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Nicht nur das Volumen, auch die Ausrichtung des internationalen Handels ist regional unausgewogen. In den großen Handelsblöcken des Nordens dominiert der intraregionale Handel. Dagegen spielt der intraregionale Handel in Afrika und Lateinamerika eine geringere Rolle. Die Handelsbeziehungen der meisten Entwicklungsländersind noch immer einseitig auf die Märkte des Nordens ausgerichtet. In diesem Zusammenhang ist auch relevant, dass der Handel in globalen Wertschöpfungsketten (Global Value Chains) und innerhalb von multinationalen Konzernen zunehmend an Bedeutung gewinnt.
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Insgesamt zeigt sich, dass die globalen Handelsbeziehungen weiterhin durch eine Dominanz der Industrieländergeprägt sind. Zwar nimmt der Anteil von Entwicklungsländern am internationalen Handel ebenso wie der Umfang des sog. Süd-Süd-Handels (Handel zwischen Entwicklungsländern) seit einigen Jahren zu; diese Entwicklung geht jedoch in erster Linie auf die gestiegene Bedeutung einiger weniger ostasiatischer Länder zurück. Eine besondere Rolle nimmt dabei Chinaein. Innerhalb kurzer Zeit hat sich China zur weltweit führenden Handelsnation entwickelt und ist für 13% des globalen Warenexports verantwortlich. China rangiert damit seit einigen Jahren vor der EU und den USA. Diese Bedeutung wirkt sich auch auf die globalen Handelsbeziehungen aus, die immer stärker von politischen und ökonomischen Interessensgegensätzen zwischen den drei großen Handelsblöcken geprägt werden.
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Die Bedeutung des internationalen Handels für die einzelnen Volkswirtschaften und damit auch die Abhängigkeit vom Handel einzelner Länder variiert stark. In einigen kleineren offenen Volkswirtschaften wie Irland liegt der Anteil des Handels am Bruttosozialprodukt bei über 100 %. Für die „Exportnation“ Deutschland ist das Verhältnis von Ex- und Importen zum Bruttosozialprodukt mit rund 40% immer noch relativ hoch. In zahlreichen Entwicklungsländern liegt die Quote bei 20 bis 30 %. In Staaten mit großen Binnenmärkten, wie den USA oder Brasilien, ist der Anteil mit zwischen 10 und 20 % deutlich geringer.[4]
[1]
WTO, World Trade Statistical Review 2020, S. 10.
[2]
WTO, World Trade Statistical Review 2020, S. 80.
[3]
WTO, World Trade Statistical Review 2020, S. 82.
[4]
Daten für 2017 nach https://ourworldindata.org/grapher/trade-openness.
Teil 2 Welthandelsrecht› II. Theorie des Außenhandels und der Handelspolitik
II. Theorie des Außenhandels und der Handelspolitik
Literatur:
Rose/Sauernheimer, Theorie der Außenwirtschaft, 14. Aufl., 2006; Krugman/Obstfeld/Melitz, Internationale Wirtschaft – Theorie und Politik der Außenwirtschaft, 11. Aufl., 2019; Dieckheuer, Internationale Wirtschaftsbeziehungen, 5. Aufl., 2001; Sykes, Comparative Advantage and the Normative Economics of International Trade Policy, JIEL 1998, 49; Koch, Internationale Wirtschaftsbeziehungen, 3. Aufl., 2006.
Teil 2 Welthandelsrecht› II. Theorie des Außenhandels und der Handelspolitik› 1. Klassische Theorie der komparativen Kostenvorteile
1. Klassische Theorie der komparativen Kostenvorteile
„The theory by David Ricardo, who uses the example of England producing cloth and Portugal producing wine, (…) is the basis for the idea of the benefits of open trade. By producing goods and services in which it has a comparative advantage – and importing others – a country manages to create more value than it would otherwise do. In ideal conditions, trade allows countries to specialize in products that they produce best and import others, and everyone stands to gain. As a consequence, the economies of all countries grow”.
