Im Profilschnitt durch die Westalpen sieht man, wie die Kruste des europäischen Kontinentalrands nach ESE unter die Alpen eintaucht und dann sogar vom Erdmantel und der Kruste des adriatischen Kontinentalrands überlagert wird. Der steile Kontakt besitzt eine Seitenverschiebungskomponente (der Ostteil bewegte sich nach Norden). Überschiebungen in der europäischen Kruste deuten auf eine beträchtliche Zusammenstauchung in Ost-West-Richtung, was die Krustenmächtigkeit mindestens verdoppelte. Größere Kristallinaufbrüche (Belledonne, Gran Paradiso) lassen darauf schließen, dass einzelne Kristallinkörper über mehr als 100 Kilometer nach Westen auf das Vorland aufgeschoben wurden. Davon betroffen waren auch die mesozoischen Sedimente des Juras, die sogar auf die känozoischen Sedimente des Bresse-Grabens aufgeschoben wurden. Auf der adriatischen Seite wurden die Krustenblöcke in östlicher Richtung aufeinandergeschoben. Diese Strukturen sind von der Beckenfüllung des Po-Beckens zugedeckt und nur aus seismischen Untersuchungen bekannt. Im Falle von Ivrea gelangte der Erdmantel bis fast, die Unterkruste bis ganz an die Erdoberfläche. Diese Hochlage der Krusten-Mantel-Grenze ist etwas Einmaliges und beruht auf einer ererbten Geometrie aus der Zeit der Entstehung des Piemont-Ozeans. Reste dieses Ozeans sind im dünnen Band von Ophiolithen im Liegenden und Hangenden des Gran Paradiso-Kristallins zu finden.
Auch im Profilschnitt der Zentralalpen taucht die europäische Kruste nach SSE unter die Alpen ein. Die Oberkruste ist von der Unterkruste abgeschält und zu einem Deckenstapel aus Kristallindecken aufgetürmt. Die Unterkruste zieht unter den zusammengestauchten Rand der adriatischen Platte. Ähnlich dem Profil in den Westalpen befindet sich der adriatische Erdmantel in einer Hochlage. Auf der Südseite dieser Hochlage erfassen nordfallende Überschiebungen die Oberkruste, während die Unterkruste aufgefaltet wurde. Dieser Stil wird als „thick-skinned tectonics“ bezeichnet. Eine steile Bruchzone, die Insubrische Störung, trennt die Gesteine der adriatischen und europäischen Platte. Die Bruchzone zeigt zwei Bewegungskomponenten. Als steile Aufschiebung bewegten sich die abgeschälten Oberkrustenpakete des europäischen Rands südwärts, und teilweise gleichzeitig bewegte sich der adriatische Block als dextrale Seitenverschiebung westwärts. Nördlich des Aar-Massivs liegen Klippen von helvetischen und penninischen Sedimentdecken. Sie wurden von ihrer kristallinen Unterlage abgeschert und über mehr als 100 Kilometer in nördlicher Richtung geschoben. Dabei kamen sie auch auf die internen, südlichen Teile der känozoischen Füllung des Molassebeckens zu liegen.
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1-10 Vereinfachte tektonische Karte der Alpen und ihres Vorlandes.Jura und Helvetikum sind Teile des europäischen Kontinentalrandes, Ostalpin und Südalpin gehören zum adriatischen Kontinentalrand. Das Penninikum entspricht dem Bereich dazwischen (Wallis-Trog, Briançon-Schwelle und Piemont-Ozean). Zwei Fenster in den Ostalpen (Engadiner und Tauern-Fenster) beweisen, dass sich Penninikum und Helvetikum im Untergrund nach Osten weiterziehen. Andererseits zeigt eine Klippe am Übergang Zentralalpen-Westalpen, dass das Ostalpin sich einst viel weiter nach Westen erstreckte. A,B,C: Spuren der Profile in Abb. 1-11.
