Marion Reddy - Dachschaden

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Marion Reddy, Iris Zachenhofer Dachschaden – zwei Neurochirurginnen decken auf. Mit dem schwarzen Humor abgebrühter Ärztinnen decken Marion Reddy und Iris Zachenhofer schwere Missstände an neurochirurgischen Abteilungen auf: Da wagt sich ein Bandscheiben-Spezialist mit nichts als einer Video-Anleitung an einen Gehirntumor. Ein Gehirnspezialist führt eine völlig überflüssige Operation durch, bloß weil sie ihm noch auf seiner Liste fehlt. Die Folgen sind allzu leicht bleibende Schäden für die Patienten. «Dachschaden» ist ein freches Buch über Machtstrukturen, Systemfehler, programmierte Pannen und den Narzissmus ärztlichen Personals im exponiertesten Bereich des Gesundheitssystems, der Neurochirurgie. Quintessenz: Jemand öffnet Ihren Schädel und tut etwas mit Ihrem Gehirn. Sie vertrauen ihm. Das sollten Sie aber nicht.

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Marion Reddy Iris Zachenhofer Dachschaden Alle Rechte vorbehalten 2014 - фото 1

Marion Reddy, Iris Zachenhofer: Dachschaden

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 edition a, Wien

www.edition-a.at

Lektorat: Anatol Vitouch

Cover: Kyungmi Park

Gestaltung: Cornelia Lein

Gedruckt in Europa

Gesetzt in der Premiera

1 2 3 4 5 6 — 17 16 15 14

Print-ISBN 978-3-99001-104-1

eBook-ISBN 978-3-99001-124-9

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Zum Einstieg oder Was so passiert

Fall eins

Fall zwei

Prolog

Narzissten in Weiß

Und ich?

Die Gier nach Operationen

Lizenz zum Töten

Zerlegen wir ein Plüschtier

Kompetenz

Üben am Patienten

Spezialisten? Brauchen wir nicht

Keiner will die guten Ärzte

Alltag

Das neurochirurgische Zölibat

Essen gehört sich nicht

Stehend k. o.

Wenn wir gar nichts mehr machen können

Krank im Dienst

Schwanger? Wieso?

Sunny

Feinde fürs Leben

Graben- und Machtkämpfe

Der Umgang mit Frauen

Schriftliche Entmündigung

Die Süchte der Neurochirurgen

Einkommen

Die schlechten Chefs

Notwendige Reformen

Paris

Zum Einstieg oder Was so passiert

Fall eins

Die neurochirurgische Abteilung des Krankenhauses, in der ich damals als Assistenzärztin arbeitete, hatte einen neuen, auf Zeit bestellten Chef bekommen. Neben seinem Sinn für Karriere und dem Montblanc-Kugelschreiber in seiner Brusttasche, qualifizierte ihn meiner Meinung und der Meinung der meisten meiner Kollegen nach nur sehr wenig für den Job. Seine Referenzen waren fragwürdig, seine Führungsqualitäten wären nicht einmal unter dem sündteuren OP-Mikroskop sichtbar geworden.

Da er aber nun mal der neue Chef der Abteilung war, nutzte er seine vorübergehende Amtszeit konsequent, um seine Referenzen für die Zukunft gründlich zu verbessern. Bei einem Neurochirurgen bestehen Referenzen zu einem großen Teil aus den Operationen, die er schon durchgeführt hat. Daher teilte er sich hemmungslos für praktisch alles ein, das unsere Abteilung zu bieten hatte. Niemand aus dem Team bezweifelte, dass eine Reihe von Patienten bitter für sein Engagement in eigener Sache bezahlen würde, aber wir hatten ihn nicht bestellt. Chef ist nun mal Chef, und keiner hatte Lust auf noch mehr Stress, als wir ohnedies jeden Tag hatten.

Die Patientin, um die es hier geht, war eine gerade einmal drei-ßigjährige Krankenschwester. Sie litt an einem Meningeom, einem gutartigen Tumor mit sieben Zentimetern Durchmesser. Das Meningeom lag noch dazu an einer Stelle im Gehirn, an der die venösen Blutleiter besonders stark ausgeprägt sind, was bedeutete, dass sie bei einer Operation sehr stark bluten konnten. Blut ist bei einem Eingriff im Schädel nie gut. Es war trotzdem eine Routineoperation, die jeder einigermaßen eingearbeitete Neurochirurg locker hingekriegt hätte. Sie dauerte für gewöhnlich fünf Stunden und verlief in den meisten Fällen gut. Unser neuer Chef hatte solche Eingriffe bisher jedoch kaum durchgeführt, war aber zu stolz, um einen erfahreneren Kollegen beizuziehen. Also operierte er das Meningeom alleine. Er war ja jetzt zumindest vorübergehend Chef und musste seinen Operationskatalog für zukünftige Bewerbungen ordentlich auffetten. Doch übertriebenes Karrierebewusstsein und mangelnde Erfahrung bei einem Neurochirurgen sind für Patienten eine verhängnisvolle Kombination.

