Angesichts dieser multiplen Herausforderungen ist es ausgesprochen außergewöhnlich, in welch kurzer Zeit Franz Eberle schon im Jahre 1996 seine Habilitationsschrift mit dem Titel «Didaktik der Informatik bzw. einer informations- und kommunikationstechnologischen Bildung auf der Sekundarstufe II» vorlegte und damit an der Universität St. Gallen die Venia Legendi für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik zugesprochen bekam. Mit seiner Arbeit widmete er sich zugleich schon damals einem Thema, das heute – unter dem Stichwort «Digitalisierung» – aktueller kaum sein könnte. Nach der Habilitation blieb er der HSG drei weitere Jahre erhalten. Im Jahre 1999 erfolgte dann die Berufung nach Zürich auf eine Professur für Gymnasialpädagogik mit wirtschaftspädagogischem Schwerpunkt, die zunächst ein halbes Pensum ausmachte, die zweiten 50 Prozent blieb er weiterhin Hauptlehrer in Sargans. Ganz ohne Zweifel ist diese Kombination aus Forschung, universitärer Lehre und schulischer Praxis eine ganz besonders gute Voraussetzung für die Ausübung einer Professur für Gymnasialpädagogik. Nach zwei Jahren erfolgte dann die Überführung der Professur in ein Vollamt und nach weiteren sechs Jahren in eine ordentliche Professur. Obwohl er im Jahr 2001 seine schulische Lehrtätigkeit aufgab, hat Franz Eberle weiterhin systematisch Bezug auf die schulische Praxis genommen, und insbesondere die Studierenden profitierten hiervon durchgängig. So greift er auf ein reichhaltiges Repertoire an Beispielen aus der eigenen Unterrichtspraxis zurück, sodass seine Lehrveranstaltungen stets von hoher Authentizität, Anschaulichkeit und belebenden Bezügen zur Schulpraxis geprägt waren. Es ist ihm darüber hinaus bis heute ein wichtiges Anliegen, die allgemeindidaktischen Lehrveranstaltungen mit der fachdidaktischen Lehre am Institut fortwährend zu verzahnen und optimal aufeinander abzustimmen und damit die Qualität der Lehrdiplomausbildung über die eigenen Lehrveranstaltungen hinaus stetig zu verbessern. Zugleich führt seine Praxiserfahrung nicht nur in den abgeschlossenen, sondern laufenden bildungspolitischen Projekten zu großer Anerkennung aufseiten aller Beteiligten.
2Das Wirken von Franz Eberle an der Universität Zürich und sein zunehmender Einfluss auf die Bildungspolitik
Anders als aus St. Gallen gewohnt, war seine Zürcher Professur nicht an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät verortet, sondern zusammen mit den Lehrstühlen der für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung verantwortlichen Professorinnen und Professoren am damaligen Höheren Lehramt Mittelschulen (HLM) am alten Standort am Beckenhof. Damit war Franz Eberle der Philosophischen Fakultät zugehörig. Um den Anschluss an die Fachwissenschaft schon strukturell zu erhalten, erwirkte er allerdings zusätzlich eine Kooptierung an die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, was auch als Ausdruck der von ihm wahrgenommenen Bedeutung des Faches als solches zu verstehen sein sollte.
Die sogenannten Nullerjahre und der Beginn der 2010er Jahre waren durch Debatten um die grundsätzliche Bedeutung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung an der Universität Zürich geprägt und damit auch um die strukturelle Verortung des HLM bzw. von dessen Nachfolger, dem Institut für Gymnasial- und Berufspädagogik (IGB). Letztlich gelang dank dem Zusammenschluss mit dem Institut für Erziehungswissenschaft (IfE) und der Einrichtung einer Abteilung für Lehrerinnen- und Lehrerbildung Maturitätsschulen (LLBM) der Eintritt in ein ruhigeres Fahrwasser für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung, an dem gerade Franz Eberle als (erster) Abteilungsleiter in der Transitionsphase ganz entscheidend mitwirkte. Inzwischen ist die Lehrerinnen- und Lehrerbildung sogar mit einem eigenen Paragrafen im Universitätsgesetz verankert, sodass sich grundsätzliche Fragen nach ihrer Zugehörigkeit zur Universität nicht mehr stellen sollten.
