Würde Mona 2018die Fliesen kaufen, könnte sie seit 1.1.2018 eindeutige Aussagen zu den Ein- und Ausbaukosten im BGBfinden.[7] Der Gesetzgeber hat diese „Fliesenfälle“ gesetzlich normiert. In § 439 Abs. 3 BGB ist nun die Ersatzpflicht des Verkäufers für Ein- und Ausbaukosten näher geregelt. Danach muss der Verkäufer die erforderlichen Aufwendungen für Ein- und Ausbau tragen. Sind die erforderlichen Ein- und Ausbaukosten unverhältnismäßig hoch, ist beim Verbrauchsgüterkauf der Anspruch auf Nacherfüllung in Form der Mängelbeseitigung aber nicht gänzlich ausgeschlossen, wenn die andere Art der Nacherfüllung (Reparatur) unmöglich ist (§ 475 Abs. 4 S. 1 BGB). Stattdessen darf der Unternehmer den Aufwendungsersatz auf einen „angemessenen Betrag“ beschränken (§ 475 Abs. 4 S. 2, 3 BGB). Der Käufer kann einen Vorschuss verlangen (§ 475 Abs. 6 BGB). Die Beweislastumkehr ist nun in § 477 BGB geregelt, die Regressansprüche in §§ 445a, 445b BGB.
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Die Prüfung der materiellen Rechtslage ist stets die erste Maßnahme, die Mona (bzw. ein Anwalt, wenn es sich bei dem Rechtssuchenden um einen juristischen Laien handelt) ergreifen wird, um die Erfolgsaussichten einer Klage und das Kostenrisiko abzuschätzen. Das Kostenrisikoist deshalb so bedeutsam, da der Verlierereines zivilgerichtlichen Rechtsstreits nach § 91 ZPOgrundsätzlich sämtliche angefallenen Kosten (eigener Anwalt, gegnerischer Anwalt, Gerichtskosten) tragen muss. Ein Prozess kann somit teuer werden. Sollte Mona den Prozess in erster Instanz verlieren, kämen insgesamt Kosten von ca. 1400 € auf sie zu.[8] Mona diskutiert daher die gefundenen Ergebnisse mit ihrem Freund Thomas, der ihr wegen der „etwas wackeligen“ Rechtslage von einem gerichtlichen Streit abrät. Er schlägt stattdessen vor, die Verfärbungen der Fliesen zu akzeptieren oder zumindest nochmals einen Güteversuch mit der V-GmbH zu starten. Als angehende Juristin will sich Mona allerdings nicht damit zufrieden geben, die nächsten Jahre auf schlecht polierte Fliesen blicken zu müssen. Insofern ist es ihr auch egal, dass der Ersatz von Aus- und Einbaukosten durch den Verkäufer einer mangelhaften Sache in der juristischen Fachliteratur umstritten ist. Vor allem findet sie das in der Literatur geäußerte Argument, § 439 BGB müsse europarechtskonform – also verbraucherfreundlich – interpretiert werden, da diese Vorschrift auf einer EU-Richtlinie beruhe, besonders überzeugend. Daher beschließt Mona, die V-GmbH auf Neulieferung und Kostenersatz zu verklagen. Allerdings fehlen ihr jegliche Kenntnisse über das Zivilprozessrecht, da sie noch keine Vorlesung zu diesem Rechtsgebiet besucht hat. Unklar ist ihr, ob sie Kosten vorstrecken muss, welches Gericht für ihren Fall zuständig ist und ob sie einen Anwalt benötigt. Ihr Studienkollege Kai rät ihr, erst dann einen Prozess zu führen, wenn sie folgende Themengebiete des Zivilprozessrechts beherrscht:
Rechtswegzuständigkeit, Verfahrensgrundsätze, Klagearten, allgemeine Verfahrensvorschriften und Verfahren im ersten Rechtszug, Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen, gütliche Streitbeilegung, Arten und Voraussetzungen der Rechtsbehelfe, Beweisgrundsätze, Zwangsvollstreckung (allgemeine Voraussetzungen, Arten, Rechtsbehelfe), vorläufiger Rechtsschutz. |
[1]
Fall nach BGH NJW 2009, 1660 (Urteil vom 14.1.2009 – VIII ZR 70/08 = Bodenfliesenfall).
[2]
Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes etc. vom 28.4.2017 (BGBl I 2017, 969).
[3]
Eingehend zur Beweislast BGH NJW 2017, 1093.
[4]
BGH NJW 2008, 2837, 2838 f.
[5]
BGH NJW 2008, 2837, 2839 m.w.N. (= Parkett-Fall).
