Sie haben alle Angst vor dem Judenhass der Nazis bekommen.
Schon bald haben Annes Eltern neue Freunde gefunden. Margot und Anne haben viele neue Freundinnen.
Freundinnen aus der Nachbarschaft und Schulfreundinnen. Sie sind fast alle jüdisch und kommen fast alle aus Deutschland.
Margot und Anne lernen schnell Niederländisch.
Denn das hören sie jeden Tag.
Auch mit den deutschen Freundinnen reden sie Niederländisch. Denn sie wollen am liebsten „einfach holländisch“ sein.
„Meine Eltern sprechen so schlecht Niederländisch“, sagt eine Freundin von Margot. „Ich muss sie immer verbessern. Und dann schäme ich mich.“
Für die Kinder aus Deutschland ist es wichtig, niederländisch zu sein. Deshalb will Margots Freundin keine deutschen Kleider tragen.
Nicht diese Dirndl mit Puffärmeln, Schürze und Jäckchen.
Denn dann sehen andere schon von weitem, dass sie aus Deutschland kommt. Und das will sie auf keinen Fall.
Margot ist sehr gut in der Schule. Sie hat immer gute Noten.
Aber Anne ist nicht so ein Wunderkind.
Sie ist unruhig im Unterricht. Sie will immerzu mit den Freundinnen plaudern und lachen.
Und dann hat sie natürlich nicht so viel Zeit zum Aufpassen.
Sie kann aber gut Geschichten erzählen.
Diese Geschichten denkt sie sich oft mit dem Vater aus. „Ich will später Bücher schreiben“, sagt sie zum Klassenlehrer.
Dieser Wunsch geht in Erfüllung. Einige Jahre später fängt sie an, Tagebuch zu führen. Es wird das berühmteste Tagebuch der Welt.
In der Nacht vom 10. Mai 1940 passiert etwas Furchtbares: Die deutsche Armee greift die Niederlande an. Hitler hatte versprochen, dies nicht zu tun. Deshalb fühlten sich die Juden in den Niederlanden sicher.
Aber in nur einer Nacht ändert sich alles.
Viele Juden begehen an diesem Tag Selbstmord.
Sie haben Angst vor dem, was die Nazis vorhaben.
Annes Eltern haben natürlich auch Angst.
Aber zu Anfang ändert sich für sie eigentlich nicht so viel. Margot und Anne gehen wie gewohnt zur Schule. Ihr Vater arbeitet hart bei Opekta.
Und die Mutter kümmert sich um den Haushalt.
Aber dann kommen die Judengesetze:
Juden müssen einen Judenstern tragen.
Juden müssen ihr Fahrrad abgeben.
Juden dürfen nicht mit der Straßenbahn fahren.
Juden dürfen nicht mehr Auto fahren.
Juden dürfen nur zwischen 15 und 17 Uhr einkaufen.
Aber nur in jüdischen Geschäften.
Juden dürfen ab acht Uhr abends nicht mehr auf die Straße oder in ihrem Garten sitzen.
Juden dürfen nicht ins Theater oder ins Kino.
Juden dürfen nur zu einem jüdischen Friseur.
Juden dürfen nicht Sport treiben.
Juden dürfen nicht ins Schwimmbad, auf den Tennisplatz oder aufs Hockeyfeld.
Juden dürfen keine Christen zu Hause besuchen.
Juden müssen jüdische Schulen besuchen.
Und so weiter.
Auch Anne leidet immer mehr unter diesen Judengesetzen. Im Sommer darf sie nicht schwimmen gehen. Im Winter darf sie nicht eislaufen. Vor allem das Letzte findet sie schade.
Sie hat gerade neue Schlittschuhe bekommen.
Und ihr gefällt das Eislaufen so gut.
So geht das Leben weiter.
Juden dürfen das nicht und das nicht und das nicht.
Annes Freundin Jacqueline sagt: „Ich trau‘ mich gar nichts mehr. Denn ich habe Angst, dass es verboten ist.“
Eines Tages erfahren Annes Eltern, dass alle Juden nach Deutschland müssen. Es ist erst nur ein Gerücht. Aber Annes Eltern machen sich Sorgen.
Sie erzählen den Töchtern nichts.
Sie wollen nicht, dass Margot und Anne Angst bekommen.