War sein Team anfänglich noch vergleichsweise klein, so wuchs es mit der Zeit vor allem durch den Erfolg bei der Einwerbung von Forschungsgeldern. Das erste größere eingeworbene Projekt war die SNF-Studie «Anwendungs- und problemorientierter Unterricht» (APU), aus der eine Vielzahl an Veröffentlichungen resultierte. Fast zeitgleich warb Franz Eberle mit der im Sommer 2005 durch Bund und EDK finanzierten zweiten Evaluationsphase der gesamtschweizerischen Evaluation des MAR 95 (EVAMAR II) ein Projekt ein, das bis zu seiner Emeritierung maßgeblich und inhaltlich wegweisend für seinen Lehrstuhl sein sollte. In EVAMAR II lag der Fokus auf der objektivierten Erfassung des Ausbildungsstandes und der Studierfähigkeit von Schülerinnen und Schülern am Ende des Gymnasiums in Mathematik, Erstsprache, Biologie sowie im überfachlichen Fähigkeitsbereich. Mit der Vorlage des Abschlussberichts im Jahre 2008 begann in der Schweiz eine umfassende, in Teilen öffentlich geführte Diskussion um die Studierfähigkeit der Maturandinnen und Maturanden, die Franz Eberle aufgrund seiner Projektleitung von EVAMAR II und seiner mit klarem Anspruch auf gleichzeitige Sensibilität für die Wahrnehmungen aller Beteiligten verfassten Empfehlungen aus EVAMAR II für die nächste Dekade beeinflusste. Ganz wesentlich äußert sich dies im späteren Auftrag von EDK und SBFI, die «basalen fachlichen Kompetenzen für allgemeine Studierfähigkeit in Mathematik und Erstsprache» zu ermitteln. Dazu führten Franz Eberle und sein Team ein umfassendes Projekt durch, das nun eindeutig weniger wissenschaftlich, sondern eher bildungspolitisch motiviert war. In der Konsequenz führte das Projekt unter anderem zu einer Ergänzung des Rahmenlehrplans für Maturitätsschulen, welche die Beschreibung des Könnens und Wissens in der Erstsprache und Mathematik betrifft, die für viele Universitätsstudien vorausgesetzt werden.
Auch durch seine zentrale Rolle bei der Klärung der Frage nach der Studieneignung und dem Umgang mit dieser Herausforderung nahm Franz Eberle in diversen Kommissionen Einsitz bzw. leitete diese. Folgende Gremien seien an dieser Stelle – im Sinne einer Auswahl – genannt: Von 2007 bis 2016 war Franz Eberle Mitglied der EDK-Kommission für die Anerkennung der Lehrdiplome für Maturitätsschulen, ab 2017 deren Präsident; ab 2013 war er Mitglied der Schweizerischen Maturitätskommission; zudem Mitglied des Beirats der Schweizerischen Universitätskonferenz (SUK) für den Eignungstest für das Medizinstudium (EMS; 2011–2017) sowie seit 2017 ständiger Gast der wissenschaftlichen Begleitgruppe für das Zulassungsverfahren zum Medizinstudium. Er hatte diverse weitere Ämter inne, die hier nicht weiter aufgeführt werden.
Neben der gymnasialpädagogischen Forschung hat Franz Eberle in Zürich wesentliche Beiträge zur Wirtschaftspädagogik geleistet, die im In- und Ausland stark wahrgenommen wurden. Zentral war insbesondere die Untersuchung der Frage nach der Ausprägung und dem Zustandekommen ökonomischer Kompetenzen der Lernenden auf der Sekundarstufe II. Ein Meilenstein war hierbei die SNF-Studie OEKOMA, in der diese Kompetenzen von Maturandinnen und Maturanden erstmals systematisch im letzten Jahr des Gymnasiums und der Berufsmaturitätsschule in der Deutschschweiz untersucht wurden. Praktisch nahtlos an diese Studie schloss sich das vom SBFI geförderte Projekt «Modellierung und Messung wirtschaftsbürgerlicher Kompetenz» an, das in diverse deutsche Projekte im Verbund COBALIT im Rahmen der BMBF-Initiative ASCOT zur technologiebasierten Erfassung der Kompetenzen von Lernenden in der beruflichen Erstausbildung eingebunden war. Mit den Ergebnissen konnten erstmals systematisch vergleichende Befunde zwischen der Schweiz und Deutschland vorgelegt werden.
Das prominenteste, wissenschaftlich und methodisch anspruchsvollste Projekt in der wirtschaftspädagogischen Domäne war jedoch ohne Zweifel das vom SBFI geförderte Leading House «Lehr-Lernprozesse im kaufmännischen Bereich» (LINCA). In diesem längsschnittlichen Projekt wurde erstmals die Entwicklung der kaufmännischen und wirtschaftsbürgerlichen Kompetenzen einer Kohorte angehender Kaufleute über den gesamten Ausbildungsverlauf erfasst. Darüber hinaus gaben Lernende und ihre Lehrpersonen Auskunft zu ihrer Wahrnehmung der Unterrichtsqualität in «Wirtschaft und Gesellschaft». Eine Videostudie ergänzte die umfangreichen und komplexen Datenerhebungen und Datenanalysen. Ein besonderes Verdienst von Franz Eberle war, dass Facetten der professionellen Kompetenz von Lehrpersonen in kaufmännischen Berufsfachschulen der Deutschschweiz erstmals erhoben werden konnten, denn mit seiner Bekanntheit und fachlichen Versiertheit gelang es ihm, mehr als 150 Lehrpersonen zur Teilnahme an der Befragung zu mobilisieren. Erwähnt werden sollte, dass er nicht nur in diesem Projekt, sondern auch in anderen Projekten den wissenschaftlichen Nachwuchs förderte.
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