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Wollte man diese Leistung auf den Punkt bringen, könnte folgendes Motto dabei herauskommen: „e pluribus unum“.
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Alle Informationen, die in der Bitcoin-Blockchain auftreten, sind in ihr unveränderbar gespeichert. Wie wir gesehen haben, ist die Unveränderlichkeit bestehender Blöcke eine notwendige Designentscheidung, um die Integrität und Übereinstimmung der Datenbestände tausender Knoten gewährleisten zu können. Zweifellos hat diese Designentscheidung Nachteile, z.B. kann eine „aus Versehen“ eingegangene Transaktion nicht rückgängig gemacht werden. (Natürlich kann man die Gegenpartei bitten, die irrtümlich transferierten Bitcoin zurück zu überweisen, aber dann bleiben beide Transaktionen im Ledger sichtbar – keineswegs wird die ursprüngliche Transaktion verändert.)
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Überwiegend wird allerdings die „Unveränderlichkeit by Design“ als Vorteil gesehen und ist eine ideale Eigenschaft für jedes „System of Record“ (SoR). Jeder Prüfer (jeder interne Revisor, jeder Wirtschaftsprüfer) kann sich auf die systemimmanente Unveränderlichkeit verlassen.
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Natürlich haben ERP-Systeme, die auf dem neuesten Stand der Technik sind, eine Audit-Trail-Funktionalität, die die Historie aller Transaktionen und deren Änderungen aufzeichnet. Allerdings kann ein Nutzer mit Administrator-Rechten deren Schutzmechanismen in der Regel aushebeln. Nicht umsonst kommt es bei Finanzskandalen häufig zu einem Zusammenspiel des eigentlichen Akteurs mit einem Systemadministrator.10 Selbst Kriminelle mit Administratorrechten können dagegen die Unveränderlichkeit der Bitcoin-Blockchain nicht aushebeln.
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So wie die Bitcoin-Blockchain das Gegensatzpaar von Zentralität und Dezentralität versöhnt (e pluribus unum), so erreicht sie auch eine erstaunliche Positionierung in den Punkten Transparenz und Anonymität.
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Auf einer bestimmten Ebene ist die Bitcoin-Blockchain völlig transparent: Ihr vollständiger Datenbestand ist sichtbar. Er wird nicht nur auf jedem Knoten gespeichert, es gibt auch zahlreiche – einem Browser ähnliche – Explorer,11 die den Inhalt der Bitcoin-Blockchain für jedermann zugreifbar machen.
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Alle Bitcoin-Transaktionen liegen also vor den Augen der Welt wie in einem offenen Buch.
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Während alle Transaktionen in der Bitcoin-Blockchain transparent nachzuvollziehen sind (und für alle Zeiten in der Blockchain gespeichert werden!), werden Sender und Adressat selbst nur durch ihre Bitcoin-Adresse (die der Sender ja benötigt, um den Adressaten zu kennzeichnen) repräsentiert. Des Weiteren ist es mittlerweile gute Praxis, eine Bitcoin-Adresse nur einmal zu verwenden; die meisten Wallets (siehe unten Rn. 167ff.) sehen Funktionalitäten vor, dies zu gewährleisten, ohne dass sich der Endnutzer darum kümmern muss.
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Trotz dieser Maßnahme ist es für die Teilnehmer der Bitcoin-Blockchain schwierig, ihre „Pseudonymität“ zu bewahren, insbesondere deshalb, weil es an den Schnittstellen des Bitcoin-Netzwerks zur „wirklichen“ Welt in der Regel notwendig wird, die eigene Identität preiszugeben. Dies ist z.B. der Fall, wenn ich Bitcoin in Euro tauschen oder eine Warenbestellung mit Bitcoin bezahlen möchte.
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Analytische Tools wie z.B. Chainalysis, CipherTrace und Elliptic sind in der Lage, die Transaktionspfade in der Blockchain nachzuvollziehen und verdächtige Muster (z.B. in Bezug auf Geldwäsche) aufzudecken.
