Wenn das Problem der Wahrheit, der Integrität der Daten, die Zentralität ist, dann kann die Lösung folglich nur in einer dezentralen Anwendung liegen. Das waren wahrscheinlich auch Nakamotos Gedanken.
Immerhin baute er — vorausgesetzt, es handelt sich um einen Mann — mit Bitcoin eine echte dezentrale Anwendung, in der Daten dezentral auf vielen Computern gleichzeitig aufbewahrt werden. Dieses Netzwerk von einzelnen Computern, die auch jeweils als „Nodes“ (dt. „Knoten“) bezeichnet werden, optimiert sich immer so, dass Ausfälle einzelner Nodes automatisch ausge-glichen werden. Im Ergebnis verfügen jeweils die Mehrheit der Nodes über die Wahrheit. Dadurch wird ein solches Netzwerk zunächst einmal ausfallsicher.
Zusätzlich müssen die Daten eine bestimmte Struktur aufweisen und in bestimmter Art und Weise gespeichert werden, damit nachträgliche Änderungen und Manipulationen unmöglich sind. Durch geschickte Verknüpfung der einzelnen Datensätze in einer Abfolge von Datenblocks, die miteinander verbunden sind, entst-eht eine unveränderbare Aufzeichnung, die immer der unverän-derten Wahrheit entspricht.
Daten, die für alle Zeiten unveränderbar, manipulations- und zensursicher gespeichert werden sollen, müssen auf vielen, vonein-ander völlig unabhängigen Computern (Nodes bzw. Knoten-punkten) gleichzeitig gespeichert sein. Sie müssen zudem so mit-einander verknüpft sein, dass eine nachträgliche Änderung durch einen Manipulator von der Mehrheit der unabhängigen Computer abgelehnt und ignoriert wird.
Hausbesitzer können das nachvollziehen, denn wenn das Grund-buchamt manipuliert werden würde, dann besitzt plötzlich jemand anderes das eigene Grundstück. Das könnte mittels einer bösartigen Kollaboration eines Notars mit einem Mitarbeiter des Grundbuchamtes durchaus bewerkstelligt werden. Es wäre aber nicht mehr möglich, wenn die Grundstücksübertragung im ersten Schritt schon gleichzeitig bei vielen Hundert, unabhängigen Stellen registriert und beurkundet worden wäre. Dann müssten schon Hunderte von Notaren und Grundbuchämtern zusammenarbeiten. Das ist praktisch unmöglich. Zugegeben, so etwas kommt in der Praxis — zumindest in Deutschland — sicher nicht vor. Es besteht jedoch konstant die theoretische Möglichkeit. Dessen sollte man sich immer bewusst sein.
Transaktionen ohne Zeugen
Im Grunde dient die Grundstücksmetapher ja auch nur als Beispiel, dass es theoretisch möglich ist, Informationen zu verändern, wenn nur wenige Beteiligte und Zeugen involviert sind.
Wenn man jemandem 100 Euro in bar gibt und er später behauptet, das Geld nie erhalten zu haben, dann ist das die gleiche Manipulation in einer einfacheren Variante — innerhalb eines zentralen Systems ohne Notar, also ohne Zeugen. Selbst wenn man einen Freund darum bittet, dabei zu sein, wenn man den anderen bezahlt, selbst dann kann man nicht zu einhundert Prozent sicher sein, dass der Freund ein verlässlicher Freund ist und nachher bestätigt, dass man dem anderen die 100 Euro gezahlt hat. Er kann es vergessen haben oder behaupten, er habe es vergessen, weil er von dem anderen bestochen wurde.
Zu diesem Thema gibt es tonnenweise Literatur und viele Wissen-schaftler an Universitäten und anderen Hochschulen rund um die Welt beschäftigen sich mit diesen Zusammenhängen. Die Spiel-theorie ist eine Wissenschaft, die versucht, Systeme zu verstehen, die aufgrund verschiedener Incentives das Verhalten von Menschen, die interagieren, vorherzusagen. Die Spieltheoretiker möchten verstehen, wie viel Geld ein Empfänger, der einem Freund 100 Euro zahlen muss, damit er sich “nicht mehr erinnert” und damit als Zeuge ausfällt. Es gibt in der Theorie immer einen Betrag, der es für beide lukrativ macht, zu manipulieren. Vielleicht nicht gerade bei 100 Euro, aber bei Millionenbeträgen sind das sicher keine seltenen Ausnahmen.
