»Da wüsste ich gar nicht, wo ich anfangen soll«, sagt Marco.
»Haben Sie denn schon mal gemeinsam eine Therapie gemacht?«
»Ich war vor Jahren mal bei einer Beratung«, sagt Susan. »Marco hat noch nie eine Therapie gemacht, und in der Eheberatung waren wir auch noch nicht.«
»Wie ist es denn für Sie, heute hier zu sein, Marco?«, frage ich und sehe ihn an.
»Ganz in Ordnung, denke ich«, antwortet er. »So richtig wohl fühle ich mich allerdings nicht, wenn Sie darauf rauswollen. Ich musste erst mal überzeugt werden, dass das eine gute Idee ist.«
»Haben Sie denn spezifische Bedenken darüber, hier zu sein?«
»Ich weiß, dass wir Hilfe brauchen, und deshalb bin ich hier. Aber ich will nicht unter Druck gesetzt werden. Sie wissen schon: zwei Frauen, ein Mann, so in der Richtung.«
»Danke, dass Sie das offen ausdrücken«, sage ich. »Ich will auf keinen Fall, dass Sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Wenn das doch mal der Fall sein sollte, würde es mir helfen, wenn Sie es mir sagen.«
»Okay«, sagt er. »Das mache ich.«
»Darauf können Sie sich verlassen!«, sagt Susan lächelnd.
»Wie steht es mit Ihnen, Susan?«, frage ich. »Irgendwelche Bedenken?«
»Ich bin eher erleichtert als besorgt, hier zu sein«, sagt Susan.
THERAPEUTISCHE TIPPS 
Um Sicherheit zu schaffen, müssen wir offen für die Bedenken des Paares sein und auch jene seiner Teile willkommen heißen, die sich nicht so leicht äußern.
Viele Menschen sprechen nicht von sich aus über zwiespältige Gefühle, Ängste und Skepsis; außerdem geben sie eventuell nur zögernd zu, dass sie in einer früheren Therapie verletzt wurden.
Sich nach Bedenken zu erkundigen, kann auch für uns in der therapeutischen Rolle befreiend wirken. Wenn wir die Einstellung jener Teile erfahren haben, die nicht in der Sitzung sein wollten, hilft uns das zu verstehen und zu akzeptieren, falls das Paar sich entscheidet, nicht wiederzukommen.
Die Ziele und Absichten des Paares, die sich unweigerlich im Lauf der Zeit verändern, geben unsere Richtung vor und halten den Therapieprozess auf Kurs. Besteht ein Ziel zum Beispiel darin, die Art der Kommunikation zu ändern, ermöglicht uns das, auf dysfunktionale Kommunikationsmuster hinzuweisen. Wenn wir umgekehrt Fortschritte hinsichtlich der Ziele bemerken, ist das von unschätzbarem Wert in jenen schwierigen Momenten, wenn die Partner den Eindruck haben, mit den ewig gleichen Themen im Kreis zu gehen. Das äußert sich etwa in Ansichten wie Wenn er sich nicht ändert, kann ich einfach nicht weitermachen oder Das Problem ist doch eigentlich meine Frau – können Sie die vielleicht wieder hinbekommen?
Wir sollten es uns immer zum Prinzip machen, Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche der beiden wahrzunehmen. Dann können wir darauf reagieren, indem wir ihnen versichern, dass ihre Sorgen während der Therapie erforscht werden.
In einer frühen Therapiephase ist das Paar oft in einer Polarität zwischen hoffnungslosen und hoffnungsvollen Teilen gefangen. Wenn sich die Beziehung gerade stabil anfühlt oder wenn eine Therapiesitzung gut läuft, dominiert die Hoffnung, und mit gutem Timing kann sie zu Veränderungen beitragen. Verfrühte Hoffnung führt jedoch eher zu Enttäuschung, weil es doch wieder zu Konflikten kommt und weil bei den Therapiesitzungen ein Gefühl der Unvollständigkeit herrscht. Um eine solche Polarität zu entschärfen, spreche ich mit dem Paar über die vorhandenen Möglichkeiten .
»Das hört sich ganz so an, also ob Sie beide manchmal darin festhängen, sich abwechselnd hoffnungsvoll und hoffnungslos zu fühlen?«, frage ich.
»Ja, und das Hin und Her ist schlicht erschöpfend«, sagt Susan.
