Würzburg, Ostern 2018 |
Michael Lohausen |
Einleitung
Die katholische Pastoraltheologie zeigt sich aktuell, was Reflexionshorizont und Methoden angeht, als ein außergewöhnlich plurales und grenzoffenes Gebilde, 1aber wenn sich etwas mit ziemlicher Sicherheit über sie sagen lässt, dann, dass sie sehr viel stärker an Gegenwart und Zukunft als an der Vergangenheit interessiert ist. Obwohl die Geschichtskategorie nicht prinzipiell ausgeklammert wird, 2spricht daraus nicht direkt ein vitales Interesse, sich mit den pastoralen Gegebenheiten heute unter retrospektiven Gesichtspunkten (Herkunft, Entwicklung u. ä.) auseinanderzusetzen. Es äußert sich darin mehr die Überzeugung, dass kirchliches, christliches bzw. allgemein menschliches Handeln, (auch) insoweit es in seinem Verhältnis zu Gott bewusst gemacht wird, keinen aus falsch verstandenen Ewigkeitsvorstellungen abgeleiteten Veränderungsresistenzen unterliegen darf, sondern ‚nach vorn offen‘, also umgangsfrei und -bedürftig ist. ‚Geschichtlichkeit‘ geht deshalb zuallererst mit Begriffen zusammen, denen die Konnotation des Visionären anhaftet; die Gestaltung, die Konzeption, die Orientierung, die Ermöglichung 3– und relativ neu in Matthias Sellmanns pragmatistischer Spielart: die Problemlösung, die Durchsetzung, die Erfolgsmaximierung 4– sind die Vollzugsgrößen der Pastoraltheologie, insofern sie sich im weitesten Sinn einem „Handlungsdruck“ 5ausgesetzt sieht, und darauf mit Denkprozessen reagiert, „was jetzt am besten zu geschehen hat“ 6. Reinhard Feiter hat darauf aufmerksam gemacht, dass ein solcher Aktualitätsbezug nicht nur epistomologisch, sondern auch geschichtlich zu den Konstitutionsmomenten der pastoraltheologischen Wissensgenerierung und -vermittlung gehört, 7aber die ekklesiologischen Akzentsetzungen auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gaben erst den Anstoß, damit auf die Breite hin reflex umzugehen und das Fach maßgeblich von dieser Grundlage her aufzuziehen. 8
Es wird sich im Lauf der Untersuchung herausstellen, dass es unter den gegebenen Voraussetzungen kein Zufall war, dass die Pastoraltheologie durch die Konzentration auf Gegenwarts- und Zukunftsfragen und eine am Synchronen interessierte Orchestrierung ihrer Reflexionsgehalte (vorhandene Praxis, Ergebnisse aus empirisch arbeitenden Humanwissenschaften, christliches Menschenbild usw.), gewissermaßen ‚nach hinten blind‘ geworden ist. Der Sachverhalt an sich wird allerdings schon dann evident, wenn man nur daran Maß nimmt, wieviel Platz in den Einführungs- bzw. Überblickstexten 9für die Rekonstruktion der Fachgeschichte zur Verfügung steht und um welche Einzelinhalte es sich dabei handelt. Während ein Nachschlagen im Inhaltsverzeichnis reicht, um sich zu vergewissern, dass die geschichtlichen Zusammenhänge oft bloß in kurzen Abschnitten berücksichtigt werden, zeigt ein intensiverer Vergleich der entsprechenden Passagen – und das ist das aussagekräftigere Ergebnis – ein verhältnismäßig schmales und variantenarmes Themenportfolio. 10Die Perspektive der Verfasser wird ausnahmlos immer von denselben Episoden der Fachgeschichte bestimmt, die dadurch als Lehrbuchtradition bzw. diachron laufender Gesprächsprozess zwischen einzelnen Universitätstheologen in Erscheinung tritt, und wenn man von den großen politischen Entwicklungslinien absieht, kommen zeitgeschichtliche Umstände (religiöses Leben, Seelsorgepraxis, Gemeindesituation usw.) gar nicht zur Sprache, obwohl man sich davon eigentlich hätte viel Aufschluss versprechen können.
