Reinhardt hatte der Festspielhausgemeinde Hans Poelzig als Architekten, der die ersten Entwürfe machen sollte, vorgeschlagen. Er kannte ihn als einen genialen Schöpfer, der sich in den barocken Geist der Stadt einfühlen würde. Neben ihm wurde dann noch der berühmte österreichische Architekt Josef Hoffmann zu dem Wettbewerb herangezogen. Ein Salzburger Architekt, den die Festspielhausgemeinde vorschlug, Wunibald Deininger, durfte ebenfalls einen Entwurf einreichen. Poelzig fuhr nach Salzburg, um sich zu orientieren. Seine Pläne und ein Modell wurden 1920, eine etwas vereinfachte Fassung dann 1921 unterbreitet, aber niemals ausgeführt. Sie werden vor der Nachwelt immer als eine grandiose Lösung eines Plans für ein barock-manieristisch anmutendes Festspielhaus bestehen.
Was Max Reinhardt prophezeit hatte, erfüllte sich: durch den Umbau des ehemaligen erzbischöflichen Hofmarstalles, den Wolf Dietrich 1607 erbaut hatte, wurde ein Provisorium geschaffen. Aus diesem Provisorium hat sich dann, in Jahren vielfacher Umbauten, Anbauten und Ausgestaltungen, das Festspielzentrum, wie es 1937 bestand – der letzte Festspielsommer, den Max Reinhardt in Salzburg verbrachte –, entwickelt. Die einzelnen Phasen dieser Entwicklung waren ungemein schwierig. Geldmangel, Inflation, politische Wirren, Kurzsichtigkeit und Neid lokaler Kreise, Bürokratismus und nicht zuletzt der langsame Trott des alten österreichischen Amtsschimmels mussten überwunden werden. Es war ein dorniger Weg, der ungezählte, meist fruchtlose Begehungen einschloss, die dann zumeist in ebenso fruchtlosen Sitzungen endeten. Dem Verständnis und dem Glauben einiger weniger Einsichtsvoller, vor allem aber auch dem Kunstrat (Max Reinhardt, Richard Strauss, Franz Schalk, Hugo von Hofmannsthal und Alfred Roller) ist es zu danken, dass Reinhardts Pläne verwirklicht werden konnten. Der Umbau des Hofmarstalles, zuerst dem Architekten Eduard Hütter anvertraut, von Bürgermeister Ing. Hildmann bis an die Grenzen der Aufopferung weitergeführt, wurde schließlich unter Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, den Reinhardt ungemein verehrte, vollendet. Durch die teilweise Überdachung wurde die unvergessliche Faust-Aufführung Max Reinhardts ermöglicht, nachdem die »Fauststadt« genau nach seinen Angaben und Entwürfen erbaut worden war. Ein bleibendes Zeugnis für das Allumfassende seines Genies, das nicht nur den Schauspieler, sondern auch Dichter, Musiker, Maler und nicht zuletzt Baumeister befruchtete.
In Erzbischof Dr. Ignatius Rieder hatte Reinhardt einen begeisterten, verständnisvollen Förderer, der zum Zustandekommen des Jedermann auf dem Domplatz entscheidend beitrug. In einer Zeit, in der engstirnigster Rassenhass sich bereits bedenklich verdichtete, erklärte er: »Ein guter Jude wie Reinhardt ist mir lieber als ein schlechter Christ.« Max Reinhardt sagte von ihm immer wieder: »Das ist ein Heiliger.«
Schlösser – Häuser – Wohnungen
In diese ersten längeren Aufenthalte in Salzburg fielen aber auch noch andere Pläne, die Reinhardt verfolgte. Er wollte seinen Bruder Edmund, von dem er sich nie lange trennte, in seiner Nähe haben. So suchte er für ihn einen kleinen Besitz, der Edmunds Lebensweise mehr entsprach als die Weitläufigkeit von Leopoldskron. Man erzählte ihm von einem kleinen Schloss Ursprung, auf einer Art Hochebene, oberhalb von Hallwang. An einem schwülen Tag fuhr er hinaus. Er wunderte sich über den merkwürdig grauen, bedeckten Himmel. »Schneeblüat«, sagte der Kutscher, während der Wagen auf der sanft ansteigenden Straße hinaufknarrte. Zwischen uralten Bäumen stand ein kleiner Bau, der Reinhardt entzückte. Einfaches, heiteres Barock. Innen watteauartige Sopraporten, alte Öfen und schöne Parkettböden, die Reinhardt später für die Ausgestaltung der Bibliothek in Leopoldskron erwerben konnte. Unter den mächtigen Bäumen stand ein barocker Steintisch, in den sich Reinhardt ebenfalls sofort verliebte. Erst viele Monate später, nach allerhand fruchtlosen Versuchen, gelang es, ihn vor dem Verfall dort oben zu retten und für Leopoldskron zu kaufen, wo er einen Ehrenplatz auf der »Zwergelwiese« erhielt.
