Struck nickte ihr zu.
„Ich habe gehört, dass Jannick bereits ein anderes Angebot hat“, meinte Struck. „Wenn er nicht verfügbar ist, kann ich seine Rolle spielen. Was hältst du davon?“
„Überhaupt nichts“, erwiderte Joswig. „Jannick spielt in der zweiten Hälfte, also muss er auch in den restlichen Szenen auftreten. Das Publikum würde den Unterschied sofort merken. Vor allem in den Großaufnahmen.“
„Na und?“, fragte Struck. „Die Maskenbildner haben schon ganz andere Kunststücke vollbracht. Die werden mich so schminken, das niemand etwas merkt. In den Actionszenen trete ich ohnehin auf.“
„Nichts gegen deine Fähigkeiten, Simon“, lenkte Joswig ein. „Du bist ein ausgezeichneter Stuntman, aber deine Stimme klingt vollkommen anders als die von Jannick.“
„Ich könnte sie imitieren.“
„Vergiss es. Was glaubst du, wird Jannicks Agent mir erzählen, wenn du in der ersten Hälfte für seinen Star einspringst? Der würde eine einstweilige Verfügung erwirken und …“
Das Läuten des Telefons unterbrach ihn. Er nahm den Hörer ab und meldete sich. Sofort veränderte sich sein Gesichtsausdruck. „Okay“, sagte er und legte wieder auf. Ein Lächeln umspielte seinen Mund. „Jannick hat mir soeben mitgeteilt, dass er für die zehn Tage zur Verfügung steht.“ Er rieb die Handflächen aneinander. „Gut, dann wollen wir mal an die Arbeit gehen. Morgen fliegen wir nach Italien.“
Katharina verabschiedete sich von Eckard Joswig, stieg in ihren Wagen, startete den Motor und fuhr zur Charité, um ihren Lebensgefährten Robert Tillmann zu besuchen. Er war während einer Unterrichtsstunde zusammengebrochen. Bisher hatten es die Ärzte nicht geschafft, die Ursache herauszufinden.
„Na, wie geht es dir?“, fragte er, als sie das Zimmer betrat.
„Ich liege nicht im Krankenhaus“, erwiderte Katharina. „Dreh den Spieß nicht um, Robert. Ich sollte dir diese Frage stellen. Was haben sie heute alles mit dir gemacht?“
„Sie waren wie immer sehr nett und freundlich zu mir“, sagt er lächelnd. „Und sie haben mich durch den Wolfe gedreht. Nichts ließen sie aus. EKG, EEG, Blutsenkung, Harntest, Zuckerbelastung, Ultraschall, Scanner … Sie waren wirklich sehr gründlich, gaben mir alles mögliche Zeug zu trinken, durchleuchteten mich von allen Seiten, und testeten meine Reaktion auf dies und jenes.“
„Und?“
„Sie haben nichts gefunden. Nach Ansicht der Mediziner ist es offenbar geradezu eine Beleidigung ihres Berufsstandes, wie gesund ich bin.“
„Aber dein Schwächeanfall muss doch eine Ursache haben.“
„Der Ansicht waren die Ärzte auch. Wenn einer so gesund ist wie ich, muss er wohl krank sein. Deshalb haben sie immer schlauere Spielchen mit mir getrieben, doch meine Werte waren völlig normal.“
„Und woher kamen deine Beschwerden?“
Robert zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Vermutlich Überanstrengung. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
„Ich mache mir aber welche. Das weißt du doch.“
„Vielleicht werde ich morgen schon entlassen. Oder ich rücke bei Nacht und Nebel aus.“
„Das solltest du nicht tun. Warte lieber so lange, bis der Chefarzt dir grünes Licht gibt.“
„Ich habe das Gefühl, er sieht sich in meinem Fall überfordert“, sagte Robert. „Er hat sich‘s ein bisschen einfacher vorgestellt, und ich wette, er ist mit seinem Latein bald am Ende. Aber reden wir nicht mehr über mich. Was ist mit dir? Hast du einen neuen Fall?“
„Ja, seit gestern.“
„Etwas Interessantes?“
„Diebstahl und Erpressung.“
„Ja“, meinte er. „Das klingt sehr interessant.“
„Deshalb muss ich morgen auch nach Rom.“
„Rom?“, fragte Robert erstaunt. „Aber wieso?“
Katharina berichtete ihm, was sich in den vergangenen Stunden ereignet hatte. Zwanzig Minuten lang erzählte sie, ohne dass er sie ein einziges Mal unterbrach. Als sie fertig war, dachte er lange schweigend nach.