Pascal Lamy, ehem. WTO-Generaldirektor [1]
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Wie das Zitat aus einer Rede von WTO-Generaldirektor Pascal Lamy zeigt, liegen den herrschenden politischen Vorstellungen von den internationalen Handelsbeziehungen theoretische Überlegungen zu Grunde, die von David Ricardo Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden. Ricardo – ebenso wie vor ihm bereits Adam Smith – wandte sich gegen den in seiner Zeit vorherrschenden Merkantilismus, nach dem ein Land seinen Reichtum dadurch mehrt, dass es möglichst viele Güter exportiert und möglichst wenig Güter importiert.[2] Smith und Ricardo wiesen dagegen auf die wohlfahrtssteigernde Wirkung der internationalen Arbeitsteilunghin.
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Diese Wirkung ist besonders offensichtlich, wenn Produkte gehandelt werden, die in einem Land günstiger produziert werden können als in einem anderen Land. So können tropische Früchte z.B. günstiger in tropischen Ländern als in Ländern mit kälterem Klima produziert werden. Tropische Länder haben einen absoluten Kostenvorteil für die Produktion dieser Güter. Nach der Theorie der absoluten Kostenvorteileist es sinnvoll, wenn sich Länder auf die Produktion solcher Güter spezialisieren, die sie – absolut gesehen – günstiger produzieren können als andere Länder.
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David Ricardo erweiterte diese Überlegungen zur Theorie der komparativen Kostenvorteile.[3] Danach ist für den Handel zwischen zwei Ländern nicht der Unterschied zwischen den absoluten Produktionskosten der Güter in den jeweiligen Ländern maßgeblich, sondern der Unterschied zwischen den relativen Produktionskosten der verschiedenen Güter innerhalb eines Landes. Kann ein Land ein bestimmtes Gut günstiger produzieren als ein anderes Gut, besitzt es für ersteres einen komparativen Kostenvorteil. Anders als bei der Theorie der absoluten Kostenvorteile werden also nicht die Produktionskosten in verschiedenen Ländern verglichen, sondern das Verhältnis der Produktionskosten verschiedener Güter in einem Land. Handel findet nach der Theorie der komparativen Kostenvorteile zwischen Ländern mit unterschiedlichen komparativen Kostenvorteilen statt.
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Die Theorie geht davon aus, dass ein Land durch internationalen Handel die Menge der ihm zur Verfügung stehenden Güter gegenüber einer Situation, in der alle Güter im Inland produziert werden (Autarkie), erhöhen kann, wenn es sich auf die Produktion der Güter konzentriert, für die ein komparativer Kostenvorteil besteht, und andere Güter auf dem Weltmarkt eintauscht. Die Teilnahme am Handel erhöht so das Volkseinkommen. Nach der Theorie der komparativen Kostenvorteile ist es auch dann für ein Land lohnend, am Handel teilzunehmen, wenn es für alle benötigten Produkte einen absoluten Kostenvorteil besitzt, d.h. alle Produkte absolut gesehen günstiger produziert als der potenzielle Handelspartner. Umgekehrt folgert die Theorie, dass auch ein Land, das im Vergleich zu anderen Ländern über keinen absoluten Kostenvorteil verfügt, sinnvoll am internationalen Handel teilnehmen kann.
Die Theorie der komparativen Kostenvorteile lässt sich in Anlehnung an Ricardo mit folgendem Beispielerläutern: Es werden zwei Länder (England und Portugal), zwei Güter (Tuch und Wein) und ein variabler Produktionsfaktor (Arbeit) unterstellt. Folgende Produktionskosten bestehen für die Güter in den beiden Ländern: In Portugal werden für die Produktion von einer Einheit Wein 10 Arbeitseinheiten (AE) und für eine Einheit Tuch 20 AE benötigt. In England werden für eine Einheit Wein 30 AE und eine Einheit Tuch 40 AE benötigt. In Portugal kann also sowohl Wein als auch Tuch billiger herstellt werden als in England. Portugal besitzt für beide Produkte einen absoluten Kostenvorteil.
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