Nachdem das Paar im 2. bis 6. Kapitel gelernt hat, sich von seinen Teilen zu lösen, sich selbst zu regulieren, auf neue Weise miteinander zu kommunizieren und aus der Vergangenheit stammendes Trauma zu entlasten, ist eine gute Grundlage entstanden, um uns im 7. Kapitel dem schwierigen Austausch über die Unterschiede und Bedürfnisse zuzuwenden, mit denen die beiden zur Therapie gekommen sind, weil ihnen die entsprechende Fähigkeit zur Toleranz fehlte. Da sie nun das Kindheitsdilemma der anderen Person verstehen und fähig sind, ihre Bedürfnisse einladend statt bedrohlich vorzubringen, sind sie bereit, mit offenem Herzen zu kommunizieren. Wir vermitteln ihnen nun, wie man Bedürfnisse verhandelt, Enttäuschungen aushält und eine neue Art, zu sprechen und sich zu verhalten praktiziert, um Bedürfnisse zu erfüllen. Außerdem lernen sie, jene Momente der Verbundenheit zu nutzen, die eine Beziehungsentlastung ermöglichen.
Im 8. Kapitel vertiefen wir das Thema Bedürfnisse, wobei wir uns darauf konzentrieren, was geschieht, wenn Bedürfnisse sich treffen und wenn sie sich im Konflikt befinden. Alle Menschen brauchen Liebe und Verbundenheit, aber ihre hart arbeitenden beschützenden Teile sind oft polarisiert, sowohl innerlich (mit anderen Teilen) als auch äußerlich (mit den beschützenden Teilen der anderen Person). Unser Ziel ist es, beiden zu helfen, sich von ihren Beschützern zu lösen und deren Polarisierung zu beenden, damit sie bei der unvermeidlichen Verhandlung über Bedürfnisse geschickter vorgehen können.
Im 9. Kapitel betrachten wir das Gefühl der Beschämung aus der Beziehungsperspektive und beschäftigen uns mit der Schlüsselrolle, die der Akt des Beschämens und das Gefühl der Beschämung bei allen psychischen Lasten spielen. Wir unterstützen das Paar dabei, das Wesen von Beschämung zu verstehen, den Teufelskreis von Beschämung und Schuldzuweisung zu durchbrechen und die beschämten Teile zu heilen.
Im 10. Kapitel kommt die Kreativität zum Zug, die wir im gesamten Buch propagieren. Die Erfahrung des Paares wird vertieft, indem wir es während der Therapiesitzung dazu auffordern, mit neuen Verhaltensweisen zu experimentieren.
Im 11. Kapitel geht es um die Frage, weshalb schwierige Fälle aus unserer Perspektive schwierig sind. Um mit IFIO Erfolg zu haben, müssen wir aufmerksam auf unser eigenes inneres System lauschen und in der Lage sein, uns schnell und häufig von unseren Teilen zu lösen. Wir greifen daher auf das 6. Kapitel zurück und stellen ausführlicher dar, inwiefern unsere persönliche Arbeit als Therapeutin oder Therapeut, uns von Teilen zu lösen und die Beziehung zwischen unseren Teilen und dem Selbst zu entwickeln, entscheidend für eine geschickte Reaktion auf das Geschehen in der Sitzung ist, egal, wie das Paar sich verhält. Damit endet die zweite Phase.
In der dritten Phase, die im 12. Kapitel behandelt wird, stehen Versöhnung und der Schritt in die Zukunft im Vordergrund. Dieser Abschluss der Behandlung, der wie der Anfang die breite und vielfältige mittlere Phase einrahmt, hat wieder einen engeren Fokus. Hier geht es um Wiedergutmachung, Auflösung, Vergebung und den Beginn einer Beziehung, in der Toleranz für die vorhandenen Unterschiede (wenn nicht sogar die Freude daran) im selben Maße vorhanden ist wie Liebe und Gegenseitigkeit.
Die drei Phasen der Paartherapie in IFIO
Phase 1: Anfang
Erstes Gespräch mit dem Paar, um den Grad an Differenzierung zu beurteilen.
Erfahren, was die beiden fürchten.
Erfahren, was sie wollen, welche Hoffnungen, Wünsche und Ziele sie haben.
Möglichkeiten anbieten.
Phase 2: Der Fluss der Mitte und seine Strudel
Was wir tun:
Dem Paar neue Kommunikationsfähigkeiten vermitteln, die beiden helfen, sich von ihren Teilen zu lösen und ihr vegetatives Nervensystem zu regulieren.
Die Erlaubnis erhalten, die Rolle eines Teile-Detektors einzunehmen.
Aufdecken, wie die beiden streiten und auf welche Weise sie verletzlich sind, darunter:wie sie Bedürfnisse verhandeln;wie sie sich gegenseitig beschämen;wie sie auf die Beschämung reagieren (das heißt, wie ihre beschützenden Teile sie beschämen).
Den beiden die neuen Kommunikationsfertigkeiten aufzeigen, die wir ihnen vermitteln wollen.
Ihnen Körperbewusstsein vermitteln und ihre Arbeit mit Erfahrungsübungen vertiefen.
