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Insofern entsteht die Notwendigkeit, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen auch auf internationaler Ebene zu steuern. Da auf globaler Ebene keine staatsähnlichen Gebilde entstehen, geschieht diese Steuerung in einem Netz aus unterschiedlichen Institutionen und mit Regeln unterschiedlicher Rechtsqualität, die auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Kontexten das Verhalten der Akteure bestimmen. Dieses Phänomen kann als Global Economic Governancebezeichnet werden. Kurz wird Global Economic Governance als „multilaterale, regelgestützte Steuerung der Weltwirtschaft“[4] bezeichnet. Die Wahl des Begriffs governance zeigt dabei, dass es nicht um förmliches Regieren ( government ), sondern um das Steuern bestimmter Sachverhalte mit unterschiedlichen Methoden geht.
131
Global Economic Governance betrifft nicht nur Staaten, sondern auch andere Akteurewie internationale Organisationen, nicht-staatliche Gruppen und internationale Zusammenschlüsse aller Art (z.B. die Gruppe der G8-Staaten). Die Regelnder Global Economic Governance sind teilweise formelle Rechtsregeln und teilweise unverbindliche Standards und Kodizes, die auch von den Akteuren selbst entwickelt werden.
132
Vertreter der kritischen Internationalen Politischen Ökonomie[5] sehen den normativen Gehalt der Global Economic Governance als problematisch an, da damit unterstellt werde, dass die Globalisierungsprobleme allein durch neue Formen des Managements gelöst werden könnten. Globalisierung könne jedoch nicht als bloßes Steuerungsproblem begriffen werden. Vielmehr bestehe das Problem der Globalisierung auch darin, dass neoliberale Politikmodelle verfestigt werden und ungerechte Verteilungsstrukturen vertieft würden. Des Weiteren sei die demokratische Legitimation zahlreicher Institutionen der Global Economic Governance unzureichend.
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Die Lösung der durch die Globalisierung hervorgerufenen oder verschärften Probleme besteht nach Ansicht von kritischen Autoren nicht in der Entwicklung und Verbesserung neuer Steuerungsinstrumente, sondern vor allem in einer grundsätzlichen Neugestaltung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Aufgabe einer kritischen Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen globalen Wirtschaftsmodell sei die Formulierung von Alternativen für eine demokratisch legimitierte, sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Gestaltung der Weltwirtschaft.
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Dieser kurze Abriss des neuen Untersuchungsfeldes Global Economic Governance macht zweierlei deutlich:
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Erstens, die Fragen und Phänomene, die unter dem Stichwort „Global Economic Governance“ untersucht werden, berühren zentrale Aspekte des Wirtschaftsvölkerrechts. Insofern besteht ein enger theoretischer und praktischer Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftsvölkerrecht und Global Economic Governance. |
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Zweitens, die traditionellen Methoden und Instrumente des Wirtschaftsvölkerrechts erfassen allenfalls Teilaspekte der Global Economic Governance. Die rechtswissenschaftliche Durchdringungdieses neuen Phänomens steht noch am Anfang. |
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Die Überprüfung und ggf. notwendige Modifizierung traditioneller Verständnisse anhand neuer Realitäten ist jedoch dringend geboten, wenn die Rechtswissenschaft dem Anspruch gerecht werden soll, auf aktuelle Fragen adäquate Antworten zu suchen und für die Bewertung aktueller Sachverhalte angemessene Methoden bereit zu halten. Dieser Anspruch soll jedenfalls die Darstellung und Diskussion des Wirtschaftsvölkerrechts auf den kommenden Seiten leiten. Damit soll das geltende Wirtschaftsvölkerrecht zugleich in den Kontext der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Realitäten der internationalen Wirtschaftsbeziehungen eingebettet werden.
[1]
Schirm, Internationale Politische Ökonomie, 3. Aufl., 2013, 15.
[2]
Dazu Teil 5 Rn. 854 ff., Teil 6 Rn. 958.
[3]
Dazu oben Rn. 95.
[4]
Schirm, Internationale Politische Ökonomie, 3. Aufl. 2013, 239.
[5]
Vgl. z.B. Scherrer, Internationale Politische Ökonomie als Systemkritik, in: Hellmann/Wolf/Zürn (Hrsg.), Die neuen Internationalen Beziehungen, 2003, 484 ff.
