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Da es nahezu keine „Elastizität“ auf der Angebotsseite gibt (der Durchsatz der Bitcoin-Blockchain kann ohne Änderung des Bitcoin-Protokolls nicht steigen), können die Transaktionsgebühren äußerst volatil sein. So lagen sie im Jahr 2016 typischerweise bei unter 10 US-Cent und erreichten zum Höhepunkt des Bitcoin-Booms Ende 2017 kurzzeitig 55 US-Dollar. Im Jahr 2020 kostete ein Bitcoin-Transaktion bisher (August 2020) zwischen 50 US-Cent und 5 US-Dollar.
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Als reines Zahlungsverkehrssystem ist die Bitcoin-Blockchain also derzeit kommerziell nur mäßig interessant.
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Die Bitcoin-Blockchain ist grundsätzlich für jedermann offen (sie ist „permissionless“, s.u.) – benötigt wird lediglich ein Gerät mit Internetverbindung.
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Wenn man mobile Endgeräte mit einbezieht, ist offensichtlich, dass derzeit die Zahl der Menschen, die Zugang zum Internet haben, viel größer ist als die derer, die Zugang zu Finanzdienstleistungen im herkömmlichen Format haben. Ein offener Zugang zu einem Zahlungsverkehrssystem für die sog. „Unbanked“ ist – insbesondere in den Entwicklungsländern – ein hohes Gut.
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Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Offenheit des Zugangs zur Bitcoin-Blockchain für viele Investoren aus Ländern, die den internationalen Zahlungsverkehr durch Kapitalverkehrskontrollen einschränken, ein wichtiger Grund ist, Bitcoin zu nutzen.
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Niemand besitzt das Bitcoin-Netzwerk. Wenn überhaupt, könnte man sagen, es befinde sich im Gemeinschaftsbesitz aller Teilnehmer. Das macht eine effiziente und effektive Governance naturgemäß zur Herausforderung.
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Eine solche Governance ist aber essenziell: Das Netzwerk muss auf Chancen, Herausforderungen und Bedrohungen reagieren können, und zwar so, dass alle Teilnehmer weiter vom „gleichen Blatt“ singen, d.h. dass alle Bitcoin-Knoten die gleiche Sicht auf das Regelwerk (das Bitcoin-Protokoll) haben. Dieses Regelwerk ist äußerst umfassend: Es reicht von der Definition von Datenformaten und Hashfunktionen über Verifizierungsregeln bis hin zur Entlohnung der Miner und den Regeln hinsichtlich der Steuerung der Menge der im Umlauf befindlichen Bitcoin. Die Umsetzung des Regelwerks erfolgt in der sog. Referenzinstallation16 des Bitcoin-Clients (also der auf einem Bitcoin-Knoten laufenden Software). Es ist Zeugnis für die Weitsicht von Satoshi Nakamoto , dass auch heute noch die überwiegende Mehrheit seiner originären Regeln Bestand hat.
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Die Governance, insbesondere das Anpassen der Regeln des Bitcoin-Protokolls, orientiert sich am folgenden Prozedere:
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Jeder Regeländerung gehen Diskussionen in den Bitcoin-Foren voraus. Dort werden fortlaufend Probleme oder neue Möglichkeiten diskutiert. Konkrete Ideen für Regeländerungen werden dann als White Paper und/oder als „Bitcoin Improvement Proposal“ (BIP) dokumentiert.
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Über als BIP formulierte Regeländerungen wird im Netzwerk abgestimmt, und zwar so, dass über einen bestimmten Zeitraum diejenigen Knoten, die den Proof-of-Work gewinnen (und somit den nächsten Block „minen“ dürfen), in diesem Block ein Ja/Nein-Kennzeichen setzen. Nach z.B. 100 neuen Blöcken werden die Stimmen gezählt; ein Vorschlag mit 55 % Ja-Stimmen gilt als angenommen.
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Die Wahrscheinlichkeit, den Proof-of-Work zu gewinnen, steigt mit der zur Verfügung gestellten Rechenpower; der Abstimmungsprozess stellt also vor allem die Sichtweise der Knoten, die sich auf das Gewinnen des Proof-of-Works fokussieren (der Miner), dar. Und in der Tat: eine Reihe von BIPs, die den Transaktions-Durchsatz der Bitcoin-Blockchain erhöht hätten, sind am Widerstand der Miner gescheitert, da sie den Mining-Ertrag pro Transaktion reduziert hätten.
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Ein angenommener BIP wird in der Regel von den Entwicklern der Referenzimplementierung des Bitcoin-Clients aufgenommen und in dessen nächstes Release eingearbeitet. Es gibt allerdings keine Verpflichtung der individuellen Bitcoin-Knoten, den neuen Client auch einzusetzen.
