, etwas zu sagen, fuhr er fort: »Selbstverständlich kommt kein Geld in die Kiste. Mit meiner Erfahrung schnappen wir die Spinner bei der Geldübergabe. Meine Herren –«, damit wandte er sich Gerhard und mir zu, »auf Sie warten die Kollegen von der Wasserschutzpolizei. Ich habe den Termin für Sie vereinbart. Die Beamten zeigen Ihnen die Deichbruchstellen von der Rheinseite aus. Anschließend wartet der Hubschrauber. Da wir bei uns im Hof wegen der Bäume keinen geeigneten Platz haben, wird er vor dem Gebäude der Wasserschutzpolizei landen. An diesem Ort wird auch die Metallkiste befestigt, geeignete Spezialisten sind unterwegs. Sie sehen, ich habe alles bestens organisiert. Sie brauchen fast nichts mehr selbst zu tun. Frau Wagner wird heute Abend während der Geldübergabe den Funkverkehr abhören und die Kollegen von der Schutzpolizei zum Abwurfort lotsen. Ich selbst habe leider keine Zeit. Wegen der ausgefallenen Weihnachtsfeier muss ich zu jedem Bürgermeister fahren und mich entschuldigen. Frau Wagner, Herr Steinbeißer, Herr Palzki – ich verlasse mich auf Sie!«
Mit diesen Worten war er wieder verschwunden.
»Das ist typisch KPD«, fasste Jutta zusammen. »Zuerst das Landeskriminalamt zusammenstauchen, das viel bessere Möglichkeiten hätte als wir, und danach die Fliege machen. So wie es aussieht, Reiner, bist du nun der Verantwortliche.«
Mein Rachen brannte fürchterlich, als ich die verbliebene halbe Tasse Sekundentod auf Ex hinabstürzte. »Dann wollen wir mal. Lasst uns diese Gauner schnappen, dann haben wir wenigstens einen freien Sonntag.«
»Siehst du das nicht vielleicht ein bisschen zu naiv?«, wandte Gerhard ein.
»Vielleicht. Aber zu Hause sitzt Stefanie und wartet auf mich. Los, lass uns fahren.« Als wir fast zur Tür draußen waren, fiel mir ein: »Jutta, was machst du jetzt eigentlich? Wer löst dich ab?«
»Machst du Witze? Selbstverständlich bleibe ich im Dienst. Die ganze Aktion muss koordiniert und überwacht werden. Wer sollte das übernehmen? Ich schau, dass ich da oben –«, sie zeigte mit der Hand in Richtung Sozialraum, der einen Stock höher lag, »nicht mehr gebraucht werde. Das dürften die Kollegen allein gebacken bekommen. Macht ihr euren Ausflug auf dem Rhein, bis heute Nachmittag wird der Hubschrauber startklar sein.«
Hubschrauber. Warum musste sie das nochmals erwähnen. Ich war bisher ein einziges Mal in so einem Ding gesessen und habe gekotzt wie bei meiner ersten Obduktion mit Dr. Hingstenberg. Ich versuchte, die Erinnerung daran zu verdrängen.
»Los, Gerhard, heute fahre ich.«
»Das geht auch nicht anders«, antwortete er. »Mein Wagen sieht aus wie nach der Rallye Paris–Dakar. Wenn wir damit bei der Entenpolizei auftauchen würden –«
Wir fuhren nach Ludwigshafen. Die Dienststelle der Wasserschutzpolizei befand sich seit noch nicht allzu langer Zeit in der Hafenstraße auf der Parkinsel. Die frühere Dienststelle musste der neu gebauten Rhein-Galerie weichen, einem riesigen und kontrovers diskutierten Einkaufszentrum direkt am Rhein, mit dem Ludwigshafen versuchte, die nach Mannheim flüchtende Kaufkraft in der pfälzischen Metropole zu halten. Die Dienststelle war nicht leicht zu finden. Nur ein Hinweisschild an der breiten Einfahrt eines Unternehmens zeigte uns, dass wir richtig waren. Im hinteren Bereich eines fußballfeldgroßen Parkplatz fanden wir einen freien Platz. In einer Ecke versteckte sich ein dreistöckiges Gebäude. Die Eingangstür stand offen. Anhand der Klingelschilder erkannten wir, dass neben der Dienststelle weitere Unternehmen in dem Gebäude ansässig waren. Im Treppenhaus konnten Gerhard und ich keine Hinweise auf unsere Kollegen finden. Also gingen wir nach dem Ausschlussverfahren vor. Alle vom Treppenhaus abführende Türen waren mit Firmenschildern bestückt. Die Sache war klar: Wir mussten einen Stock höher. Dort das gleiche Spiel. Als wir die Hälfte der Treppe zum dritten Stock nach oben gegangen waren, erkannten wir am Ende des Treppenaufgangs eine einzelne Tür, die wie ein Speicherzugang aussah. Verwundert blieben wir stehen.