Bei einer Jause unter den hohen Bäumen kam Reinhardt mit einem alten Bauern ins Gespräch, und der Kutscher stimmte in dessen Jammer über die schweren Zeitläufte ein. Über der Salzburger Ebene stiegen der Untersberg, der Hohe Göll und das feingestreckte Tennengebirge in den Abendhimmel Dieses Schloss Ursprung, der Ausblick über das gesegnete Land, die Stimmung dieses Spätherbstabends haben Reinhardt ebenfalls sein Leben hindurch begleitet. Es kam nicht zu dem Kauf, aber Schloss Ursprung blieb für ihn ein Begriff, an dem er im Lauf der Jahre immer wieder vieles maß.
Ein anderes Schloss noch hat Reinhardts Phantasie jahrelang beschäftigt: Kleßheim. Der unvollendete Prachtbau Fischer von Erlachs hatte etwas von einem verwunschenen Schloss. Eine Mauer umgab den ganzen Besitz; dunkel standen Baumgruppen in den moosigen Wiesen und im alten Fasangarten. Ludwig Viktor, ein Bruder des Kaisers Franz Joseph, war dort den größten Teil seines Lebens in einer Art Exil gewesen, wenn er auch offiziell immer wieder an verschiedenen Ereignissen in Salzburg teilnahm. So erinnerte sich Max. Reinhardt immer daran, dass Schauspieler bei Benefizvorstellungen goldene Dukaten vom Erzherzog erhielten. Die Einrichtung des Schlosses war eine Orgie in blau-weiß. An den Wänden der unwohnlichen Zimmer hingen zahllose Stiche und Photographien in Tannenholzrahmen. Am wertvollsten war das – ebenfalls blauweiße – Porzellan verschiedenster alter Marken. Das Ganze ein sonderbares Gemisch von Echtem und Geschmacksverirrungen, die für das Ende des 19. Jahrhunderts und besonders für habsburgische Schlösser dieser Epoche so charakteristisch sind.
Nun sollte dieser Besitz aufgelöst werden. In einem der Nebengebäude residierte der alte Baron Gautsch, in dessen Händen die Verwaltung des Schlosses lag. Auch er eines der zahlreichen Originale, mit denen gerade Salzburg so reich gesegnet war. Reinhardt, der damals nach Kleßheim fuhr, um alles zu besichtigen, interessierte diese altösterreichische Type nicht weniger als das E.-T.-A.-Hoffmann-Milieu, in dem sie wie eine unförmige Qualle herumschwamm. Er wurde niemals müde, Menschen zu beobachten, und wenn er seiner Sammlung eine neue Spezies hinzufügen konnte, war der Tag für ihn nicht verloren. Sein brennendes Interesse an Menschen war von Güte und Humor durchsetzt. Sein Gedächtnis für Physiognomien war unfehlbar. Er konnte sogar nach vielen Jahren noch rekonstruieren, wo er den Betreffenden gesehen hatte.
Reinhardt erwarb damals in Kleßheim keine Antiquitäten. Hingegen engagierte er im Lauf der nächsten Jahre einige der erzherzoglichen Angestellten für Leopoldskron. Unter ihnen war Franz, einstiger Kammerdiener und Vorleser Ludwig Viktors, vielleicht die interessanteste Erscheinung. Die Rolle, die er in Reinhardts Diensten spielte, war immer etwas chargiert. Auch er eine sonderbare Blüte in Reinhardts Menschensammlung. Sein Tod in Venedig war ein tragisches Ende dieses Kammerdieners par excellence. Was Reinhardt damals noch ganz besonders erschütterte, war das Sterben eines Menschen in dieser strahlenden Sonne, dieser unfasslich grausame Kontrast.
Im Lauf des Jahres sah Max Reinhardt Schloss Kleßheim immer wieder an, denn der Gedanke, es in das Festspielzentrum zu verwandeln oder Aufführungen dort zu veranstalten, tauchte stets aufs Neue auf. Erst dreizehn Jahre später, im August 1932, sollte sich dieser Traum, die Schönheit Kleßheims in eine Inszenierung zu verweben, verwirklichen: in einer der reizvollsten Sommernachtstraum-Aufführungen, einstudiert mit Schülern seines Wiener Schauspielseminars. Die Zuschauer wanderten von Schauplatz zu Schauplatz, Wiesen, Wald und Schloss spielten mit. Der große Prunksaal war der Rahmen für den letzten Akt, und ein unbeschreiblicher Zauber lag über dem Raum, als die letzten Worte Oberons in der Dämmerung verklangen. Schöner und würdiger hat sich Fischer von Erlachs Bau nie erfüllt als an diesem Abend.
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