Die Beziehungsentlastung fördern und verstärken.
Einzelarbeit, darunter:Lösen von Teilen;Entlastung von Beschämung;Partnerin oder Partner als Zeugen haben;neue Kommunikationsfertigkeiten üben;Rückkehr zu den Beziehungsbedürfnissen;Einüben von Fertigkeiten, die eher zur Befriedigung von Bedürfnissen führen.
Hier wirken wir unterstützend und lenkend, während das Paar, das jetzt fähig ist, sich von seinen Teilen zu lösen, allmählich das Geschehen übernimmt:
Die andere Person als Ressource sehen statt als die Person, die verletzt oder als Retter(in):den Reparaturprozess anleiten;Vergebung zustande bringen.
Wenn die beiden vorwärtsschreiten, eine Beziehung erschaffen, in der zugleich Unterschiede anerkannt werden und eine gemeinsame Vision vorhanden ist.
Anfang
Grundlagen der IFIO-Therapie
Paarbeziehungen bilden den Kern unserer sozialen Verbindungen, indem sie uns helfen, uns zu entwickeln, tiefe Liebe zu empfinden und Verluste zu ertragen (Bowlby 2006; Coan 2006; Johnson 2009, 2014). Wenn ein Paar in einem Zustand von Entfremdung, Wut und Trauer über den Verlust der Vertrautheit mit einer Therapie beginnt, hat es oft zwei Ziele, die ihm wie Gegensätze vorkommen: sich sicher zu fühlen und die Vertrautheit wiederherzustellen. Der IFIO-Ansatz bietet eine Methode, diese Ziele zu erreichen. In den folgenden Kapiteln beschäftigen wir uns damit, wie Vertrautheit hergestellt wird, und erforschen, was dem in die Quere kommt, vor allem, wenn man einander beschämt und sich beschämt fühlt. Wir vermitteln dabei, wie man als Paar mit den natürlich in unserer Psyche vorhandenen Unterpersönlichkeiten, unseren Teilen , arbeitet.
Da IFIO von den Konzepten und dem Modell der Psyche ausgeht, die von Richard C. Schwartz im Rahmen von IFS entwickelt wurden, soll zuerst darauf eingegangen werden. Fangen wir mit den Teilen an. Alle Modelle der Psyche, die sich mit innerpsychischen Konflikten beschäftigen, gehen von mehreren psychischen Anteilen aus. Freud (2000) spricht von Es, Ich und Über-Ich, Jung (1991) von Archetypen und Komplexen, Assagioli (2004) von Unterpersönlichkeiten; von Watkins und Watkins (2019) stammt die Ego-State-Therapie. Dazu kommen verschiedene Ansätze, die mit dem inneren Kind arbeiten. Laut Schwartz (2018) denken und fühlen unsere Teile, sie haben Überzeugungen, führen alltägliche Handlungen aus und wirken in komplexer Weise auf unsere Beziehungen ein. Jeder Teil besitzt seinen eigenen Erfahrungsschatz. Wenn es den Teilen überlassen bleibt, ihre Erfahrungen ohne Führung einer zuverlässigen Elternfigur zu bewältigen, können sie von Emotionen überflutet, kognitiv verwirrt und mit untragbaren Überzeugungen belastet werden. Ist das der Fall, übernehmen manche Teile eine beschützende Rolle und entwickeln Überlebensstrategien, die dem Augenblick und der Entwicklungsstufe der Person angepasst sind. In dem Moment sind diese Strategien zwar nützlich, aber sie sind oft alles andere als optimal, was die spätere Lebensqualität und ein langfristiges inneres Wachstum angeht.
Egal, wie dysfunktional das Verhalten solcher beschützender Teile wirkt, sobald die Krise vorüber ist, vertreten sie eine altruistische Motivation, wenn wir mit ihnen sprechen (was wir tun können). Sie handeln im Dienste des Überlebens und nach besten Kräften. Daher besteht das Ziel der Behandlung nicht darin, sie zu kontrollieren oder loszuwerden, sondern sie zu befreien. Glücklicherweise können wir unseren verletzlichen, konfliktträchtigen Teilen helfen, weil wir ein Selbst besitzen. Das Selbst in jedem von uns ist fähig, verwundete Teile zu heilen und unser inneres System mit Mut, Weisheit und Mitgefühl zu führen (Schwartz 2018). Die Vorstellung eines Selbst ähnelt dem, was in verschiedenen spirituellen und philosophischen Traditionen als Buddha-Natur, Seele, inneres Licht, Tao oder Flowzustand bezeichnet wird. Es handelt sich um einen energetischen Zustand, der uns allen verfügbar ist und der weder verwundet noch beschädigt werden kann. Dennoch kann es schwierig sein, Zugang dazu zu finden, vor allem, wenn in der Kindheit problematische Umstände geherrscht haben. Der IFIO-Ansatz hilft einem Paar, Zugang zum Selbst beider Personen zu erhalten. Dadurch wird diese wirksame Ressource – zusammen mit dem Konzept der Teile – im Rahmen der Beziehung zu einem Instrument, das zu Wachstum und Heilung der beiden Individuen und des Paares beiträgt.
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