1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 »Antonio! Wo zum Teufel steckt er?« Die Stimme ihres Vaters überschlug sich vor Zorn und Ungeduld.
»Kommt heraus, Serrati, damit Ihr mit eigenen Augen seht, was Ihr mit Euren Verleumdungen anrichtet!«, rief einer der Männer, kaum dass Juliana einen Blick auf die Straße gewagt hatte.
»Da ist jemand!« Einer der Männer in einem roten Umhang mit goldglänzendem Wappen zeigte auf Juliana. »Macht auf! Wir wollen mit Eurem Herrn reden.«
Der Mann hielt sie offenbar für eine Magd! Empört wich Juliana zurück.
»Geh vom Fenster weg, sofort!« Maria stand keuchend neben ihr. Hilflos schwangen ihre Fäuste in der Luft umher.
»Was wollen sie von Vater? Hat es etwas mit diesem Mazaretto zu tun, diesem ungehobelten Mann vor der Basilika?« Was immer Vater mit diesem Mann zu schaffen hatte, es musste etwas Frevelhaftes sein, dass er ihn verfluchte und die Angelegenheit für solchen Aufruhr sorgte. Erneut erbebte das Haus unter den heftigen Stößen der Eindringlinge.
Maria erbleichte. »Was weißt du darüber?« Die alte Kinderfrau schien alles um sich herum vergessen zu haben. Sie umklammerte Julianas Hand und schnaufte vor Aufregung. »Es musste so kommen. Ich habe immer gesagt, dass dieser Frevel uns eines Tages einholt. Heilige Jungfrau, vergib mir.«
»Juliana, geht weg vom Fenster!« Antonio betrat ihre Kammer. Ohne um Einlass gebeten zu haben, stürzte er zum Fenster und schloss die Läden, sodass auch die kostbaren Wandmalereien mit ihrer Farbpracht dieser unerträglichen Dunkelheit zum Opfer fielen. »Ich bin es leid, Euch nachzulaufen!« Der junge Mann wirkte aufgelöst und war außer Atem.
»Vater verlangt nach Euch. Habt Ihr ihn nicht rufen gehört?«
»Antonio, warum war das Fenster offen?« Ihr Vater stand mit Zornesfalten über der Stirn im Türrahmen und fixierte seinen Gehilfen aufgebracht.
»Vater, was ist …«, begann Juliana zu fragen, doch Antonio fiel ihr ins Wort.
»Ich musste den Geheimgang nehmen, notario, sonst wäre ich eher hier gewesen. Juliana half mir, die Fenster in den oberen Etagen zu schließen.« Er warf ihr einen warnenden Blick zu, sofern sie ihn in der ungewohnten Düsternis richtig zu deuten verstand.
Die beiden Männer wollten allein sein. Rasch zogen sie sich in das Arbeitszimmer des notario zurück.
»Seid unbesorgt. Ich habe alles zu Eurer Zufriedenheit erledigt«, hörte sie noch, bevor Maria die Tür von Julianas Kammer schloss.
Antonio war erst jetzt gekommen. Das hatte Vater sicherlich gewusst. Nachdenklich blieb sie vor der Tür stehen und lauschte. Wovon sprachen sie? Sie sah Maria erwartungsvoll an, doch diese blieb unschlüssig vor der Tür stehen.
»Ihr könnt nicht alle so tun, als gäbe es diese Menschen da draußen nicht. So sprich endlich, oder soll ich Vater sagen, dass auch du durch die Luke gespäht hast?«
»Sei still. Tu einmal, was man dir sagt, ungezogenes Ding.« Mit diesen ungewohnt heftigen Worten verließ Maria die Kammer ihres Zöglings und versperrte hinter sich die Tür.
Niemals zuvor hatte Maria die Tür abgeschlossen. Wütend riss Juliana an dem Knauf. »Ich werde nicht aufhören zu fragen. Auch wenn du mich einsperrst, hörst du?«
Ein harter Schlag gegen das dunkel gebeizte Holz der Tür brachte Juliana zum Verstummen. Verzagt wich sie zurück und setzte sich mit dem Rücken zur Tür, in der Hoffnung, dass Maria bald zurückkäme. Nach einer Weile kauerte sie sich auf den kühlen Boden und entzündete ein Talglicht. Im fahlen Schein begann sie leise zu beten. Es gelang ihr nicht, sich Gott zu öffnen wie an anderen Tagen. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab.
Der Tag zog sich hin und ließ Juliana Zeit, über die cupola und ihre Begegnung mit Dario nachzudenken, diesem ungehobelten Handlanger Brunelleschis. Was würde sie ihm sagen, wenn sie ihm begegnete? Vielleicht freute er sich, sie zu sehen.