„Eine seltsame Geschichte“, war alles, was er schließlich dazu bemerkte. „Und wie du es erzählst, klingt es höchstens noch seltsamer.“
„Schon möglich“, gab Katharina zu. „Aber – wie denkst du darüber?“
„Du bist die Expertin.“
„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“
Robert nickte. „Alles. Trotzdem solltest du vorsichtig sein.“
„Das bin ich doch immer.“
„Am liebsten würde ich dich begleiten. Aber stattdessen liege ich hier herum und spiele Versuchskaninchen. Lange mache ich das nicht mehr mit. Wenn ich gesund bin, habe ich nicht das Recht, einem Kranken das Bett wegzunehmen.“
„Du bleibst hier“, sagte Katharina entschieden. „Denk ja nicht an eine Nacht- und-Nebel-Flucht, sonst lasse ich dich vom Chefarzt ans Bett fesseln.“
„He, das hört sich nach einer handfesten Verschwörung an“, gab er störrisch zurück.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und ein Arzt betrat das Zimmer. Er mochte so um die vierzig Jahre alt sein, hatte schwarze, dichte Haare, eine schmale Nase und braune Augen.
„Aha, Doktor Hulke“, sagte Robert.
Der Mann schloss die Tür hinter sich, kam auf die beiden zu und gab Katharina die Hand. „Frau Ledermacher, nehme ich an?“
„Ja, stimmt. Woher …“
„Er spricht von niemand anderen, seit er hier ist. Sie müssen etwas ganz Besonderes sein.“
„Das ist sie auch“, bestätigte Robert. „Wie sieht es denn nun aus? Haben Sie alle Ihre Geräte an mir ausprobiert?“
„Wie fühlen Sie sich heute, Herr Tillmann?“, fragte Doktor Hulke.
„Großartig“, antwortete er. „Das gefällt Ihnen nicht, wie?“
„Sie sind nicht hier, weil es Ihnen noch nie besser ging“, sagte der Arzt, „sondern weil Sie irgendeinen Krankheitsherd in sich haben.“
„Den Sie nicht finden können.“
„Sie müssen bedenken, dass wir uns die größte Mühe geben.“
„Ich bin für Sie und Ihre Kollegen ein medizinisches Rätsel, nicht wahr?“
„Nun, ich gestehe, es würde mir besser gefallen, wenn ich wüsste, woher ihr merkwürdiger Zustand kommt. Die Symptome sind uns fremd. Das erschwert natürlich die Diagnose. Organisch scheinen Sie völlig in Ordnung zu sein. Als dieser Anfall kam, hatten Sie da Schmerzen?“
„Nein.“
„Und dieser Blackout kündigte sich auch nicht irgendwie an?“
„Nein, er kam ganz plötzlich.“
Nachdenklich massierte der Arzt sein Kinn. „Merkwürdig. Höchst merkwürdig.“
„Wie geht es nun weiter?“, wollte Robert wissen.
„Mein Ehrgeiz lässt nicht zu, dass ich aufgebe“, beharrte Doktor Hulke. „Wir werden einige Tests wiederholen. Heutzutage ist der Körper eines Menschen kein Geheimnis mehr für uns Mediziner. Wir können in die Patienten hineinsehen, ohne sie aufschneiden zu müssen.“
„Ich bin froh, dass ich in diesem Jahrhundert lebe“, erwiderte Robert grinsend.
„Ich schlage vor, dass Sie für den Rest der Woche zur Beobachtung dableiben.“
„Was versprechen Sie sich davon?“
„Vielleicht haben wir Glück, und Sie kriegen diesen Blackout bei uns wieder. Unter Umständen können wir dann herausfinden, wodurch er ausgelöst wurde.“
„Aber Sie sind sich nicht sicher.“
„In Ihrem Fall befinden wir uns auf medizinischem Neuland, Herr Tillmann. Wir haben keine Erfahrungswerte, auf die wir zurückgreifen können. Wie gesagt, wir können die Tests nur wiederholen und auf ein positives Ergebnis hoffen.“
Robert schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht zur Beobachtung hierbleiben, Doktor“, sagte er entschieden.
„Sie nehmen uns die Möglichkeit, doch noch darauf zu kommen, was Ihnen fehlt“, sagte der Arzt sichtlich enttäuscht. „Ich kann Sie natürlich nicht zurückhalten. Wenn Sie gehen wollen, muss ich Sie gehen lassen. Aber das würde ich mir an Ihrer Stelle noch einmal reiflich überlegen. Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit Ihrem Wagen, und dieses Unwohlsein überkommt Sie. Damit gefährden Sie nicht nur Ihr eigenes Leben, sondern unter Umständen auch das anderer Menschen.“
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