Am Freitag, den 12. Juni 1942, wacht Anne schon um sechs Uhr früh auf. Das ist logisch, findet sie.
Denn sie hat Geburtstag. Heute wird sie 13.
Sie bleibt bis viertel vor sieben im Bett.
Aber länger hält sie es nicht aus. Sie geht ins Wohnzimmer. Dort sieht sie die Geschenke auf dem Tisch. Es gibt viele Geschenke. Aber das schönste ist das Tagebuch.
Anne will, dass das Tagebuch ihre beste Freundin wird. Eine Freundin, der sie wirklich alles erzählen kann. Denn so eine Freundin hat sie nicht.
Sie nennt diese neue Freundin Kitty. Annes Tagebuchbriefe fangen oft an mit „Liebe Kitty“.
Anne fängt gleich mit dem Schreiben an.
Als Einleitung schreibt sie: „Ich hoffe, dass ich dir alles erzählen kann. Und dass du mir eine große Hilfe sein wirst.“
Dann erzählt sie etwas über ihre Familie. Und über die Klassenkameraden.
Und sie schreibt, dass sie sich auf die Sommerferien freut. Aber ihr unbesorgtes Leben ist schnell vorbei.
Am 5. Juli bekommt Margot einen Brief von der SS .
Sie muss sich in Deutschland zum Arbeitseinsatz melden.
Wenn sich Margot nicht meldet, wird die ganze Familie festgenommen.
Anne kann es nicht glauben. Margot ist erst 16!
Da soll sie alleine nach Deutschland!
Anne weint. Das Kriegselend hat sie jetzt eingeholt.

Margot Frank
Margot ist erst 16, als sie einen Brief von der SS bekommt. Sie muss sich zum Arbeitseinsatz in Deutschland melden.
Tagebuch
Anne bekommt zu ihrem 13. Geburtstag ein Tagebuch. Es wird ihre beste Freundin.
Eins ist sicher: Margot geht nicht nach Deutschland.
Die Familie Frank will sich lieber vor den Deutschen verstecken. Sie will untertauchen.
Margot und Anne sind völlig verwirrt.
Sie fangen an, ihre Schultaschen vollzustopfen.
Als erstes packt Anne ihr Tagebuch ein.
Dann die Schulbücher, Lockenwickler, alte Briefe, Taschentücher und einen Kamm.
„Ich steckte die komischsten Sachen in die Tasche“, schreibt sie ins Tagebuch.
In der Zwischenzeit denkt sie darüber nach, wo sie wohl untertauchen werden. In der Stadt oder auf dem Land? In einem Haus oder in einer Hütte?
Wie, wo? Denn Anne weiß von nichts.
Abends bekommt die Familie Frank Besuch von Miep Gies. Sie arbeitet auch bei Opekta.
Sie bringt ihren Mann Jan mit. Miep und Jan nehmen Schuhe, Kleider, Jacken, Unterwäsche und Strümpfe mit.
Dies bringen sie zur neuen Unterkunft der Franks.
Die Familie Frank darf nämlich selbst nicht mit den Koffern auf die Straße. Denn die deutschen Soldaten könnten denken, dass sie flüchten wollen.
Anne geht an diesem Tag sehr spät ins Bett.
Sie weiß, dass sie zum letzten Mal in ihrem eigenen Bett schläft. Trotzdem schläft sie sofort ein.
Am nächsten Tag fällt warmer Regen.
Trotzdem zieht sich die ganze Familie warm an.
„Als ob wir in einem Eisschrank übernachten müssen“, schreibt Anne. Sie hat zwei Unterhemden an. Außerdem zwei Hosen, ein Kleid, einen Rock, eine Jacke und eine Sommerjacke.
Dazu zwei Paar Strümpfe, dichte Schuhe, Mütze und Schal. Schon zu Hause erstickt sie fast.
Aber das ist die einzige Möglichkeit, noch mehr Kleider mitzunehmen.
Das Frühstück bleibt auf dem Tisch stehen.
Die Betten ziehen sie ab. Sie tun so, als hätten sie das Haus ganz plötzlich verlassen.
Sie lassen Futter für Annes Katze Moortje da.
Mit einem Brief an den Nachbarn. Er soll für die Katze sorgen.
Und so laufen Anne und ihre Eltern durch den strömenden Regen.
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