„Come. With me.“ Er nickte ihr zu und zog sie weg von dem Platz in den Eingang eines alten Hauses. Das düstere Gewölbe roch nach Schimmel und feuchter Erde. Die Temperatur fiel mit jedem Schritt, den Amid sie nun tiefer ins Innere des Gebäudes führte. Mit dem Fuß stieß er eine verfallene Holztür auf und wollte weiter über eine Steintreppe, die nach unten führte.
Claire sträubte sich, doch der Kleine ließ nicht locker, zog sie die Stufen hinab, hinein in einen engen, niedrigen Bogengang, in dem nach wenigen Schritten völlige Dunkelheit herrschte. Amid kannte das Gewölbe scheinbar wie seine Westentasche und schritt weiter voran. Ein Lichtschimmer fiel durch einen Schacht auf den staubigen Boden und erhellte auch die nächste Treppe, in die der Gang mündete. Sie stiegen noch tiefer. Claire spürte Amids Hand, tastete mit den Fußspitzen den Stufen nach und folgte ihm wie in einem Traum, dessen Bilder in Blut gefärbt waren und der ihr den Jungen plötzlich in den Armen einer ihr fremden Frau zeigte, beide über den toten Körper eines Mannes gebeugt, tränenüberströmt, geschunden, verloren. Sie versuchte, die Bilder loszuwerden, fiel auf die Knie, raffte sich auf, stolperte weiter und wäre wenige Schritte später beinah in eine, plötzlich vor ihnen auftauchende, Wasserfläche gestürzt. Doch Amid hatte schon seine Arme um ihre Taille geschlungen und hielt sie nun mit aller Kraft fest, die er aufbringen konnte.
Claire kam völlig außer Atem vornübergebeugt zum Stehen. Sie sah ihr Spiegelbild unter sich auf der ruhigen Oberfläche des hellgrün schimmernden Wassers und darunter, tief am Grund, eine alte Barke, deren gebogene, mit Tang umhüllten Rumpfhölzer im bewegten Licht sanfter Wellen ihr Gesicht umrahmten. Sie hielt inne. Neigte ihren Kopf, ganz leicht, um den Rahmen nicht zu verlassen und beinahe, als wollte sie sich einmal wieder an die Schulter ihrer Mutter lehnen. Einmal wieder. Nur einmal noch …
Sie drehte sich zu Amid um, umarmte den kleinen Körper innig und fühlte mit einem Mal, wie ganz still und ohne, dass sie hätte ahnen können, warum, das Bild sich zu wenden begann. Für einen seligen Augenblick lang war sie nun die Mutter, die das verlassene Kind umarmte.
Lange standen die beiden so. Bis sich Amid schließlich ganz vorsichtig aus der Umarmung löste und mit seiner Hand in eine Richtung wies. Claire folgte mit dem Blick seiner Aufforderung und da erst erkannte sie, wo sie sich befanden.
Ein riesiger, unterirdischer Wasserspeicher lag vor ihnen ausgebreitet. Die hohen Bogendecken über ihren Köpfen schimmerten in glänzenden Lichtwellen, die vom Wasser auf sie geworfen wurden. Hundert Meter weit schien sich die Säulenflucht der Trägermauern zu erstrecken und mündete weit vorn über diesem verwunschenen See in einen hellen Halbkreis, der, einer aufgehenden Sonne gleich, sein strahlendes Licht in den Speicher warf.
Wie verzaubert stand Claire, an Amids Hand, in der friedlichen, mächtigen Halle. Dankbar drückte sie die kleinen Finger.
Und dann flüsterte Amid ein paar Worte in die Stille hinein: „Share. With you.“
Claire stand lange, mit dem Blick auf die Sonne über dem Wasser gerichtet, und die Tränen, die über ihre Wange liefen, gehörten dem Kleinen und Ajan und einer fernen Zukunft, von der sie jedoch in diesem Moment noch nicht zu träumen gewusst hätte.
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