Der ErwG. 54 wiederum gestattet ein Abweichen von der verpflichtenden elektronischen Kommunikation, aber nur soweit dies zum Schutz besonders sensibler Informationen erforderlich ist. Allerdings sollte als Ausnahme von der Ausnahme zunächst auf nicht allgemein verfügbare elektronische Mittel (der Richtlinientext nennt an dieser Stelle spezielle Kommunikationskanäle als Beispiel) zurückgegriffen werden, wenn damit ein entsprechendes Schutzniveau erreicht wird.
Die ErwG. 55 und 56 haben unterschiedliche technische Verfahren und Standards innerhalb des gemeinsamen Wirtschaftsraums und deren nachteilige Auswirkungen auf die elektronische Kommunikation zum Gegenstand. Entsprechend des ErwG. 55 hat der europäische Gesetzgeber befürchtet, dass unterschiedliche technische Formate oder Verfahren sowie Nachrichtenstandards Hindernisse für die Interoperabilität insbesondere zwischen den Mitgliedstaaten bereiten können. Unterschiedliche Formate würden somit bewirken, dass bei einer fehlenden einheitlichen Struktur Wirtschaftsteilnehmer improvisieren müssen und durch den Mehraufwand Effizienz verloren gehen kann. Der ErwG. 56 wiederum schafft für die im vorhergehenden ErwG. geforderten Formate eine Verhandlungsbasis. Danach sollte die Kommission Erfahrungen aus der Praxis berücksichtigen. Zudem soll ein einheitlicher Standard unter Berücksichtigung der verbundenen Kosten festgelegt werden.
Im ErwG. 57 wird das Sicherheitsniveau für die elektronischen Kommunikationsmittel thematisiert. Das angemessene Niveau wird von der Notwendigkeit, eine ordnungsgemäße Identifizierung eines Unternehmens sicherzustellen und die Vermeidung, Mitteilungen an einen anderen als den tatsächlichen Adressaten zu versenden, definiert.
2. Vorgaben aus dem Richtlinientext
Neben diesen Leitlinien sind dem Richtlinientext noch weitere Ausführungen zur eVergabe zu entnehmen. Diese sind in der Richtlinie über mehrere Stellen verteilt und finden sich in Art. 22 RL 2014/24/EU, dem Anhang IV der RL 2014/24/EU sowie Art. 35 RL 2014/24/EU und Art. 36 RL 2014/24/EU. Dabei betreffen Art. 35 RL 2014/24/EU und Art. 36 RL 2014/24/EU jedoch Sonderfälle zur eVergabe, nämlich die elektronische Auktion und den elektronischen Katalog .
a) Inhalt des Art. 22 RL 2014/24/EU
Wichtige Eckpunkte der eVergabe werden in Art. 22 RL 2014/24/EU umrissen, der von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verlangt, die eVergabe (also die Kommunikation und den Informationsaustausch mittels elektronischer Mittel) grundsätzlich zu gewährleisten.71 Dazu wiederholt Art. 22 die Anforderungen des ErwG. 53, in dem postuliert wird, dass die in der eVergabe zugrunde gelegte elektronischen Kommunikation verwendeten technischen Einrichtungen nichtdiskriminierend, allgemein verfügbar sowie mit den gängigen Produkten der Informationstechnologie kompatibel sein müssen und dabei zugleich den Zugang von Marktteilnehmern zu Vergabeverfahren in keiner Weise beschränken dürfen.