»Haben wir etwas übersehen, Gerhard? Warst du schon einmal hier?«
Mein Kollege verneinte. »Von einem Keller habe ich auch nichts bemerkt.«
Ich schmunzelte. »Vielleicht arbeiten die Kollegen komplett auf dem Wasser? Ich habe sowieso nie ganz verstanden, was die so machen.«
Zu unserer Rettung wurde in diesem Moment die Speichertür geöffnet und ein uniformierter Kollege schaute heraus. »Wollen Sie zu uns?«, fragte er höflich.
»Wenn ich Sie so anschaue, stimmt die Richtung. Wir kommen von der Kripo Schifferstadt.«
»Ah, die Landratten. Wir warten schon eine Weile auf Sie. Kommen Sie hoch.«
Hinter der Speichertür erwartete uns eine ganz normale Dienststelle, die sich über das gesamte Stockwerk zog. Ein Mann mit mehreren Streifen auf seiner Uniform kam auf uns zu.
»Herr Palzki, Herr Steinbeißer, herzlich willkommen bei uns. Mein Name ist Heinz Strommeier. Ich bin der Dienststellenleiter der Wasserschutzpolizei Ludwigshafen. Kommen Sie bitte mit in mein Büro.«
Während wir ihm folgten, fuhr er fort: »Ich habe zwar gerade Besuch, aber das soll Sie nicht stören.«
Erstaunt blickten wir in das knabenhafte Gesicht von Dietmar Becker, dem Archäologiestudenten. Dieser Grobmotoriker mit seinem ausgeprägten Gewissen, das ihn bei der kleinsten Lüge rot werden ließ, tauchte seit Monaten stets unverhofft während meiner Ermittlungsarbeiten auf. Anfangs schien es noch zufällig zu sein, bis ich erfuhr, dass er nicht nur nebenbei als freier Journalist für Zeitungen arbeitete, sondern als Schriftsteller regionale Kriminalgeschichten schrieb. Die Verbrechen schienen ihn magisch anzuziehen. Trotzdem mochte ich ihn wegen seiner ehrlichen und offenen Art.
»Was machen Sie hier, Herr Becker? Ich habe schon fast Sehnsucht nach Ihnen bekommen.«
Herr Strommeier stand da, unfähig, etwas zu sagen.
»Hallo, Herr Palzki«, grinste mich der Student an. »Ich habe selbst erst vor ein paar Minuten erfahren, dass Sie einen Termin mit Herrn Strommeier haben.« Er schaute mich fragend an: »Hat es mit dem Deichbruch zu tun, von dem ich im Radio hörte?«
Der Chef der Wasserschutzpolizei fand seine Sprache wieder. »Oh, ich wusste nicht, dass Sie sich kennen. Herr Becker ist nur zufällig hier. Er will einen Artikel über unsere Polizeiarbeit schreiben. Viele Menschen wissen überhaupt nicht, was wir so den ganzen Tag treiben, daher habe ich ihm selbstverständlich Unterstützung zugesagt. Da wir samstags meist wenig Betrieb haben, habe ich ihn zu einer kleinen Fahrt auf dem Rhein eingeladen, um ihm unsere Aufgabengebiete plastisch vorzuführen. Dummerweise habe ich in der Hektik vergessen, den Termin zu verlegen.«
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