Wenn die Übergabe der 100 Euro nun aber von 1.000 Freunden beobachtet wird und alle 1.000 als Zeugen zur Verfügung stehen, dann wird jeder Richter glauben, dass die 100 Euro bezahlt wurden, auch wenn einer, zehn oder sogar 200 der Zeugen das Gedächtnis verlieren. Deshalb gilt: Je größer die Zahl der Zeugen ist, desto geringer die Gefahr der Manipulation.
Transaktionen mit Zeugen und einem Diktator
Die Grundstückseigentümer in Deutschland können also aufatmen. Auch wenn Grundstücksübertragungen nicht bei allen deutschen Grundbuchämtern parallel verzeichnet werden, ist es unwahr-scheinlich, dass die Eigentumsverhältnisse durch den Notar und das jeweilige Amt manipuliert werden.
Was aber ist mit dem Staat? Der Staat ist in letzter Konsequenz die höchste zentrale Instanz. Ein Grundbuchamt ist auch nur eine staatliche Stelle. Ein Amt. Der Notar ist an die Gesetze gebunden. Droht den Grundbesitzern also doch Ungemach?
Wie in allen zentralen Systemen ist die Gefahr der Manipulation auch innerhalb eines Staats gegeben. In einer funktionierenden Demokratie durch Politiker, die die Gesetze beschließen. Je nach Staat ist das mehr oder weniger einfach oder manipulativ. In Deutschland streitet man sich seit Jahren über die Zahlung der GEZ-Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Der Staat, als zentrale Stelle, hat ein System eingeführt, welches jeden zwingt, Geld für etwas zu zahlen, was nicht jeder nutzt. Beispiele für Zentralisierung und dadurch Manipulationen durch den Staat — je nach Budgetlage und Interessen — gibt es zur Genüge, auch wenn man denkt, dass man in einem freien, demokratischen Staat lebt. Anliegerkosten für die neue Straße, Müllabfuhrgebühren, Kirchensteuer und so weiter und so weiter.
In einer Diktatur können sich Hausbesitzer gleich gar nicht mehr wohlfühlen. Wenn der Schwager oder Neffe des Diktators zum Beispiel den Wunsch äußert, ein schönes Anwesen zu besitzen, welches noch jemand anderem gehört, dann werden sich die Besitzverhältnisse schnell ändern. Das ist in der Geschichte mehr als einmal passiert. Die zentrale Instanz — der Diktator — verändert dann einfach die Regeln.
Meist halten sich Diktatoren nicht sehr lange und treten irgend-wann ab oder werden entfernt. Dann beginnt das große Aufräumen und jetzt stellt sich die Frage, welches Gebäude, wem, wann gehört hat. Herr Müller behauptet, es sei seins, Herr Maier behauptet dasselbe. Herr Maier habe Herrn Müller schließlich bezahlt. Zeugen gibt es nur wenige, wenn überhaupt, und jeder hat eine andere Erinnerung. Das zuvor geschilderte simple Problem der Zahlung von 100 Euro ist plötzlich auch das Problem eines durch den Staat enteigneten Hausbesitzers. Es gibt keine verlässlichen Aufzeichnungen und keine verlässlichen Zeugen. Was ist zu tun?
All diese oben genannten Probleme sind durch dezentrale Systeme elegant und zuverlässig zu lösen.
In einem echten dezentralen System gibt es immer genügend Zeugen und alle Aufzeichnungen aus der Vergangenheit sind für alle Zeiten unveränderlich. Deshalb kann man sich auch blind auf diese Daten verlassen.
Ein solches System hat Nakamoto mit Bitcoin erschaffen. Bitcoin ist das erste dezentrale System, mit dem man Werte einhundert Prozent fälschungssicher von einem Eigentümer zu einem anderen transferieren kann. Das ist nur innerhalb eines dezentralen Systems möglich.
Dezentralität kann leider auch nur scheinbar vorherrschen
An dieser Stelle entstehen oft schon die ersten Missverständnisse. Der Unterschied zwischen zentralem und dezentralem System ist ein ganz entscheidender. Ein zentrales System ist einfach zu definieren. In einem Netzwerk ist es die eine Stelle, auf der alles gespeichert wird und wo entschieden wird. In einem Computer-netzwerk ist das ein zentraler Computer, auch Server genannt.
Ein zentraler Server kann aber natürlich, wie jedes andere Gerät auch, aus vielfältigen Gründen ausfallen. Dann hat man keinen Zugriff mehr auf die Informationen und Entscheidungen können nicht mehr getroffen werden. Deshalb stattet man in der Regel diese Server so aus, dass alle wichtigen Teile mehrfach vorhanden sind. Das Ersatzsystem übernimmt, wenn das Original ausfällt.
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