Abb. 1.4 Entwurf einer Brücke über den Rhein bei Schaffhausen, Grubenmann , 1755.
Abb. 1.5 Landungsbrücke am Hudson River in New York
(Quelle: Stefan Winter).
Ein früher Pionier des Ingenieurholzbaus war Carl Culmann (1821–1881) [1.5]. Anlässlich seines 100. Todestages hat Richard Pischl von der Universität Graz darauf hingewiesen, dass der Ingenieur, Forscher und Lehrer Culmann wesentlich dazu beigetragen hat, den Holzbau zu einem Ingenieurholzbau zu entwickeln, als er in Auswertung seiner Amerikareise 1849 die von ihm dort studierten, handwerklich hergestellten Brücken statisch zu analysieren suchte. Unter der Voraussetzung gelenkiger Knotenpunkte entwarf er dabei eine Fachwerktheorie und war damit in der Lage, die Stabkräfte zu berechnen. Es ist interessant, wie Culmann , von den nur empirisch, aber theoretisch unklar von durchaus tüchtigen Baumeistern entworfenen Brückensystemen, die Knoten konstruktiv und statisch analysierte. Er führte dabei die Bezeichnung „Fachwerk“ ein, die damit in die Fachsprache einging. Er war aber auch ein praktischer Ingenieur und untersuchte z. B. den gusseisernen Schuh, wie er damals zur Ausführung des Knotens üblich war ( Abb. 1.7).
Abb. 1.6 Eisenbahnbrücke über die Iller in Kempten
(Quelle: Z & M 3D-Welt).
Culmann wurde 1855 in das neu gegründete Eidgenössische Polytechnikum in Zürich als Professor für Ingenieurwissenschaften berufen. Hier schrieb er sein Hauptwerk „Die graphische Statik“ 1866 (2. Auflage 1875). Sein Schüler und späterer Nachfolger in Zürich war Wilhelm Ritter (1847–1906), der mit den „Anwendungen der graphischen Statik“ in vier Bänden die Arbeit von Culmann weiterführte.
Von großer Bedeutung, wenn auch in negativem Sinn für den Holzbau, war die Entwicklung des Eisenbaus in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Mit diesem Eisenbau entstand dem Holz zum ersten Mal in der Geschichte der Baukunst ein gewaltiger Konkurrent, indem er mit stabförmigen Bauelementen arbeitete, die man bisher nur in Holz gekannt hatte. Der Stahl verdrängte das Holz.
Stahl bändigt die größeren Kräfte. Gewiss wurden nach wie vor im aufstrebenden Eisenbahnbau unzählige Güter- und Lokschuppen, Bahnsteigdächer usw. aus wirtschaftlichen Gründen in Holz gebaut. Aber schon Troche hat 1951 darauf hingewiesen, dass es neben technischen vor allem starke wirtschaftspolitische Tendenzen waren, die dem Stahl Vorteile in einem Umfang verschafften, die über das durch unleugbare Vorzüge des Stahls berechtigte Ausmaß hinausgingen [1.6]. Fast meint man bei Troche in einer Werbeschrift unserer heutigen Generation zu lesen, schrieb der Erstverfasser bereits in der Einführung einer der ersten Auflagen des Holzbau-Taschenbuchs. Aber selbst aus heutiger Sicht, 2021, stimmt das immer noch:
Der Stahl ist kein naturgewachsener stabförmiger Werkstoff, sondern künstlich erzeugt. Den dadurch unleugbaren Vorzügen namentlich statischer Natur, stehen aber auch fühlbare Nachteile entgegen, von denen hier nur auf das große Eigengewicht, ferner auf die hohen Preise und in vielen Fällen im Gegensatz zu dem dauerhaften Holz vorliegende mangelhafte Widerstandsfähigkeit gegenüber chemischen Einflüssen (z. B. Rauchangriffen) hingewiesen sei. Stahl ist eben – wie alle unedlen Metalle – erst künstlich erschmolzen und dadurch aus seinem chemischen Gleichgewicht im Erz herausgerissen worden, dem es nun durch Sauerstoffaufnahme (Rosten) unaufhaltsam wieder zustrebt. Holz dagegen befindet sich mit seiner Umwelt normalerweise im chemischen Gleichgewicht. …
Der neue Stahlbau übernahm sehr bald den Fachwerkträgerbau, entwickelte ihn zielbewusst weiter, schuf planmäßig konstruktive Neuerungen. So gelang es ihm außerordentlich rasch, den sich kaum rührenden Holzbau fast völlig zum Erliegen zu bringen. Diese Abwärtsentwicklung wurde aber auch durch den Umstand begünstigt, dass mit wachsender Verkehrsdichte auch die Brückenbelastungen und damit die Stabkräfte immer mehr zunahmen, so dass ihnen die seinerzeit noch üblichen zimmermannsmäßigen Bauformen technisch nicht mehr gewachsen waren. …
Aber auch der vorübergehend entstandene Verlust an technischem und künstlerischem Wissen und Können in der rechten Behandlung und Konstruktion des Werkstoffes Holz sei hier erwähnt. Weil diese Kenntnisse nicht mehr gepflegt wurden, gerieten sie teilweise in Vergessenheit. Der Tiefstand war um die letzte Jahrhundertwende erreicht (Anm.: Gemeint ist hier 1899/1900). Holzbaumeister von Format gab es überhaupt nicht mehr.
