1 ...6 7 8 10 11 12 ...43 »Ich gebe sie zurück, ich verspreche es. Ich weiß nur nicht wie!« Sie wartete noch etwas, ganz so, als erhoffte sie sich eine Antwort, dann steckte sie die Handschuhe ein. Reflexartig griff sie nach einer der Gießkannen und goss die Blumen. Sie wusste nicht warum, aber es kam ihr richtig vor.
Nachdem sie die Kanne zurückgebracht hatte, ging sie weiter zum Haupteingang und bog dort in die Schulstraße Richtung Universitätshauptgebäude ein. Die Straße führte direkt auf das Kaufhaus Heinze zu. Tief in Gedanken an die alte Frau versunken zog sie die Handschuhe aus ihrer Manteltasche und streifte sie über. Sie fühlten sich wie eine zweite Haut an, man spürte sie fast gar nicht. Und sie sahen absolut cool aus. Sie kam am Kaufhaus an, immer wieder den Blick auf die Handschuhe gerichtet. Kurz bevor sie es betrat, verließ gerade ihr Klassenkamerad Theobald Binsenkraut die Bäckerei Biel nebenan. Er war ein Streber in Naturwissenschaften und vermutlich der Einzige in der Klasse, der ab und zu mit ihr redete. Außerdem war er auch jemand, der vermutlich nicht in den Urlaub fuhr. Sie wollte ihm gerade einen Gruß zurufen, da bemerkte sie die drei anderen Jungen, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite die A-Roe, wie die Einheimischen die Adolph-Roemer-Straße kurz nannten, entlang kamen. Vinzenz Lederer war groß, breitschultrig und hatte einen Hammerkopf, den er fast kahl rasiert hatte. Er trug schwarze Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln, wie das auch Neonazis so gerne machten. Keiner an der Schule wusste, warum ausgerechnet er mit den türkischen Zwillingen Alim und Ojan so gut klarkam. Sabrina hatte die Theorie aufgestellt, dass mentales Vakuum sich – wie schwarze Löcher – gegenseitig anzog. Das hatte ihr viel Gelächter von der Klasse eingebracht, aber leider auch einen brutalen Schubser in die Schulhecke eine Woche später, weil die drei so lange gebraucht hatten, zu verstehen, dass sie gemeint waren.
Sie ging schnell in den Eingang des Kaufhauses, in dem an der rechten Seite ein scheinbar uralter Herr in grauem Anzug die ankommenden Gäste freundlich begrüßte und die gehenden ebenso verabschiedete, diese aber mit einem kritischen und wachen Auge musterte, ob sie auch gezahlt hatten. Der alte Herr Heinze war der Besitzer des einzigen Kaufhauses mit Rolltreppe in Clausthal. Er erledigte den Türsteherjob gleich selbst mit. Ein Wahrzeichen seines Hauses. Sabrina lehnte sich an die Wand und schielte um die Ecke. Sie wurde sich des erstaunten Gesichts von Herrn Heinze bewusst, ignorierte aber seinen Blick, weil sie aus sicherer Deckung beobachten wollte, was jetzt passieren würde.
Theobald steckte gerade ein Brot beim Gehen in eine Tasche und hatte die anderen nicht bemerkt. Erst als diese die Straße querten und von einem Auto dafür angehupt wurden, bemerkte er sie. Für einen Moment blickte er erschrocken, dann drehte er auf dem Absatz um und floh wieder in die Bäckerei. Die anderen drei lachten auf und schlenderten langsam auf das Geschäft zu, als hätten sie alle Zeit der Welt. Sie bauten sich davor auf. Theobald würde ihnen nicht entkommen.
»Wollen Sie Ihrem Freund nicht helfen? Sie kennen ihn doch, oder?«
Sabrina zuckte zusammen. Herr Heinze war vorgetreten und stand nun neben ihr. Während Sabrina noch nach Worten suchte, wandte er sich bereits mit einer bestimmenden Geste einem Studenten zu, der es nach vorne gebeugt mit dickem Rucksack allzu eilig hatte, ins Freie zu kommen.
»Die Kasse ist im Erdgeschoss gleich auf der rechten Seite, junger Mann. Sie können sie gar nicht verfehlen!«
Der Student wurde bleich, nickte aber und hastete wieder hinein. Mit einem überlegenen Lächeln wandte sich Herr Heinze wieder an sie.