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1-11 Drei schematische Profilschnitte durch die West-, Zentral- und Ostalpen,basierend auf geologischen und geophysikalischen Untersuchungen. Deutlich erkennbar ist das bedeutende Ausmaß der Krustenverkürzung der Oberkruste im Vergleich zur einfacheren Struktur der Unterkruste und des lithosphärischen Mantels. Die Profilspuren sind in Abb. 1-10 angegeben.
Im Profilschnitt durch die Ostalpen taucht die europäische Kruste zwar ebenfalls nach Süden unter den adriatischen Kontinentalrand, aber das Ausmaß der Verkürzung scheint etwas geringer. Die adriatische Lithosphäre taucht ihrerseits nach Norden ein. In beiden Fällen ist die Unterkruste im Kontaktbereich deutlich verdickt. Es ist ein einzelner Kristallinaufbruch zu verzeichnen, der im Tauern-Fenster zutage tritt. Eine steile Bruchzone auf der Südseite des Tauern-Fensters, die Pustertal-Störung, trennt die Ostalpen von den Dolomiten. In den Dolomiten sind mehrere südgerichtete Überschiebungen zu erkennen, welche auch die kristallinen Oberkrustengesteine erfassen. Der Verlauf dieser Überschiebungen in der Tiefe und ihre Vereinigung mit der großen Überschiebung im Liegenden des Tauern-Massivs ist spekulativ. Immerhin ist aber die Struktur der Unterkruste durch die seismischen Untersuchungen einigermaßen gesichert. Über dem Tauern-Kristallin liegen mesozoische Sedimente, die mit jenen des Helvetikums in den Zentralalpen vergleichbar sind. Diese Sedimente sind ihrerseits überlagert von penninischen Decken und diese wiederum von ostalpinen Decken. Ein größerer Komplex von ostalpinen Decken, die sogenannten Nördlichen Kalkalpen, liegt nördlich des Tauern-Fensters auf einem Kissen von penninischen Decken. Die Nördlichen Kalkalpen wurden schon in der Kreidezeit zu einem Deckenkomplex zusammengeschoben, wobei die Überschiebungen teilweise in westlicher Richtung stattfanden.
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2-0: Mer de Glace
2 Bausteine der Alpen: Das prä-triadische Grundgebirge
2.1 Das prä-triadische Grundgebirge von Schwarzwald-Vogesen
2.2 Das prä-triadische Grundgebirge der Externmassive
Externmassive der Westalpen
Externmassive der Zentralalpen
Externmassive der Ostalpen
2.3 Das prä-triadische Grundgebirge der Decken des Penninikums
2.4 Das prä-triadische Grundgebirge des Ostalpins
2.5 Das prä-triadische Grundgebirge des Südalpins
2.6 Paläozoische Sedimente in den Ost- und Südalpen
Paläozoikum der Karnischen Alpen
Paläozoikum der Grauwacken-Zone
Paläozoikum der Innsbruck-Quarzphyllite
2.7 Das variszische Gebirge im ausklingenden Paläozoikum
2.8 Post-variszische Sedimente und Vulkanite des Perms
Der Nordschweizer Permokarbon-Trog
Das Permokarbon im Helvetikum
Das Permokarbon im Penninikum
Das Permokarbon im Ostalpin
Das Permokarbon im Südalpin
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In diesem Kapitel werden die prätriadischen Gesteinsserien behandelt, die vielerorts in den Alpen die direkte Unterlage der mesozoischen Sedimentabfolgen bilden. In diesem Grundgebirge können eine Vielzahl unterschiedlicher Gesteinsserien unterschieden werden. Einige sind in ähnlicher Ausbildung an verschiedenen Orten auszumachen. Dies betrifft namentlich folgende drei Gesteinsgruppen:
– Kristalline polymetamorphe Gesteine, die auch als Altkristallin bezeichnet werden. Das Alter dieser Gesteine reicht bis weit ins Präkambrium zurück. Ursprünglich handelte es sich zumeist um klastische Sedimente und Basalte.
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