aa) Ausnahme von der verpflichtenden elektronischen Kommunikation
Allerdings wiederholt Art. 22 RL 2014/24/EU auch die Freistellung von der grundsätzlichen eVergabe, da insoweit eine elektronische Kommunikation nicht verpflichtend notwendig ist, soweit aufgrund einer besonderen Auftragsvergabe u.a. eine elektronische Kommunikation aufgrund spezifischer, nicht allgemein zugänglicher Instrumente, Vorrichtungen oder Dateiformate nicht sachdienlich erscheint. Selbiges gilt für Anwendungen, die entweder nicht verarbeitet werden können und/oder durch Lizenzen (nicht jedoch durch technische Schutzvorrichtungen) geschützt sind bzw. nicht zum Download oder für einen Fernzugriff geeignet sind. Zudem wird auch nochmals die Freistellung einer elektronischen Einreichung von maßstabsgetreuen Modellen aus dem ErwG. 53 wiederholt.72 In den Fällen, in denen eine Freistellung von der eVergabe greift, sind die Mitgliedstaaten gehalten, entweder den Postweg bzw. einen vergleichbaren Kommunikationsweg oder aber eine Kombination aus eVergabe und Postweg für den Verfahrensgang freizustellen.73 Daneben besteht auch die Vorgabe des europäischen Gesetzgebers, über diese technisch oder physisch begründeten Ausnahmen hinaus aus Sicherheitsgründen eine Ausnahme von einer absoluten eVergabe zuzulassen. Dies darf aber nur hinsichtlich der Einreichung von Teilnahmeanträgen oder Angeboten der Fall sein, soweit entweder eine Verletzung der Sicherheit der elektronischen Kommunikationsmittel besteht oder aber zum besonderen Schutz von empfindlichen Informationen, deren hohes Schutzniveau von gängigen elektronischen Kommunikationsmitteln oder entsprechenden Vorrichtungen, die am Markt verfügbar sind, nicht gewährleistet werden kann.74
Gleichfalls ausgeschlossen von der verpflichtenden Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel als Teil der eVergabe nach Art. 22 RL 2014/24/EU sind kurze mündliche Abstimmungen im Rahmen der Vergabeverfahren, aber nur insoweit davon keine wesentlichen Bestandteile (wie die Vergabeunterlagen, Teilnahmeanträge oder Angebote, mithin also die Inhalte) eines Vergabeverfahrens betroffen sind und sämtliche mündliche Kommunikation, welche Einfluss auf das Verfahren haben könnte, ausreichend dokumentiert wird.75
bb) Nutzung von Alternativen zu spezifischen elektronischen Einrichtungen, Instrumenten oder Vorrichtungen
Während die RL 2014/24/EU auf der einen Seite in den ErwG. eine Freistellung von der verpflichtenden elektronischen Kommunikation vorsieht, bestimmt Art. 22 RL 2014/24/EU in Abs. 4 und 5 für den Bereich von Bauaufträgen auf der anderen Seite eine Ermächtigung für alle Mitgliedstaaten, im Ausnahmefall spezifische elektronische Einrichtungen, Instrumente oder Vorrichtungen vorzuschreiben bzw. alternativ entsprechende Zugänge einzurichten. Der alternative Zugang zeichnet sich, ähnlich der elektronischen Kommunikation, dadurch aus, dass dieser unentgeltlich, unbeschränkt und vollständig Zugriff zu speziell notwendigen elektronischen Mitteln gewähren muss. Sollte Bietern oder Interessenten der Zugang zu den elektronischen Mitteln nicht möglich sein, muss ein solcher Zugang ggf. provisorisch eingerichtet werden. Abschließend besteht die Möglichkeit für öffentliche Auftraggeber, einen alternativen Kanal zur Angebotseinreichung zu unterstützen.76
cc) Ausführungen bzgl. technischer Spezifikationen
Im Übrigen macht Art. 22 Abs. 6 RL 2014/24/EU wesentliche Vorgaben zur Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel. So verlangt diese Vorschrift, dass Spezifikationen der eVergabe zu Verschlüsselung und Zeitstempelung zugänglich sein müssen. Aus Sicht der RL obliegt es zudem Mitgliedstaaten oder öffentlichen Auftraggebern, das Sicherheitsniveau (etwa anhand elektronischer Signaturen) festzulegen. Im Übrigen erlaubt Art. 22 Abs. 7 RL 2014/24/EU, künftige technische Entwicklungen für die eVergabe nutzbar zu machen.
dd) Dokumentationspflichten
Da der europäische Gesetzgeber entsprechende Freistellungen von der generell-verpflichtenden elektronischen Kommunikation vorgesehen hat, werden die öffentlichen Auftraggeber nach Art. 22 Abs. 2 RL 2014/24/EU verpflichtet, das Abweichen von der eVergabe im Vergabevermerk begründet zu dokumentieren.
ee) Ausführungen zu Datensicherheit und -schutz
Art. 22 der RL 2014/24/EU enthält bereits Vorgaben zur Datensicherheit und zum Datenschutz. Art. 22 Abs. 3 RL 2014/24/EU setzt voraus, dass während der gesamten Kommunikation, dem Austausch sowie der Speicherung von Informationen die Integrität der Daten und auch die Vertraulichkeit von Angeboten und Teilnahmeanträgen sichergestellt werden muss.77 Bestandteil dieser Vorgabe ist auch die Maßgabe, dass ein Zugriff auf den Inhalt der Angebote oder der Teilnahmeanträge erst nach Ablauf der Frist zur Einreichung der Teilnahmeanträge oder Angebote erfolgen darf.78
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