Originalausgabe
© 2021 Hirnkost KG, Lahnstraße 25, 12055 Berlin;
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1. Auflage Mai 2021
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Layout: Yunus Kleff
Lektorat: Klaus Farin
ISBN:
PRINT: 978-3-947380-44-2
PDF: 978-3-947380-46-6
EPUB: 978-3-947380-45-9
Dieses Buch gibt es auch als E-Book – bei allen Anbietern und für alle Formate. »Die große Fälschung« kann man auch abonnieren: https://shop.hirnkost.de/
P. M., geboren 1947, wurde mit seinem ersten Roman Weltgeist Superstar (1980) im deutschsprachigen Raum bekannt. bolo’bolo , eine Art Glossar für eine andere Welt, erschien 1983 und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, unter anderem in Russisch, Türkisch und Hebräisch. Seitdem erschien eine ganze Reihe von Romanen, Sachbüchern und Theaterstücken.
P. M. war aktiv in der Zürcher Hausbesetzungsszene und engagiert sich im genossenschaftlichen Wohnungsbau und in der urbanistischen Diskussion. Zuletzt bei Hirnkost erschienen: Das Gesicht des Hasen. Ein terrestrischer Roman (2019) und Warum haben wir eigentlich immer noch Kapitalismus? (2020).
Die Serie
Die große Fälschung spielt im finstersten Mittelalter rund um das Jahr 1000. Hauptperson ist der fränkische Ritter Rodulf von Gardau , zugleich Geheimagent eines mächtigen Konzerns, der die Erde beherrscht – bis eine Rebellion ausbricht und die Macht des Konzerns schließlich weltweit ins Wanken bringt und Rodulf zu einer Reise rund um die Erde führt. Am Ende könnte aus dem finsteren Mittelalter eine Utopie für das 21. Jahrhundert entstehen, eine Welt ohne Klimakatastrophen, Kriege und Ausbeutung.
Die große Fälschung erscheint in zehn Bänden im Hirnkost Verlag . Sie kann auch abonniert werden unter: https://shop.hirnkost.de/
P.M. ALS RODULF RITTER VON GARDAU in DIE GROSSE FÄLSCHUNG
viertes Buch
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
Übers Deck weht ein milder Scirocco aus der Sahara. Ich habe das Hemd ausgezogen und mich zum Sonnenbad auf einige Hanfsäcke gelegt. Unter mir schlagen die Galeerensklaven mit ihren Rudern einen regelmäßigen Takt. Wegen des Gegenwinds haben wir keine Segel gesetzt. Wir sind südlich von Sizilien und haben auf Pantelleria einen kurzen Zwischenhalt gemacht. Ich bin an Bord der Muruna, einem Handelsschiff des Reeders Hassan Al Hakub. Die letzten russischen Nerzfelle, baltischen Bernsteine, schottischen Wollstoffe sind mit mir unterwegs nach Susah, dem Hafen der ziridischen Kalifenstadt Kairuan. Neben mir sitzt der Kapitän Abu Badruk, ein rundlicher, umgänglicher Kerl, auf einer Kiste und raucht seine Pfeife.
An Bord sind außerdem zwanzig Kaufleute mit Dienern, vor allem aus Nordafrika und Venedig, drei venezianische Sekretäre, fünf dalmatinische Leibwächter, mein persönlicher Herold (samt Posaune), zwei Kämmerer, Friedrich und ich. Wir bilden die Verhandlungsdelegation, die Bologgin Ibn Ziri, den Kalifen von Kairuan, zu einer Invasion im Raum Marseille/Arles bewegen soll. Wir haben alle Vollmachten und viel Geld dabei.
»In meinem Garten wachsen Mispeln, Bohnen, Zwiebeln, Knoblauch, Pflaumen, Mandeln, Oliven, Kapern, Thymian, Rosmarin, gelbe Rüben, Lattich« , berichtet der Kapitän.
Nicht weit von Tunis, mitten in den Ruinen Karthagos, hat er ein Häuschen mit Garten. Dort erwarten ihn seine Frau Tiba und seine fünf Kinder, deren Namen ich mir nicht merken konnte.
»Ihr Tintenfischsalat ist unerreicht. Sie kocht sie in ihrer Tinte mit Walnüssen, Lorbeerblättern und Knoblauch. Dazu viel Olivenöl, Zitronensaft und Salz.«
Er pafft zufrieden und träumt von Salaten, Ragouts und fettigen Kuskussen aller Art. Die ganze Adriaküste entlang hat er ausschließlich von gefüllten Tauben, Teigtaschen, Gemüsen, Meerestieren geschwärmt. Während er seine Rezepte erzählt, habe ich Zeit, meine Gedanken zu ordnen.