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Strafverfolgungsbehörden können (wenngleich mit forensischen Ermittlungsaufwand) ausgehend von Adressen, deren Identitäten bekannt sind, die Transaktionspfade „aufrollen“, um die Empfänger bestimmter Transaktionen zu ermitteln. Erpressungen mit Lösegeldforderungen in Bitcoin gelten deshalb (mittlerweile) als aussichtslos.12
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Erstaunlicherweise hat diese Verbindung von
– guter Pseudonymität im Regelfall und
– Aufdeckbarkeit der Identität im Fall schwerer Vergehen
dazu geführt, dass sich sowohl Nutzer als auch Regulatoren mit den Pseudonymitäts-Regeln des Bitcoin-Netzwerks arrangieren können.
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Die Erfolgsbilanz der Bitcoin-Blockchain spricht für sich: obwohl seit drei Jahren die Summe der in der Bitcoin-Blockchain gespeicherten Werte immer über 50 Mrd. US-Dollar liegt (und in der Spitze bei 300 Mrd. US-Dollar lag), obwohl also seit Jahren massive Anreize bestehen, die Technologie der Bitcoin-Blockchain anzugreifen, ist es nicht gelungen, die Bitcoin-Blockchain zu hacken.
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Zwar hat es erfolgreiche Angriffe im Bereich der Bitcoin-Börsen und -Wallets (siehe Rn. 167ff.) gegeben, diese beziehen sich aber nicht auf die Technologie der Blockchain, sondern auf die sog. „Last Mile“, also die Verbindung zwischen dem Blockchain-Netzwerk und den IT-Systemen und Apps der Endnutzer.
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Eine über den jetzigen Status hinausgehende Bemerkung sei gestattet: Die Blockchain-Technologie ist nur so sicher wie die ihr zugrunde liegenden kryptographischen Algorithmen. Es kann als sicher gelten, dass ausreichend mächtige Quantencomputer die kryptographischen Algorithmen der Bitcoin-Blockchain brechen werden. Die benötigten Verfahren (z.B. der Algorithmus von Shor 13) existieren bereits und sind schon heute auf real existierenden Quantencomputern lauffähig. Allerdings erreichen heutige Quantencomputer die nötige Anzahl von Qubits (dem quantenmechanischen Analogon des Bits aus der klassischen Welt) bei weitem noch nicht: die derzeitigen Quantencomputer verfügen über 70 Qubits, nötig wären aber wohl 20.000.000 Qubits.14
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Sollte sich in der Zukunft abzeichnen, dass Quantencomputer in dann absehbarer Zeit die kryptographischen Algorithmen der Bitcoin-Blockchain brechen könnten, dann würde dies auch für die Verfahren gelten, auf denen weite Teile unserer jetzigen Finanz- und E-Mail-Transaktionen sowie die Verschlüsselung von Daten in der Cloud und in Netzwerken aller Art beruhen. Die Welt stünde dann also vor einer noch viel größeren Herausforderung – wahrscheinlich mindestens von der Dimension des Jahr-2000-Problems.
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Blockchain-Technologie, die auf kryptographischen Verfahren beruht, für die es keine Quantenalgorithmen gibt, existiert bereits und ist Gegenstand intensiver Forschungs- und Standardisierungsbemühungen.15 Es ist derzeit offen, ob es möglich wäre, die Bitcoin-Blockchain oder andere bestehende Blockchain-Netzwerke auf solche Plattformen zu migrieren.
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Es ist ja der Ansatz der Bitcoin-Blockchain, durch die Möglichkeit von direkten Peer-to-Peer-Transaktionen Intermediäre obsolet zu machen, womit auch keine Dienstleister außerhalb des Netzwerks bezahlt werden müssen.
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Des Weiteren ist es ja wie oben dargestellt so, dass die Knoten, die die Sicherung des Bitcoin-Netzwerks im Wesentlichen leisten (die Miner), für ihre Leistung in neu geschaffenen Bitcoin honoriert werden – was also für den eine Transaktion ausführenden Teilnehmer zu keinen Kosten führt.
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Dem steht allerdings die Tatsache entgegen, dass die Bitcoin-Blockchain – in ihrer derzeitigen Konfiguration – nur ca. drei Transaktionen pro Sekunde ausführen kann. Die Transaktions-Kapazität in der Bitcoin-Blockchain kann also selbst zu einem knappen Gut werden. In Zeiten, in denen sich die Nachfrage nach Bitcoin-Transaktionen dem maximal möglichen Durchsatz der Bitcoin-Blockchain nähert, senden Teilnehmer daher zusätzlich zu ihrer eigentlichen Transaktion eine Gebühr an den Miner, damit ihre Transaktionen präferiert ausgeführt werden.
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