Hinweis
Sie erinnern sich: Der Unterschied zwischen den gerade besprochenen Einwendungen und den hier behandelten Einreden lag in Folgendem: Eine Einwendung ist vom Gericht, sofern ihre Voraussetzungen vorgetragen und ggf. bewiesen wurden, von sich aus zu beachten. Auf eine Einrede muss sich der Schuldner ausdrücklich berufen. Der Merksatz lautete: „Bei der Einrede muss man reden“.[76]
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Bei der Bürgschaft ist nun wieder die Besonderheit zu beachten, dass die Einreden einerseits aus dem Vertragsverhältnis zwischen Bürgen und Gläubiger und andererseits aus dem Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner herrühren können. Wir haben also zu beachten, dass bei akzessorischen Sicherheiten Einreden „doppelt“ zu prüfen sind:
a) Einreden aus dem Verhältnis Gläubiger – Hauptschuldner
aa) Einreden des Hauptschuldners, § 768
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Die mehrfach erwähnte Akzessorietät der Bürgschaft findet einen sehr deutlichen Ausfluss in der Regelung des § 768. Es heißt dort in Abs. 1 S. 1:
Der Bürge kann die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen.
Das hat für Sie in der Klausursituation die Konsequenz, dass Sie an dieser Stelle sämtliche Einreden, die dem Hauptschuldner gegen den Gläubiger zustehen, prüfen müssen.
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Der Bürge kann sich also insbesondere darauf berufen, dass
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die Hauptforderung verjährt ist (§ 214), |
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der Gläubiger dem Hauptschuldner die Schuld gestundet hat, |
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oder dass dem Hauptschuldner gegen den Gläubiger ein Zurückbehaltungsrecht zusteht (etwa aus § 273 oder § 320). |
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Das Recht des Bürgen, sich auf Einreden aus dem anderen Vertragsverhältnis berufen zu dürfen, ist sehr stark ausgeprägt. Der Bürge verliert nach § 768 Abs. 2 nicht einmal dann die Einrede, wenn der Hauptschuldner auf diese verzichtet.
Beispiel
B hat sich für eine Forderung des G gegen S verbürgt. Kurz vor Ablauf der Verjährung des Anspruchs des G erkennt S seine Verpflichtung gegenüber G an.
Die Anerkennung der Forderung führt gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 zu einem Neubeginn der Verjährung. Dies gilt aber nicht für den Bürgen. Wenn also der G nach Ablauf der ursprünglichen Verjährung den B aus der Bürgschaft in Anspruch nimmt, kann dieser sich über § 768 auf die Verjährung berufen. G kann dann also nur noch gegen S vorgehen.
Hinweis
„Verzicht“ im Sinne des § 768 Abs. 2 ist also sehr weit zu verstehen. Darunter fällt also nicht nur der ausdrückliche Verzicht auf eine Einrede, sondern jedes Verhalten des Schuldners, das die Rechtsstellung des Bürgen im Hinblick auf die dem Schuldner gegen den Gläubiger zustehenden Einreden verschlechtert.[77] § 768 Abs. 2 entspricht dem Schutzgedanken des § 767 Abs. 1 S. 3.
bb) Einrede der Anfechtbarkeit oder Aufrechenbarkeit, § 770
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Eine weitere bürgschaftsspezifische Einrede gewährt § 770. Der Zweck dieser Norm ist es, dem Bürgen ein Leistungsverweigerungsrecht (dilatorische Einrede) zu gewähren, solange der Hauptschuldner den Vertrag entweder anfechten kann oder der Gläubiger sich durch Aufrechnung mit einer Gegenforderung des Hauptschuldners befriedigen könnte.
b) Einreden aus dem Verhältnis Bürge – Gläubiger
aa) Allgemeine Tatbestände
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Wie bei jedem anderen Anspruch auch, stehen dem Bürgen als Schuldner die allgemeinen Einreden zu. Zu denken ist insbesondere an die Verjährung (§ 214) oder an ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273.
bb) Einrede der Vorausklage, § 771
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Eine Besonderheit des Bürgschaftsanspruchs ist jedoch die Einrede der Vorausklage, die in § 771 geregelt ist. Danach muss der Gläubiger – kurz gesagt – zunächst versuchen, seinen Anspruch gegen den Hauptschuldner durchzusetzen, bevor er den Bürgen als bloßen Sicherungsgeber in die Haftung nimmt.