»Es ist doch ganz leicht. Sie müssen nur die drei kräftigen Burschen verjagen.«
»Äh, ich weiß nicht wie, Herr Heinze. Die sind richtig fies, müssen sie wissen.«
»Papperlapapp, Jungs sind Jungs. Ich war schließlich selbst mal jung.«
Sabrina konnte sich bei diesem kleinen, älteren Mann mit schütterem Haar nicht vorstellen, dass er jemals jung gewesen sein sollte. Aber er musste es gewesen sein, irgendwann. Seit sie denken konnte, stand er hier, auch schon, als sie ein kleines Kind mit zwei Zöpfchen gewesen war und an der Hand ihrer Mutter lief. Er hatte immer gleich alt ausgesehen, fast schon zeitlos. Wie ein Vampir, schoss es ihr durch den Kopf, nur dass er auch bei Tag hier stand. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er jemals nicht da war oder nicht mehr da sein würde.
»Nun, was ist? Brauchen Sie etwa Hilfe?«
»Ich wäre dankbar für jede Hilfe.« Sabrina versuchte zu lächeln.
»Na, dann halten Sie hier mal die Stellung, mein Fräulein. Ich erledige das für Sie!«
Herr Heinze straffte sich und ging mit gezielten Schritten auf die drei Jungen zu. Sabrina war beeindruckt und schockiert zugleich. Körperlich mussten die drei Schläger ihrer Klasse dem alten Mann bereits bei weitem überlegen sein, aber er war eine Autorität und das zeigte sich gleich darauf. Die Jungen bemerkten ihn erst, als er vor ihnen stand. Er richtete das Wort an sie. Sie blickten ihn verblüfft an, während er gestikulierte und dann zu Sabrinas großem Schock genau in ihre Richtung deutete. Die drei folgten seinem Finger mit ihren Blicken und ihre Mienen verhärteten sich, dann aber wurden sie bleich. Sie schauten sich gegenseitig an und machten dann abwehrende Gesten. Herr Heinze klatschte kurz und laut in die Hände, da inzwischen alle Passanten dem Disput ihre Aufmerksamkeit schenkten. Daraufhin sprangen die Jungen eilig auf und machten sich mit schnellen Schritten davon. Herr Heinze genoss noch etwas die Aufmerksamkeit und kam dann mit einem Lächeln zu Sabrina zurück.
»Wie haben Sie das gemacht?«, brach es aus ihr hervor, sobald er wieder bei ihr eintraf.
»Ich habe sie direkt angesprochen!«, erwiderte er.
»Ich habe ihnen gesagt, dass ihre Namen wohlbekannt sind, und man sie stellen wird, sollten sie dem Jungen in der Bäckerei oder dem mutigen Mädchen hier, damit meine ich Sie, irgendein Leid zufügen. Sie würden dann schneller vor dem Richter sitzen, als sie denken können. Das habe ich gesagt! Ich kann Randalierer genauso wenig ausstehen wie Diebe.« Dabei blickte er an Sabrina hinab und seine Augen verweilten auf den Händen. »Sie haben da exquisite Handschuhe an, junge Dame. So etwas trugen wohlsituierte Damen früher.«
Sabrina sah den alten Mann verblüfft an. Ahnte er, dass es nicht ihre waren? Gleich darauf verwarf sie den Gedanken wieder als absurd. Doch sie bemerkte, wie stechend seine Augen sein konnten. Aber schon einen Moment später wurde sein Blick weicher und er lächelte wieder.
»Und wie darf ich Ihnen geschäftlich weiterhelfen? Sie dürfen sich jetzt entspannen, die Gefahr ist gebannt«, sagte er mit freundlicher Stimme. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie den Einkaufskorb immer noch fest umklammert hielt. Peinlich berührt, lockerte sie ihren Griff etwas.
»Danke! Ich soll nur was einkaufen!« Dann ging sie in das Geschäft und war froh, dass Herr Heinze genau in diesem Moment durch einen anderen Kunden abgelenkt wurde.
Rasch erledigte sie die Einkäufe und stahl sich schnell aus dem Geschäft. Sie hatte Glück, dass Herr Heinze gerade nicht an der Tür stand. Um nicht doch noch den drei Chaoten über den Weg zu laufen, ging sie um die Ecke und nahm den etwas längeren Weg über die Straße an der Sorge oben beim Krankenhaus vorbei. Sie beruhigte sich nach ein paar hundert Metern und streifte die Handschuhe wieder über, die sie im Geschäft ausgezogen hatte. Es fühlte sich so gut an. Sie bewunderte die perfekte Passform und ihre Geschmeidigkeit. Das Leder strahlte eine angenehme Kühle aus. Während sie weiterging, hob sich ihre Laune. Sie musste an das coole Outfit von Kate Beckingsale in dem Film Underworld denken und tauchte mit ihren Gedanken wieder in die Fantasiegeschichte ein.
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