War die Meute vor dem Haus erschöpft? Die aufgebrachten Rufe waren inzwischen verstummt, denn sie hörte den Glockenschlag der nahen Basilika. Angestrengt lauschte sie an der Tür. Schwere Schritte hallten auf dem ersten Treppenabsatz, nicht die vertrauten Schritte ihres Vaters, sondern die eines Fremden. Galt ihm vielleicht der Zorn der Menschen? Gewährte Vater ihm heimlich Zuflucht?
»Du schließt Frau und Kind ein, Ferdinando?«
»Du hast die unerträglich heißen Sommer in Florenz vergessen, mein Freund!« Ihr Vater lachte. Unbeschwert, als wären die letzten Stunden in der Casa Serrati nur ein böser Traum gewesen. »Es wurde Zeit, dass du kommst. Du siehst selbst, was mich dein Rat gekostet hat. Schlaflose Nächte, Angst um meine Familie. Diese Männer vor meinem Haus werden nicht eher ruhen, bis sie die Wahrheit herausfinden.«
»Es war eure Entscheidung, die Verträge zugunsten der Opera zu ändern, Ferdinando. Nun findet einen Weg, das zu klären. Zwar fand Brunelleschi bisher nie Zeit, alles zu kontrollieren, aber …«
Suchte der Fremde eine Aussprache mit Brunelleschi? Seit seinem Erscheinen mussten gut zehn weitere Männer durch den Geheimgang gekommen sein. Nur so konnte sie sich die plötzliche Anwesenheit mehrerer Männer erklären, deren Stimmen jenen ähnelten, die sie vor einigen Tagen gehört hatte, bevor die überraschenden Besucher des Hauses verwiesen worden waren. Antonio empfing sie. Nur Giovanni Baldachi fehlte.
Eifersucht durchfuhr Juliana. Warum vertraute Vater Antonio neuerdings? Und schlimmer! Alle kannten den Geheimgang und konnten ungehindert in die Casa Serrati eindringen. Nun saßen sie in der Falle, umgeben von dicken Balken, die Licht und Zuversicht aussperrten, vor geschlossenen Fenstern und mit der bangen Frage, ob das Licht des nächsten Morgens die Casa wieder durchfluten würde.
Seufzend starrte Juliana ins Halbdunkel ihrer Kammer, bis plötzlich das Talglicht flackerte. Sie hob es an und hielt ihre Hand schützend davor. Da bemerkte sie einen matten Lichtschein, der die hintere Wand ihrer Kammer teilte. Behutsam strich sie mit der Hand über die Wand und wich überrascht zurück. Ein weiterer Geheimgang? Schon drückte sie gegen die mit weichem Brokat bezogene Wand. Sie meinte, die Stimmen lauter zu hören, drückte, bis die Wand einen Gang preisgab.
»Er wird dafür büßen, was er mir und meiner Familie angetan hat!« Nach einigen Schritten vernahm sie die Stimme ihres Vaters so laut, als stünde er unmittelbar neben ihr.
Dämonen jagten Juliana durch dunkle Gänge, in denen tiefes, unheilvolles Grollen und schmerzerstickte Schreie hallten. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Ein grelles Licht am Ende des Ganges versprach Rettung, doch es entschwand immer wieder ihrem Blick. Mit jedem Schritt entfernte sie sich mehr vom Weg der Tugend und verlor sich in lockender Süße verzehrender Leidenschaft. Juliana zerrte verzweifelt an ihrem Surcot, der an Nägeln in der Wand hängen geblieben war und sie daran hinderte, den rettenden Schein zu erreichen. Ein greller Lichtstrahl blendete sie.
»Herr im Himmel, ich werde nie wieder Unrecht tun!«, rief sie und fuhr hoch. Schweißgebadet saß sie am nächsten Morgen in ihrem Bett und begegnete dem besorgten Blick ihrer Mutter.
»Du hattest einen Albtraum, Liebes.« Dina fasste nach Julianas Hand und zog ihr den Surcot über die entblößten Schultern.
»Die Sonne ist so hell.« Juliana hielt inne. Die Fensterläden waren wieder offen!
»Die gute Maria wird nachlässig. Hast du im Surcot geschlafen?« Dina ließ prüfend ihren Blick über das ungewohnte Chaos in Julianas Kammer wandern. »Zieh dich ordentlich an und komm in mein Zimmer, dann sprechen wir über alles«, sagte sie.
»Hat Vater also endlich Vernunft angenommen«, flüsterte Juliana erleichtert. Hastig setzte sie sich auf und umarmte ihre Mutter. Sie dachte an die seltsame Unterredung der Männer, die sie belauscht hatte. Welche Verträge hatte Vater geändert und in wessen Auftrag? Er war bekannt dafür, dass alles auf den Gulden genau festgehalten wurde.
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