Hat von euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube jeder sicher seinen Ring den echten. –
Möglich, daß der Vater nun die Tyranney des Einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden wollen! – Und gewiß,
Daß er euch alle drey geliebt, und gleich geliebt: indem er zwey nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. – Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochenen
Von Vorurtheilen freyen Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring’ an Tag zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmuth,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun, mit innigster Ergebenheit in Gott,
Zu Hülf’! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bey euern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad’ ich über tausend tausend Jahre, |48◄ ►49|
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen,
Als ich, und sprechen. Geht! – So sagte der
Bescheidne Richter. 55
Gern wird Lessing als Pionier der Toleranz zwischen den Religionen ausgegeben. Das wird man nur mit größter Zurückhaltung so aufrechterhalten können, denn ihm geht es mehr um die Verlagerung der Wahrheitsfrage von der Lehr- und Bekenntnisebene auf die Praxisebene als um die Anerkennung verschiedener Wahrheitsansprüche unterschiedlicher Religionen. Vielmehr ergibt sich aus der genannten Verlagerung mit innerer Notwendigkeit, dass die traditionell unterschiedenen Religionen gleichsam unversehens in einer Religion zusammenfallen, auch wenn sie sich dabei auf unterschiedliche Traditionen berufen. Nicht die Traditionen sind das Entscheidende – und deshalb stellt sich im Grunde auch gar nicht die Frage ihrer gegenseitigen Anerkennung –, sondern gerade der Erweis der einen gemeinsamen praktischen Wahrheit.
M. Fick, Lessing-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 22004 F. Niewöhner, Veritas sive varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern, Heidelberg 1988
9. Immanuel Kant
Die deutsche Aufklärung erreicht mit den Kritiken des Königsberger Philosophen Immanuel Kant (1724 – 1804) ihren Höhepunkt und zugleich auch ihre Grenze. Neben den Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis bewegte Kant vor allem die Frage der Beerbung der traditionellen Metaphysik durch die sittliche Selbstkonstitution des Menschen.
Mit der Kritik der reinen Vernunft eröffnete Kant 1781 die Reihe seiner berühmten Kritiken, mit denen er gleichsam das ganze Themenfeld der Philosophie abschreitet und auf einen selbstkritisch revidierten Stand zu bringen versucht. Ebenso wie in vielen anderen seiner Schriften kommt der zumindest indirekten Auseinandersetzung mit der Religion auch in dieser erkenntnistheoretischen Grundlagenschrift eine große Bedeutung zu. Kant setzt sich mit den traditionellen Gottesbeweisen (dem ontologischen, dem kosmologischen und dem physikotheologischen Gottesbeweis) auseinander und kommt zu dem ebenso klaren wie schlichten Resultat, dass sie alle keinen tragfähigen Gehalt haben.
Ich behaupte nun, daß alle Versuche eines bloß spekulativen Gebrauchs der Vernunft in Ansehung der Theologie gänzlich fruchtlos und ihrer inneren Beschaffenheit nach null und nichtig sind; daß aber die Prinzipien ihres Naturgebrauchs ganz und gar auf keine Theologie führen, |49◄ ►50| folglich, wenn man nicht moralische Gesetze zum Grunde legt, oder zum Leitfaden braucht, es überall keine Theologie der Vernunft geben könne. Denn alle synthetischen Grundsätze des Verstandes sind von immanenten Gebrauch; zu der Erkenntnis eines höchsten Wesens aber wird ein transzendenter Gebrauch derselben erfordert, wozu unser Verstand gar nicht ausgerüstet ist. Soll das empirisch gültige Gesetz der Kausalität zu dem Urwesen führen, so müßte dieses in die Kette der Gegenstände der Erfahrung mitgehören; alsdann wäre es aber, wie alle Erscheinungen, selbst wiederum bedingt. 56