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Bei strittigen Protokoll-Änderungen kann es daher zu einer „Fork“ (zu einer Gabelung) der Bitcoin-Blockchain kommen: ein Teil des Netzwerks ist in der neuen, ein anderer bleibt in der alten Welt. Die Blockchain-Knoten und die zugehörigen Datenbestände gehen fortan getrennte Wege. Teilnehmer, die vor der Fork Besitzer einer Bitcoin waren, können nun übrigens in beiden Blockchain-Netzwerken über ihre Coins verfügen.
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Kleinere Gabelungen sterben in der Regel aus (d.h. es findet sich keine ausreichende Anzahl von Knoten, um die Blockchain zu sichern, oder das Transaktionsgeschehen kommt zum Erliegen oder die abgespaltene Coin findet keine Marktakzeptanz), es gibt aber auch solche, die fortbestehen. Hier die Übersicht der Bitcoin-Forks, die per August 2020 eine Marktkapitalisierung von über 100 Mio. US-Dollar haben:
Name der Fork |
Datum der Fork |
Marktkapitalisierung (USD)17 |
Bitcoin Cash (BCH) |
1.8.2017 |
5.077.621.276 |
Bitcoin SV (BSV) |
1.8.2017 |
3.509.937.922 |
Bitcoin Gold (BTG) |
24.10.2017 |
174.517.894 |
Bitcoin Diamond (BCD) |
24.11.2017 |
156.287.000 |
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Zusammenfassend kann man sagen: die Governance der Bitcoin-Blockchain hat bis heute passabel funktioniert, wenngleich sie sehr stark die Sichtweise der Miner abbildet.
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Dies kann durchaus auf längere Sicht ein Problem werden, insbesondere dann, wenn gravierende Punkte (wie z.B. ein Wechsel der kryptographischen Verfahren inklusive des Proof-of-Work) zu regeln sind, bei denen die Interessenlagen im Netzwerk absehbar divergieren werden.
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Das Cambridge Center for Alternative Finance18 ermittelt seit Oktober 2015 den Energiebedarf der Bitcoin-Blockchain. Lag dieser für 2016 bei ca. 6 TWh, so erreicht er für 2020 ca. 60 TWh.
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Für das Jahr 2016 verbrauchte die Bitcoin-Blockchain also in etwa so viel Strom wie Luxemburg, für 2020 wird der Stromverbrauch in etwa dem von Österreich oder dem der Schweiz entsprechen.
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Pro Transaktion liegt der Energiebedarf einer Bitcoin-Transaktion bei dem 700.000-Fachen einer Transaktion des Zahlungsdienstleisters VISA.19 Der CO 2-Footprint der Bitcoin-Blockchain liegt für 2020 bei ca. 32.000.000 Tonnen.
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Der Energieverbrauch der Bitcoin-Blockchain wird nahezu vollständig (in jedem Fall zu mehr als 99,99 %) durch den Proof-of-Work bestimmt. Ein Wechsel auf einen anderen Konsensalgorithmus (wie derzeit bei Ethereum diskutiert) könnte daher das Manko des hohen Energieverbrauchs abmildern oder gar beseitigen. Ein solcher Wechsel wäre aber nicht im Interesse der die Governance bestimmenden Miner, denn deren milliardenteure Infrastruktur würde bei einem solchen Schritt über Nacht wertlos.20
j) Tendenz zur Re-Zentralisierung
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Die ursprüngliche Idee des Bitcoin-Netzwerks könnte man vielleicht so beschreiben: ein Netzwerk von gleichwertigen Beteiligten, die untereinander Transaktionen tätigen und gleichzeitig die Infrastruktur für die Transaktionen bereitstellen und sichern.
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Aus dem englischen Sprachgebrauch kommt ja die Bezeichnung des „Peer-to-Peer“-Netzwerks, also eines Netzwerks von Gleichen (von „Peers“), die untereinander (also ohne Vermittlung Dritter) in Verbindung treten.
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Dieser egalitären Idee entspricht das jetzige Bitcoin-Netzwerk nicht mehr. Erstens verfügt der typische Bitcoin-Investor längst über keinen Bitcoin-Knoten mehr, sondern tritt über einen Wallet-Provider (siehe Rn. 167ff.) mit dem Netzwerk in Kontakt. Zweitens nehmen nur noch wenige Knoten faktisch (d.h. chancenreich) am Proof-of-Work-Wettbewerb teil. Und drittens organisieren sich diese Knoten dann auch noch in „Mining-Pools“, von denen derzeit die größten vier in Summe mehr als die Hälfte der „Hash Power“ – also der auf das Lösen der Proof-of-Work-Aufgabe spezialisierten Rechenkapazität – auf sich vereinigen.21,22
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