13 Stunden, nachdem er den Schädel der jungen Frau geöffnet hatte, war er mit der Beseitigung des Meningeoms noch immer nicht fertig. Eine weitere Stunde später fing es im gesamten Operationsgebiet wie verrückt zu bluten an. Unser Chef musste uns, einen Kollegen und mich, zu Hilfe holen, um die Schädeldecke so rasch wie möglich wieder zu schließen. Sich rechtzeitig Hilfe zu holen hätte seiner Reputation nicht geschadet, im Gegenteil, es hätte für sein Verantwortungsbewusstsein gesprochen. Er tat es leider viel zu spät.

Wir halfen ihm, so gut es ging. Doch gleich nachdem er die Frau, die angesichts ihrer vergleichsweise harmlosen Diagnose wohl nie vermutet hätte, was für ein endloses Gemetzel in ihrem Gehirn stattfinden würde, aus dem Operationssaal in die Intensivstation geschickt hatte, erlitt sie eine massive Nachblutung. Das machte eine sofortige weitere Operation notwendig.

Diesmal waren wir von Anfang an dabei. Wir öffneten ihre Schädeldecke weiter, als bei der zuvor durchgeführten Operation. Die aufgetretenen Komplikationen machten das notwendig. Der Knochendeckel, den wir ihr abgenommen hatten, würde nach der Operation weg bleiben, für den Fall einer Schwellung oder weiterer Komplikationen. Ein Mensch, der sich nach dem Aufwachen auf den Kopf greift und feststellt, dass auf einer Seite seines Kopfes kein harter Knochen mehr ist, sondern ein Loch im Knochen mit etwas, das sich so ähnlich anfühlt wie ein mit Wasser gefüllter Luftballon, hat sich darüber wahrscheinlich noch nie besonders gefreut.

Nach dem zweiten Eingriff landete die junge Frau als Risikopatientin künstlich beatmet und stark geschwächt abermals auf der Intensivstation. Im weiteren Verlauf kamen dann internistische Probleme hinzu, eine schwere Lungenentzündung und Embolien. Ihr Zustand war mehrere Tage lang lebensbedrohlich. Erst nach einem ganzen Monat wachte sie wieder auf, und es war kein schönes Erwachen für sie. Das Loch im Kopf war dabei ihr geringstes Problem. Ihr Sprachzentrum war ausgefallen. Sie konnte weder sprechen noch schreiben. Sie konnte auch den Worten, die sie hörte, keinen Sinn entnehmen. Sie konnte zum Beispiel eine Banane zwar sehen, aber nicht benennen, und das, obwohl sie bei vollem Bewusstsein war.

Das war noch immer nicht das Schlimmste, denn sie hatte durchaus eine Chance, dass ihr Sprachzentrum eines Tages wieder funktionstüchtig sein würde. Das Schlimmste war, dass sie an einer Hemiplegie litt, einer kompletten Halbseitenlähmung.

Gewöhnlich bekamen wir nicht mehr viel von den Patienten mit, wenn sie unsere Station einmal verlassen hatten. In diesem Fall war es anders, weil es sich um eine Branchenkollegin handelte. Deshalb weiß ich, dass ihre Mutter sie jahrelang zur Rehabilitation begleiten musste, bei der sie dank harten Trainings das Sprechen und Lesen tatsächlich wieder erlernte. Das verbesserte ihre Lebensqualität, aber gegen die halbseitige Lähmung hätte ihr auch das beste Training nicht mehr geholfen.

Hätte ein erfahrener Facharzt aus dem Team die gleiche Operation durchgeführt, dann wäre die junge Frau vollkommen geheilt worden und würde ein normales Leben führen. Sie wäre wieder in ihrem Job tätig, den sie gerne mochte, sie wäre vielleicht verheiratet und hätte Kinder. Auf jeden Fall würde sie nur noch ganz selten an den Eingriff in ihrem Schädel denken.

Doch so hatte ein Neurochirurg, der aus Prestige- und Karrieregründen eine Operation durchführte, für die ihn nichts qualifizierte, ihr Leben zerstört. Aus der Traum von einem normalen, glücklichen Leben, von Sport, Fernreisen, beruflichem Aufstieg, Hochzeit und eigenen Kindern.

Der Oberarzt, der sie ganz sicher schon völlig vergessen hatte, noch ehe sie zu ihrer ersten Rehabilitationsstunde antrat, hatte nicht einmal mit Konsequenzen zu rechnen. Denn sowohl halbseitige Lähmung als auch Verlust des Sprachzentrums standen als mögliche Begleiterscheinungen am Beipackzettel dieser Operation.

Fall zwei

Zwölf Uhr Mittag an einem sonnigen Tag Anfang März. Ich hatte meinen Dienst vor vier Stunden angetreten und war fit und relativ gut ausgeschlafen. Als ich in den Schockraum gerufen wurde, klang die Vorabinformation zu der Patientin drastisch. Eine deutsche Skifahrerin war ohne Helm kopfüber auf einen Stein gestürzt. Sie kam mit einer großen Platzwunde am Kopf und, logischerweise, dem Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma. Also mussten Neurochirurgen zur Stelle sein. Wer nicht gerade im OP arbeitete, musste sich in so einem Fall einfinden.

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