Abu Badruk fährt sich durch seinen struppigen, angegrauten Bart und rückt sich den weißen Wickelturban zurecht. Er hat gütige dunkle Knopfaugen, eine runde Nase, tiefe Stirnrunzeln.
»Das Meer ist eine Wüste, Rodulf. Es ist nur zu ertragen, wenn man vom Boden träumt. Manchmal wühle ich stundenlang in der warmen Erde, wenn wieder eine Fahrt vorüber ist. Ich bin kein Seemann, sondern ein verhinderter Gärtner.«
»Wir sind nie, was wir sein wollen.«
»Du schon. Du bist der Erretter Europas, ein Heerführer, Kriegsheld …«
»Ach was. Am liebsten läge ich jetzt an einem Waldrand, unter Eichen, neben mir meine Frau, nach ihrer Lavendelseife duftend.”
»Wald, Wald« , murmelt er, »rundherum mächtige Baumstämme, moosig-feuchter Boden, kühle Luft, zwitschernde Vögel. Was gäbe ich dafür, einmal in einem Wald zu liegen.«
»Du bist eingeladen.«
Das Schiff ächzt und knarrt. Die Galeerensklaven singen ihr eintöniges Lied. Kaufleute sitzen beim Würfelspiel, Friedrich starrt dösend in den Himmel. Momentan hat er es leicht: Ich kann ja nicht abhauen.
Abu Badruk schildert mir sein Thunfischsaucenrezept, zu dem viel Zwiebeln und Kapern benötigt werden.
»Dazu ofenfrisches Fladenbrot« , meint er, mit seinen breiten Nasenflügeln zuckend.
»Delphine!« , ruft einer der Schiffsjungen vom Bug her.
Der Kapitän ignoriert ihn.
»In drei Jahren setze ich mich zur Ruhe, dann habe ich genug Land. Immer wenn die Fahrt gut und meine Provision ausreichend ist, kaufe ich ein Stück dazu. Ich habe überdies genug Geld auf der Bank für die laufenden Ausgaben. Man muss sich einzurichten wissen und klug investieren. Nur die Dummen ärgern sich über die schlechten Zeiten und warten auf bessere. Die beste Zeit ist jetzt.«
Die Kaufleute haben sich auf der Steuerbordseite versammelt, um die angekündigten Delphine zu beobachten. Ihre bunten Seidenhalstücher flattern im Wind. Sie strecken die Arme aus, reden aufgeregt von »guten Zeichen« und halten ihre großen Turbane fest.
Abu Badruk hat schon genug Delphine gesehen. Er beschreibt mir, wie er seinen eigenen Hanf anbaut, die Pflanzen pflegt und die Blätter trocknet. Dann erklärt er mir, wie er sich durch die Aufzucht von Schafen, Ziegen, Hühnern und Enten auch mit Eiern und Fleisch selbst zu versorgen gedenkt.
»Eine fette Ente mit Datteln und Feigen gefüllt« , schwärmt er, »das bringt dich durch die kalten Winternächte.«
Warum muss bei ihm immer alles gefüllt sein? Psychologisch sicher vielsagend: das Stopfsyndrom. Vielleicht hat es auch nur mit dem Vollstopfen von Schiffsladeräumen zu tun. Ich habe Durst und denke an den süffigen apulischen Weißen, den wir in Otranto an Bord genommen haben. Die Verpflegung an Bord ist einfach, aber gut: Hartkäse aus den Ostalpen, Trockenfleisch aus Rätien, toskanische Oliven, Schweinswürste aus Lukanien (für Nichtmuslime), Kräuterzwieback. Wir picknicken an Deck, betrachten Sonnenuntergänge, schwatzen über alles Mögliche. Politik ist tabu. Die Kaufleute interessieren sich für Modetrends in Tunis und Kaiman, berichten von neuen Duftnoten bei Parfüms, von Stoffmustern, Farben, den irisierenden Effekten auf Glaskaraffen. Sie führen einander die neuesten Gadgets vor, die sie in Venedig gekauft haben: Maniküresets im Krokodillederetui, polyvalente Klappmesser, Nagelscheren mit Feile, ausschwenkbare Taschenlupen, die auch zum Feuermachen verwendbar sind, Reiseessbestecke, Nähzeug in Silberkartuschen, Sets für Kleinchirurgie usw. Es gibt so viele aufregende Produkte, Formen und Farben. Man kommt gut ohne Themen wie Revolution, Krieg, Bauern, Städte aus.
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