»Das verstehe ich«, sagte ich. »Sogar so gut, dass ich Ihnen etwas Neues vorschlagen will. Statt sich so angestrengt an Hoffnungen zu klammern und dann doch enttäuscht zu werden, könnten Sie sich vorläufig daran festhalten, dass es eine Möglichkeit zur Veränderung gibt. Hoffnung orientiert Sie nämlich in die Zukunft, während Hoffnungslosigkeit Sie in die Vergangenheit zurückwirft. Wenn Sie sich aber an das halten, was hier und jetzt möglich ist, wenn Sie einen Schritt nach dem anderen tun und sich auf Ihre Absicht konzentrieren, Ihre Beziehung zu verändern, verschafft Ihnen das meiner Erfahrung nach einen gewissen Abstand vom Auf und Ab der hoffnungsvollen und hoffnungslosen Teile. Das sind Teile, die Ihre Hilfe brauchen, und ich kann Ihnen zeigen, wie Sie ihnen helfen können.«
»Ich glaube, ich verfange mich in diesem Kreislauf öfter als Marco«, sagt Susan.
»Nein, mir passiert das auch«, sagt er. »Es ist schwer, das nicht zu tun, weil es so schnell passiert.«
Die Anfänge der Beziehung
Wenn in den ersten ein oder zwei Sitzungen genügend Zeit ist, sollte man sich nach dem Anfang der Beziehung erkundigen. Wie hat das Paar sich kennengelernt, was am anderen hat sie angezogen, wie war es, miteinander auszugehen und sich zu verlieben? Oft entspannen beide sich dann und erinnern sich daran, wieso sie zusammen sind. Außerdem löst es die wichtige Frage aus: Was ist eigentlich mit uns passiert? Das Gespräch darüber könnte man wie folgt einleiten.
»Erzählen Sie mir doch mal, wie Sie sich kennengelernt haben und was sie aneinander angezogen hat!«
Die beiden lächeln sich an.
»Willst du anfangen?«, fragt Susan.
»Ich weiß noch, wie ich Susan zum ersten Mal gesehen habe«, erzählt Marco. »Ich war richtig überwältigt. Damals hat sie im Sommerlager einen Lauf organisiert, an dem ich teilgenommen habe. Sie war nicht nur kompetent, sondern hat auch noch toll ausgesehen. Aber als ich versucht habe, sie auf mich aufmerksam zu machen, hat sie mich völlig ignoriert.«
»Ich war doch total mit der Organisation beschäftigt! Außerdem war ich verschwitzt, dreckig und erschöpft. Überhaupt nicht sexy.«
»O doch, total sexy«, sagt Marco.
»Und wie ging es weiter?«, fragte ich.
»Er hat sich bei einer Freundin meine Telefonnummer besorgt«, berichtet Susan. »Ich habe mich gar nicht an ihn erinnert, aber diese Freundin hatte mich schon angerufen und mir gesagt, ich soll unbedingt mit ihm ausgehen. Deshalb habe ich das getan!«
»Und?«, frage ich.
»Er war toll. Warmherzig, lustig, charmant.«
»Wie ist es, sich daran zu erinnern?«, fragte ich.
»Schön«, sagt Susan.
»Traurig«, sagt Marco.
Dem Paar die Konzepte von IFIO vorstellen
Während wir zuhören, wie die beiden ihre Geschichte erzählen und ihre Absichten, Visionen und Ziele erforschen, führen wir langsam die grundlegenden Konzepte des IFIO-Modells ein, und zeigen auf, wie unser Gehirn in einer Beziehung funktioniert. Dabei reagieren manche Paare eher skeptisch, während andere mit der Vorstellung, dass der menschliche Geist aus vielen unterschiedlichen Teilen besteht, sofort etwas anfangen können. Es beruhigt sie zu hören, dass wir alle Verbundenheit brauchen, dass Bedürftigkeit jedoch Verletzlichkeit hervorruft, was oft zu Frustration führt.
Unser Ziel ist es, dass die beiden sich zunehmend von ihren Teilen lösen, damit sie ihre Probleme mit mehr Objektivität und Mitgefühl angehen können. Da ein bisschen Erklärung viel bewirkt, ist es am Anfang womöglich am wichtigsten, ihnen die Sprache der Teile zu vermitteln. Aussagen wie Ich nehme wahr, dass ein Teil von Ihnen X empfindet, ein anderer Teil hingegen Y macht die beiden darauf aufmerksam, dass sie solche Teile in sich tragen. Das ist der erste Schritt in dem relativ langen Prozess zu lernen, wie man sich von Teilen löst (zu einer ausführlichen Beschreibung dieses Vorgangs siehe Anhang 1). Von diesem Thema war bereits die Rede, und es wird uns auch weiter beschäftigen.
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