Die Grundstruktur von IFIO
Bei der Paartherapie im Kontext von IFIO geht es um die Dialektik zwischen der Planung der allgemeingültigen Aspekte, die wir vorhersehen können, und der geschickten Reaktion auf alles andere. Vorhersehen können wir zum Beispiel, dass unsere Klientinnen und Klienten sich sicher fühlen wollen, dass sie lieben und geliebt werden wollen. Ebenso vorhersehbar ist, dass sie verletzte Teile in sich tragen, die von beschützenden Teilen auf verschiedene Weise zu Verbannten gemacht wurden. Der Schutz durch diese Teile war zwar früher einmal nötig, ist inzwischen jedoch zu einem wesentlichen Aspekt des Problems geworden. Vorhersehbar ist weiter, dass wir bei der Therapie die Kooperation der Beschützerteile des Paares erlangen müssen, damit die Behandlung Erfolg hat. In den folgenden Kapiteln werden viele weitere vorhersehbare Aspekte von Denken und Verhalten zur Sprache kommen.
Im Gegensatz dazu gibt es ein breites Spektrum an inhaltlichen Problemen (wie etwa eine Affäre) und während einer Sitzung auftretenden Verhaltensinteraktionen (wie Ärger oder Wut), die bei jedem Paar vorkommen können, aber nicht vorhersehbar sind, weil sie nicht immer auftreten. Sie treffen uns als Behandelnde eher unvorbereitet. In IFIO ist es unser Ziel, uns von unseren eigenen beschützenden Teilen zu lösen. Egal, was geschieht, können wir dann spontan und vom Herzen her auf das Paar reagieren. Wir können unsere durch innere Weisheit, Lebenserfahrung und Ausbildung entstandene Kompetenz anwenden, ohne uns an Vorstellungen zu klammern, wie es in der Therapie laufen sollte.
Grundlegende Dialektik der therapeutischen Rolle: Vorbereitet sein und vom Selbst geführt werden
Auf der einen Seite dieser Grundstruktur steht die Fähigkeit, vorbereitet zu sein. Wie erwähnt, sollten wir wissen und verstehen, was universell und vorhersehbar ist, nämlich die komplexe Struktur des menschlichen Geistes und seine Funktion. Dazu gehören Teile (wie Schwartz diese Phänomene nannte) und der unbeschädigte Kern: das Selbst (Schwartz 2018). Dieses Selbst, das wir alle besitzen, kanalisiert die für unser psychisches Gleichgewicht nötigen Emotionen, darunter Interesse und Mitgefühl. Es stellt eine bemerkenswerte emotionale Stabilität und Weisheit zur Schau. Werden wir jedoch beschämt, treten beschützende Teile in Aktion. Kurzfristig können deren Strategien lebensrettend sein, aber langfristig bewirken sie eine innere wie äußere Wiederholung der ursprünglichen Verletzung. Über das alles wissen wir Bescheid.
Auf der anderen Seite unserer therapeutischen Grundstruktur steht die Fähigkeit zur Selbstführung (Schwartz 2018), durch die wir mit dem umgehen können, was nicht vorhersehbar ist. Vom Selbst geführt zu sein bedeutet, eine gute Beziehung zu unseren Teilen zu haben, damit wir uns von ihnen lösen können (Schwartz 2018), um bei allem, was geschieht, präsent zu sein. Wir wenden dann die Energie des Selbst und unser intuitives Wissen an, um zu entscheiden, welches Werkzeug im jeweiligen Augenblick geeignet ist. Auf der Basis dieser Dialektik zwischen dem Vorhersehbaren und dem Unvorhersehbaren führen wir durch die drei Behandlungsphasen, die in diesem Buch vorgestellt werden: Anfang, Mitte und Ende.
Die drei Phasen der Behandlung
Um die erste Phase, den Anfang, geht es im 2. Kapitel. Hier wird dargestellt, worauf man achten sollte, während man sich mit dem Paar vertraut macht, und wie das IFIO-Modell in der Therapie eingeführt wird.
Die mittlere zweite Phase umfasst den Großteil der Therapie. Wir haben ihr den Titel Der Fluss der Mitte und seine Strudel gegeben. Ausgedrückt werden soll damit einerseits die Vorwärtsbewegung, die durch den Wunsch des Paares entsteht, wieder eine Verbindung zueinander herzustellen, und andererseits das unvermeidliche Kreisen an steinigen Stellen, das die therapeutische Arbeit darstellt. Unser Prozess ist nicht linear. Wir wiederholen Neugelerntes, das einen Gegensatz zu den alten, lang gehegten Vorstellungen des Paares darüber darstellt, was Sicherheit und Geborgenheit bedeutet, wir stellen die fest verwurzelten beschützenden Teile behutsam auf den Prüfstand, und wir helfen den beiden, alte Wunden zu heilen. Notwendigerweise bewegen wir uns dabei hin und her zwischen dem, was wir wissen – dem Vorhersehbaren –, und dem, was in diesem Moment bei diesem speziellen Paar zum Vorschein kommt – dem Unvorhersehbaren. Um mit Letzterem umzugehen, verknüpfen wir unseren Schatz an Wissen mit der Bereitschaft, uns anregen zu lassen und zu improvisieren.