In der Praxis – vor allem in der Praxis der Banken – spielt aber diese Vorschrift jedoch keine Rolle. Das liegt daran, dass Banken bei Bürgschaften immer verlangen, dass eine „selbstschuldnerische Bürgschaft“vereinbart wird. Mit dieser Klausel ist nach § 773 Nr. 1 ein Verzicht auf die Einrede der Vorausklage verbunden. Dieser Verzicht kann auch wirksam in AGB vereinbart werden, da eine solche Klausel von der im Gesetz nach § 773 Nr. 1 zugelassenen Möglichkeit Gebrauch macht.[78]
2. Teil Die Personalsicherheiten› A. Die Haftung des Bürgen› IV. Spezielle Ausprägungen der Bürgschaft
IV. Spezielle Ausprägungen der Bürgschaft
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Wie bei anderen im BGB geregelten Ansprüchen hat die Praxis neben diesem Grundmuster eine ganze Reihe von Ausprägungen der Bürgschaft entwickelt, um spezifischen Sicherungsbedürfnissen bei Krediten gerecht zu werden.
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Bereits oben ( Rn. 108) erwähnt hatten wir die selbstschuldnerische Bürgschaft, die dem Bürgen das Recht nimmt, sich auf die Einrede der Vorausklage zu berufen.
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Andererseits haben wir auch über die Höchstbetragsbürgschaftgesprochen ( Rn. 85), nach der der Bürge zwar für die Verbindlichkeit des Schuldners einstehen will, aber maximal nur bis zu dem in der Bürgschaft vereinbarten Höchstbetrag zu haften bereit ist.
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Die Gesamtschuld ist Stoff des Allgemeinen Schuldrechts. Ich empfehle Ihnen an dieser Stelle, diesen Problemkreis noch einmal zu wiederholen.[79]
Im BGB ist ferner in § 769 die Mitbürgschafterwähnt. Diese liegt immer dann vor, wenn sich für eine Verbindlichkeit mehrere Personen verbürgen. Für die Mitbürgschaft ist nicht erforderlich, dass von Anfang an mehrere Bürgen vorhanden sind oder dass die Bürgen gemeinschaftlich handeln. Selbst dann, wenn die Mitbürgen voneinander nichts wissen, greift § 769.[80]
Die Rechtsfolge bei der Mitbürgschaft ist, dass die Mitbürgen als Gesamtschuldner haften. Der Gläubiger kann sich daher aussuchen, wen er in Anspruch nimmt (§ 421). Dieser Bürge hat dann gemäß § 426 einen Ausgleichsanspruch gegen den oder die Mitbürgen und zwar im Zweifel zu gleichen Teilen.
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Weiter ist im Gesetz in § 777 noch die Zeitbürgschaftgeregelt, bei der sich der Bürge nur für einen bestimmten Zeitraum verpflichtet, für die Verbindlichkeiten des Schuldners einzustehen. Läuft dieser Zeitraum ab, wird der Bürge grundsätzlich frei (s.o. Rn. 96 f).
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Es gibt noch eine Reihe weiterer Bürgschaftsarten,[81] die hier nicht vertieft dargestellt werden können. Es würde Sie nur verwirren und den Blick auf die Struktur der Bürgschaft trüben. Denn egal, welche Art der Bürgschaft Sie zu prüfen haben: Die Struktur und der Aufbau der Prüfung des Anspruchs des Gläubigers gegen den Bürgen sowie der Regressansprüche gegen den Hauptschuldner sind bei allen Bürgschaftsarten identisch.
Auf eine besondere Bürgschaftsform, der sogenannten Ausfallbürgschaft, muss aber gesondert eingegangen werden.
Eine Ausfallbürgschaft liegt vor, wenn der Ausfallbürge dann verspricht einzutreten, wenn der sogenannte Regelbürge seiner eigenen Bürgschaftsverpflichtung nicht nachkommt.
Beispiel
Existenzgründer U betreibt sein Unternehmen in der Rechtsform der GmbH. Sparkasse S gewährt dieser GmbH ein Darlehen, für das sich U selbstschuldnerisch verbürgt. U ist somit Regelbürge. Die Kreditanstalt für Wiederausbau verbürgt sich ihrerseits gegenüber der S für dann Fall, dass der Regelbürge, also U, ausfällt.
Die KfW und der U sind nichtMitbürgen im Sinne des § 769.[82] Das hat weitreichende Konsequenzen. Zahlt der U als Regelbürge, steht ihm kein Ausgleichsanspruch gegen die KfW aus §§ 769, 774 Abs. 2, 426 zu. Zahlt hingegen die KfW, so erwirbt diese nach § 774 Abs. 1, 401 die Forderung nebst bestehender Regelbürgschaft und kann, wenn der Regelbürge wieder zu Vermögen gekommen sein sollte, gegen diesen in voller Höhe vorgehen.
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