[6]
OLG Frankfurt OLGR 2008, 325.
[7]
Näher Höpfner/Fallmann NJW 2017, 3745.
[8]
Unterstellt wird ein Streitwert von 3000 € (600 € für Neulieferung und 2400 € für die Austauschkosten).
1. Teil Einführung in das Zivilprozessrecht› C. Internetrecherche
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In diesem Skript wird sich Mona Schritt für Schritt Grundkenntnisse im Zivilprozessrecht aneignen. Zum Nachschlagen wichtiger Gesetze am Computer verwendet Mona die offizielle Homepage des Bundesministeriums der Justiz „ www.gesetze-im-internet.de“ bzw. die Website der EU für europäische Rechtsakte „eur-lex.europa.eu“, zum Recherchieren der BGH-Rechtsprechung „ www.bundesgerichtshof.de“. Informationen über Internet-Versteigerungen durch die Gerichtsvollzieher findet sie unter „ www.justiz-auktion.de“. Testfragen zum Zivilprozessrecht bekommt Mona unter „ www.juriq.de“ beantwortet.
1. Teil Einführung in das Zivilprozessrecht› D. Aktuelle Reformen
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Das Verfahren in Familiensachen (Ehe, Unterhalt, Kindesumgang etc.) war bis 2009 in der ZPO geregelt. Mit dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)hat der Gesetzgeber ein eigenes „Prozessgesetz“ für Familiensachengeschaffen und weitere Themen (Betreuungssachen, Grundbucheinträge, Nachlasssachen) aufgenommen. Das FamFG ist am 1.9.2009 in Kraft getreten. Auch wenn oft auf die ZPO verwiesen wird, gibt es eigene Begrifflichkeiten. Statt einer „Klage“ gibt es „Anträge“, die Parteien sind die „Beteiligten“ und heißen Antragsteller/in bzw. Antragsgegner/in, die ein „Verfahren“ und keinen „Prozess“ führen. Das Gericht entscheidet stets durch Beschluss, nicht durch Urteil (§ 38 FamFG). Installiert wurde das „Große Familiengericht“ (kein gesetzlicher Begriff) mit einer umfassenden Zuständigkeitskonzentration (z.B. Scheidung, Zugewinn, elterliche Sorge, Unterhalt, Gewaltschutzsachen). Im erstinstanzlichen Verfahren herrscht grundsätzlich Anwaltszwang (§ 114 FamFG). Ein weiteres Ziel des FamFG ist, die außergerichtliche Streitbeilegung zu fördern. Das Gericht kann in sog. Folgesachen anordnen, dass beide Ehepartner an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder andere Formen der außergerichtlichen Konfliktbeilegung teilnehmen (§ 135 FamFG).
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Im Jahr 2012 hat der Gesetzgeber die Mediationgesetzlich verankert, um in Deutschland auf breiter Ebene eine Kultur der Streitvermeidung zu etablieren. Am 26.7.2012 ist das Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung (MediationsG)[1] in Kraft getreten, das gesetzliche Regelungen zur außergerichtlichen und gerichtlichen Mediationin allen Verfahrensordnungen (ZPO, ArbGG, FamFG, VwGO, FGO, SGG) enthält. Erklärtes Ziel ist eine rasche und kostengünstige außergerichtliche Streitbeilegung. Einen Schwerpunkt des Gesetzes bilden die berufsrechtlichen Vorgaben für Mediatoren und Mediatorinnen (Aufgaben, Befugnisse, Ausbildung, Verjährung). Zusätzlich wurden die gerichtlichen Güteversuche(§§ 278 Abs. 5, 278a ZPO) neu konzipiert.
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Das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung aus dem Jahr 2009 hat zahlreiche Neuerungen im Vollstreckungsrecht gebracht.[2] Die meisten Änderungen sind 2013 in Kraft getreten. Ganz im Sinne des Gläubigerschutzes steht nun die frühzeitige Informationsbeschaffung über (pfändbare) Vermögenswerte des Schuldners an erster Stelle. Zudem wurde die elektronische Datenverarbeitung im Vollstreckungsrecht fortentwickelt. Das Vermögensverzeichnis (§ 802f Abs. 5 ZPO) und das Schuldnerverzeichnis (§ 882h Abs. 1 ZPO) werden elektronisch geführt. Die EuKoPfVO (Nr. 655/2014) erlaubt seit 2017 eine (einfache) grenzüberschreitende vorläufige Kontenpfändung in der EU; die (deutschen) Ausführungsvorschriften sind neu in die ZPO eingefügt worden (§§ 946–959 ZPO).
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