Diese mittlere Phase wird in neun Kapiteln beschrieben. Den Anfang bildet das 3. Kapitel, das darstellt, wie wir die negativen Interaktionszyklen des Paares identifizieren und aufdecken. Diese Methode setzen wir während der gesamten Behandlung ein, um dem Paar zu helfen, sich von beschützenden Teilen zu lösen und Abstand vom Inhalt zu gewinnen. Dadurch kann es erkennen, wie unbefriedigte Bedürfnisse, vor allem solche nach Sicherheit, Verbundenheit und Liebe, den Streit anfachen. Sobald diese Bedürfnisse identifiziert sind, können die Partner sich vertikal in ihre persönliche Last aus Verletzungen, Übergriffen und durch Trauma verursachten Überzeugungen versenken und an der inneren Heilung arbeiten. Die Gelegenheit zu individueller Arbeit kann sich zwar in jeder Phase der Behandlung ergeben, behandelt wird dieses Thema jedoch im 5. Kapitel.
Zuerst geht es jedoch im 4. Kapitel darum, dem Paar neue Kommunikationsfertigkeiten zu vermitteln. Sie ermöglichen es, sich von den eigenen Teilen zu lösen, um für diese Teile sprechen und ihnen vom Selbst aus zuhören zu können. Beim Einüben dieser Fertigkeiten interessiert uns besonders, dass das Paar ein Gefühl für die Regulierung des vegetativen Nervensystems bekommt und dass es genügend Vertrauen zu uns entwickelt, damit wir als Teile-Detektor (Schwartz 2018) dienen können. Das heißt, wir erhalten die Erlaubnis, zu erkennen, wenn eine Verschmelzung mit einem Teil vorhanden ist. Dann unterbrechen wir das Geschehen, damit eine Lösung von dem beschützenden (oder verbannten) Teil stattfinden kann. In der Rolle als Teile-Detektor geben wir auch ein Beispiel dafür, dass man sich nicht schämen muss, indem wir Interesse für verabscheute oder blamierte Teile zeigen. Um zu vermeiden, Klienten zu beschämen, und um ihre Kooperation zu erlangen, machen wir sie ferner auf unsere Ziele aufmerksam und erhalten von ihnen die Erlaubnis für die Rolle, die wir spielen, und für die Strategien, die wir anwenden wollen. Weil das bedeutet, dass beide Beteiligten dieses Angebot ablehnen können, ist es wichtig, weitere Optionen zur Hand zu haben und bereit zu sein, sich entsprechend anzupassen.
Im 5. Kapitel behandeln wir die innere Arbeit, mit der Wunden geheilt werden. Sie ist zwar von IFS abgeleitet, aber bei der Arbeit mit einem Paar kommt das Element der Beziehungsentlastung hinzu. Bei der Einzelarbeit fangen wir mit der Lösung von beschützenden Teilen an, bei einem Paar müssen beide sich so von ihren Teilen lösen, dass sie die verletzten, belasteten Teile der anderen Person mit Mitgefühl erleben können. Wenn man sich eng mit einem jungen, verletzlichen Teil verbunden fühlt, und die andere Person darauf reagiert, indem sie diesem inneren Kind Liebe und Fürsorge zukommen lässt, entstehen heilsame Momente der Verbundenheit. Und wenn Partnerin oder Partner fähig sind, diesem Teil gegenüber mitfühlender Zeuge oder Zeugin zu sein (und manchmal auch behutsam Unterstützung zu bieten), ergibt sich durch den Einklang einer Verbindung von Selbst zu Selbst (Schwartz 2018) eine wunderbare Gelegenheit für das Paar, neue Kommunikationsfertigkeiten einzuüben.
Im 6. Kapitel geht es um den Erwerb der wichtigsten Fähigkeiten unseres Therapieansatzes. Er basiert auf unserer eigenen Praxis als Therapeutin oder Therapeut, uns von unseren Teilen zu lösen, unsere Beschämung aufzugeben und uns zu entlasten. Diese Methoden aus der IFS-Therapie vermitteln wir an das Paar.
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