Paul M. Zulehner hat in seiner 1989/90 publizierten vierbändigen ‚Pastoraltheologie‘ unter der Überschrift „Was die Geschichte lehrt“ 11ein Modell entwickelt, das gegenüber allen späteren Ausarbeitungen als so etwas wie die Idealform angesehen werden kann, aber auch selbst zentrale Teile aus sehr viel früheren Darstellungen enthält. 12Die Einteilung der geschichtlichen Abläufe in wenigstens vier Phasen gehört dabei unter formalen Aspekten und die Frage nach dem Verhältnis zwischen Konsolidierung (Stabilisierung) und Innovation (Kritik) inhaltlich zu den wiederkehrenden Elementen, so dass sich als Grundgerüst für das Geschichtsverständnis ergibt:
(a) Konstitutionszeit 13(ca. 1770—1800): Es ist allgemein üblich geworden, den Ausgangspunkt auf ein griffiges Ereignis zu legen – nämlich die Etablierung der Pastoraltheologie als Fach an den österreichischen Universitäten 14– im Bewusstsein des Sachverhalts, dass damit nicht die Reflexion auf die kirchliche Praxis überhaupt erst eingesetzt hat, sondern ‚nur‘ ihr akademischer Prozess. Der aufgeklärte Absolutismus in Österreich (‚Josephinismus‘), die davon bestimmte Bildungspolitik und die durch Franz Stephan Rautenstrauch (1734—1785) in die Wege geleitete Studienreform sind feste Bestandteile an diesem universitären Gründungsmythos. Das Fach hat von da her fundamentale Impulse bekommen (beispielsweise eine wissenschaftstaugliche Systematik). 15Es ist demgegenüber allerdings immer wieder problematisiert worden, dass die Pastoraltheologie dadurch viel zu sehr in die Abhängigkeit von politischen Zielsetzungen gerutscht ist bzw. von Anfang an überhaupt nur als ein Instrument zur Staatskonsolidierung konzipiert worden war, so dass eine „Vermittlung von kirchlicher Glaubenstradition und der biographisch strukturierten Lebenserfahrung des einzelnen“ 16nicht stattfinden konnte. Die Interpret_innen dieser Gemengelage haben aber auch eine wichtige Weichenstellung vorgenommen: (Die Rekonstruktion der) Fachgeschichte ist im Wesentlichen Universitätsgeschichte.
(b) Vergewisserungszeit (ca. 1800—1830): Die Veranschlagung der zweiten Phase hängt mit der These zusammen, dass die formalistische bzw. pragmatische Fachorientierung bei den Aufklärungsvertretern gewissermaßen von selbst eine inhaltliche Abstützung nachträglich herausgefordert hätte 17oder dass die krisenhaften Zeitumstände (Säkularisation) eine derartige Ergänzung und Rückversicherung über die theologische Mitte der Pastoraltheologie notwendig gemacht hätten. 18Johann Michael Sailer (1751—1832) ist die zentrale Figur in diesen Überlegungen. Er nimmt eine Stellung zwischen Innovation und Stabilisierung ein. Es fällt dabei das Argument ins Gewicht, dass der starke Bibelbezug bei Sailer die kritisch-prophetische Komponente in der Pastoraltheologie, die einer Instrumentalisierung durch von außen kommende Herrschaftsambitionen bzw. -verlockungen prinzipiell etwas entgegenzusetzen hat, deutlich zum Vorschein bringt. 19Es macht sich für die Geschichtsinterpret_innen aber andererseits auch die Schwierigkeit bemerkbar, dass „[es ihm] [b]ei aller Bibelkenntnis … [nicht gelang], die gesellschaftlich wie theologiegeschichtlich abgestützte Kleruszentrierung der Seelsorgspraxis zu überwinden“ 20bzw. dass er genau durch die theologische ‚Aufladung‘ von traditionellen Rollenzuschreibungen einer „Fokussierung der pastoralen Reflexion auf die Pfarrer“ 21noch Vorschub leistete.
(c) Wissenschaftszeit (ca. 1830—1930): Es handelt sich dabei um einen außerordentlich heterogenen Abschnitt in der Fachgeschichte, aber man kann einen gemeinsamen Nenner daran festmachen, dass währenddessen die großen Auseinandersetzungen um die Arbeitsform der Pastoraltheologie stattfanden. 22Anton Grafs (1811—1867) aus der Tübinger Schule kommendes Konzept einer, Wissenschaft von der sich selbst in die Zukunft erbauenden Kirche‘ markiert dabei den ersten Meilenstein und nach der Mehrheitsmeinung wegen der darin enthaltenen traditionskritischen Implikate gleichzeitig auch den vorläufigen Höhepunkt in der Theoriebildung. 23Die Erläuterungen zu den sich daran anschließenden Abläufen tragen in der Regel entweder summarisch den Charakter einer Gegenaussage, dass ‚die Kirche‘ bzw. ‚die Pastoraltheologie‘ (als Kollektivsubjekt) die bis zu diesem Zeitpunkt gewonnenen Errungenschaften wieder aufgegeben hätten, 24oder beziehen sich auf ausgewählte ‚Graf-Antipoden‘ – Joseph Mast (1818—1893), Michael Benger (1822—1870), – um die Rücknahmen individuell festzumachen. 25Die Entwicklungen in der Wendezeit vom 19. zum 20. Jahrhundert bekommen dadurch Reklerikalisierung, Entwissenschaftlichung, ‚neuer Pragmatismus‘ 26u. ä. als Sammelbezeichnungen aufgedrückt – eine Etikettierung, die sicher nicht aus der Luft gegriffen ist, aber in der Pauschalität doch nur sehr eingeschränkt zu erkennen gibt, welche Herausforderungen für das Fach und die Klerusausbildung im Ganzen mit der dynamisierten, moderner werdenden Gesellschaft verbunden waren (vgl. Kap. 2 und 3).
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