Abb. 1.7 Knoten einer Landungsbrücke am Hudson River, Howe’scher Träger
(Quelle: Stefan Winter).
Einen neuen Aufschwung des Holzbaus brachte die Entwicklung vom handwerklichen zum Ingenieurholzbau durch neue Verbindungsmittel, die Erfindung der Holzleimbauweise, erste Fertighausfabriken oder neue Konstruktionsweisen. Sie ist stark von Deutschen gefördert worden. Es sollen die Namen Stephan, Tuscherer, Kübler, Christoph & Unmack, Cabröl, Greim, Zollinger, Hetzer und Meltzer ehrend genannt werden.
Mit der wissenschaftlichen Forschung ab der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts sind die Namen u. a. von Stoy, Graf, Fonrobert, Seidel, Gaber, Trysna, Egner, Sinn, Sahlberg, Kolb und Möhler eng verknüpft.
Die eigentliche Entwicklung des modernen Holzbaus setzt jedoch als Nagelbau, Dübelbau und Leimbau etwa gleichzeitig bereits um 1930 ein.
Von einem Ingenieurnagelbau kann man sprechen, seit dem Stoy mit seinen Versuchen über die Tragfähigkeit der Nägel (1928) die ersten amtlichen Angaben (1933) und endlich die Anerkennung des Nagels als tragendes Verbindungsmittel in [1.7] erreichte.
Vom Dübelbau kann gesprochen werden, seitdem Otto Graf 1930 die ersten Ergebnisse seiner Biegeversuche an verdübelten Holzbalken veröffentlichte und durch Runderlass des Reichsarbeitsministers vom 03.03.1939 bestimmt wurde, dass alle Dübelverbindungen an der Materialprüfungsanstalt Stuttgart nach einheitlichen Gesichtspunkten überprüft werden.
Obwohl das erste Patent zum Holzleimbau von Otto Hetzer aus dem Jahre 1906 stammt, kann von einem Ingenieurleimbau erst gesprochen werden, seitdem mit den u. a. von der BASF um 1930 entwickelten wasser- und schimmelfesten Kunststoffleimen wetterfeste Bauausführungen möglich wurden und durch die Einführung der Stoßausbildung der Lamellen als Schäftung 1943 und schließlich Keilzinkung 1959 eine praktisch endlose Fertigung der Lamellen für Brettschichtholz möglich wurde.
Bis in die Nachkriegsjahre hinein spielte der Holznagelbau eine überragende Rolle für die Massenfertigung von Brettbindern, Dachtragwerken, Dreigelenkhallenrahmen und anderem. Er wurde teilweise ergänzt durch den Dübelbau. In Reinform existieren beide Bauweisen heute nur noch sehr selten. Die Nagelbauweise wird manchmal noch in Form von Brettbindern, z. B. im landwirtschaftlichen Eigenbau, verwendet. Sie wurde durch die Nagelplattenbauweise abgelöst, die für Dachträger aller Bauformen (Dreiecksbinder, Pultdachbinder, parallelgurtige Binder) und für Zwei- oder Dreigelenkrahmen als sogenannte „Studiobinder“ im Fertigbau eingesetzt wird.
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