Inhaltsverzeichnis
I. Umfang und Struktur des Welthandels
II. Theorie des Außenhandels und der Handelspolitik
III. Entwicklung des Welthandelssystems
IV. Allgemeines WTO-Recht
V. Warenhandel
VI. Dienstleistungshandel
VII. Handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums
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Unter dem Welthandelsrecht wird das Recht der Welthandelsorganisation(World Trade Organization, WTO) bezeichnet, d.h. die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung. Hierin erschöpfen sich die völkerrechtlichen Regeln des internationalen Handels jedoch nicht. Vielmehr werden Handelsfragen auch in regionalen und bilateralen Abkommen, insbesondere in Freihandelsabkommen und regionalen Integrationsrechtsordnungen, geregelt.[1] Hinzu treten weitere multinationale Verträge, die Sonderrecht für bestimmte Güter schaffen (z.B. Rohstoffabkommen[2]) und ebenfalls Handelsfragen betreffen. Wenn in diesem Kapitel gleichwohl ausschließlich das Welthandelsrecht behandelt wird, liegt dies zum einen an der zentralen Bedeutung dieses Rechtsgebiets für den grenzüberschreitenden Austausch von Gütern und Dienstleistungen und zum anderen daran, dass weitere handelsrechtliche Aspekte in den Kapiteln über regionale Integrationsabkommen und das Entwicklungsvölkerrecht behandelt werden.
[1]
Dazu Teil 7 Rn. 1017 ff.
[2]
Dazu Teil 6 Rn. 929 ff.
Teil 2 Welthandelsrecht› I. Umfang und Struktur des Welthandels
I. Umfang und Struktur des Welthandels
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Vor einer Darstellung der Regeln des Welthandelssystems ist es sinnvoll, einen kurzen Blick auf Umfang und Struktur der weltweiten Handelsbeziehungen zu werfen, die den tatsächlichen Hintergrund des Welthandelsrechts darstellen. Das Volumen des weltweiten Handels(gemessen am Exportvolumen) betrug im Jahr 2019 ca. 19,05 Bio US$. Es umfasst damit rund ein Viertel des Weltbruttosozialprodukts. 76 % des weltweiten Handels entfallen auf den Warenhandel; gut 24 % betreffen den Dienstleistungshandel.[1] Seit Anfang der 1950er Jahre verzeichnet der internationale Handel grundsätzlich höhere Wachstumsraten als das Weltbruttosozialprodukt. Dadurch wird deutlich, dass der Integrationsgrad der internationalen Wirtschaftsbeziehungenin den vergangenen Jahrzehnten stetig zugenommenhat. Die Covid-19-Pandemie und die daraus resultierenden staatlichen Einschränkungen und Beschränkungen des internationalen Verkehrs führten Mitte 2020 allerdings zu einem signifikanten Rückgang des Welthandels. Die langfristigen Folgen der Pandemie sind noch nicht absehbar.
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Während die aggregierten Zahlen die Bedeutung des globalen Handels für die Weltwirtschaft insgesamt verdeutlichen, ermöglicht erst eine nach Regionen und Ländern differenzierende Betrachtungein genaues Bild über den Umfang und die Auswirkungen des Handels auf einzelne Länder und Ländergruppen. Über ein Drittel des weltweiten Warenexports (38 %) entfällt auf Europa, wofür maßgeblich die EU verantwortlich ist. Über ein Drittel des Weltexports stammt aus Asien, in erster Linie aus China, Japan, Indien und den sog. vier asiatischen Tigern (Taiwan, Hong Kong, Singapur und Korea). Für 14 % des Exportvolumens sind die Staaten Nordamerikas (USA, Kanada und Mexiko) verantwortlich. Weitgehend marginalisiert sind Süd- und Mittelamerika sowie Afrika mit jeweils ca. 3 % Anteil am Weltexport.[2] Die Problematik dieser Verteilung wird auch deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass im Jahr 2019 ein Drittel des Weltwarenhandels auf drei Länder (USA, China und Deutschland) entfiel.[3] Insgesamt zeigt sich eine extreme regionale Ungleichheitdes weltweiten Handels.
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