Die auf möglichst nüchterne Erkenntnis ausgerichtete Vernunft bleibt auf Anschauung angewiesen, der es hinsichtlich der Thematisierung Gottes gerade ermangelt, sodass es keine Gotteserkenntnis im Sinne exakter unvoreingenommener Erkenntnis geben kann. Das Zitat benennt bereits den Horizont, in dem die Theologie ihren Gegenstand findet: das moralische Gesetz. Es ist der Horizont der praktischen Vernunft, die den Bestimmungen der für den Menschen essenziellen Möglichkeit moralischer Verantwortlichkeit nachgeht und in dem sich auf spezifische Weise nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit ergibt, Gott zu denken. Die Notwendigkeit, von der hier die Rede ist, erscheint als eine Implikation eben der Notwendigkeit, die eine Erweiterung der reinen Vernunft hin zur praktischen Vernunft erforderlich macht. Nicht schon die Erkenntnis macht den Menschen zum Menschen, sondern erst die Möglichkeit sittlich verantwortlicher und d. h. freier Verwirklichung. Ohne die Ausrichtung des Lebens auf ein sittlich zu erreichendes Ziel, das Kant das höchste Gut nennt, bleibt der Mensch fremdbestimmt und damit unter seinem eigentlichen Niveau. Die apriorische Gegebenheit dieses Erfordernisses verlangt nach einem entsprechenden Gebrauch der Vernunft, den Kant die praktische Vernunft nennt. Das folgende grundlegende Zitat erschließt sich nur bei langsamer und möglicherweise auch mehrfacher Lektüre:
Um eine reine Erkenntnis praktisch zu erweitern, muß eine Absicht a priori gegeben sein, d. i. ein Zweck als Objekt (des Willens), welches unabhängig von allen theoretischen Grundsätzen, durch einen den Willen unmittelbar bestimmenden (kategorischen) Imperativ, als praktisch notwendig vorgestellt wird; und das ist hier das höchste Gut. Dieses ist aber nicht möglich, ohne drei theoretische Begriffe (für die sich, weil sie bloße reine Vernunftbegriffe sind, keine korrespondierende Anschauung, mithin auf dem theoretischen Wege keine objektive Realität finden läßt) vorauszusetzen: nämlich Freiheit, Unsterblichkeit und Gott. Also wird durchs praktische Gesetz, welches die Existenz des höchsten in einer Welt möglichen Guts gebietet, die Möglichkeit jener Objekte der reinen spekulativen Vernunft, die objektive Realität, welche diese ihnen nicht sichern konnte, postuliert; wodurch denn die theoretische Erkenntnis der reinen Vernunft allerdings einen Zuwachs bekommt, der aber bloß darin besteht, daß jene für sie sonst problematischen (bloß denkbaren) Begriffe jetzt assertorisch für solche erklärt werden, denen wirkliche Objekte zukommen, weil praktische Vernunft die Existenz derselben zur Möglichkeit ihres und zwar praktisch schlechthin notwendigen Objekts des höchsten Guts, unvermeidlich bedarf, und die theoretische dadurch berechtigt wird, sie vorauszusetzen. 57
|50◄ ►51|
Gott wird nicht aufgewiesen, sondern er ist – ebenso wie die Freiheit und die Unsterblichkeit der Seele – ein zwingendes Postulat, ohne das die den Menschen ausmachende Sittlichkeit nicht recht gedacht werden kann. Gott wird verstanden als Ursache und Garant des höchsten Guts, in dessen Pflicht sich die Sittlichkeit weiß und um dessen willen der Mensch seine Freiheit betätigt. Religion entspringt nach Kant keiner Offenbarung, sondern sie ist das elementare Bedürfnis der Moral, die durch die reine praktische Vernunft bestimmt wird.
Unter Glaubenssätzen versteht man nicht, was geglaubt werden soll (denn das Glauben verstattet keinen Imperativ), sondern das, was in praktischer (moralischer) Absicht anzunehmen möglich und zweckmäßig, obgleich nicht eben erweislich ist, mithin nur geglaubt werden kann. 58
Seinem Wesen nach ist der Glaube anschauungslos und gegenstandslos, er dient tatsächlich vor allem der moralischen Erbauung des Menschen.
Das ist der Hintergrund für Kants Unterscheidung zwischen einem vernünftigen Religionsglauben und dem Kirchenglauben. Die „wahre, alleinige Religion“ (der Singular ist bemerkenswert) ist von der statuarischen Religion, wie sie im Kirchenglauben in seinen verschiedenen Variationen auftritt, zu unterscheiden. Kant kann auch von der einen wahren Religion und den vielerlei Arten des Glaubens im Sinne der Konfessionen und verschiedenen Religionen sprechen, in denen je auf besondere Weise die wahre Religion verborgen enthalten ist. 59Zugespitzt heißt es:
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