2. Akteure der Gewalt und zivil-militärische Balance
Eine weitere wichtige Frage zur Einschätzung der Gewaltproblematik gilt dem Verhältnis von zivilen politischen und militärischen Akteuren in den Übergangsjahren zwischen Revolution und Kapp-Putsch, wie sie in den zurückliegenden Jahren insbesondere Peter Keller und Rüdiger Bergien zu beantworten gesucht haben. 67Schon Ernst-Heinrich Schmidt gelangte in seiner Pionierstudie Heimatheer und Revolution 1918 aus dem Jahr 1981 zu der Einschätzung, dass die Zusammenarbeit zwischen der Übergangsregierung und dem für das Heimatheer zuständigen Preußischen Kriegsministerium einen „realpolitischen Charakter im Sinne einer Anpassung an die revolutionären Machtverhältnisse“ besaß. 68Die Bereitschaft und die Maßnahmen Kriegsminister Scheuchs zur Sicherung der Regierung Ebert stellten einen wesentlichen Beitrag dar, um „ihr Zustandekommen und ihr Überleben zu ermöglichen“. 69Schmidt erkennt ein Handeln „in dienender Funktion“ 70, spricht sogar von „militärischen Steigbügelhalter[n]“ 71und bewertet die zivil-militärische Zusammenarbeit in der Frühphase der Revolution positiv: auch als Chance „zu einer auf Dauer tragfähigen Kooperation“, die erst später verspielt worden sei. 72
Ungeachtet der empirisch dichten Analyse Schmidts dominierte weiterhin ein höchst schemenhaftes Bild von der frühen republikanischen Wehrpolitik. Es folgte einer binären oder gar dichotomischen Gestaltungslogik: aufgeteilt zum einen zwischen überforderten Politikern und eigenständig handelnden Militärs, zum anderen – so eine weitere manichäische Sichtweise – zwischen einem verräterischen, gelegentlich sogar als „rechtsextrem“ rubrizierten Kurs der Mehrheitssozialdemokratie hier und einem leichtfertig eingesetzten, bald außer Kontrolle geratenen „weißen Terror“ dort. Von einem totalen politischen Kontrollverlust gegenüber den bewaffneten Kräften, die in Form von wild entstandenen marodierenden Freikorps schalteten und walteten, kann indes nach Bergien und Keller nicht die Rede sein. Stattdessen betonen sie in ihren von der Revolutionsforschung kaum beachteten Studien 73einen Willen zur republikanischen Wehrhaftigkeit durch den Einsatz staatlich organisierter und kontrollierter, mindestens „leidlich loyaler“ Regierungstruppen. 74Es existierte ein „Wehrkonsens unter dem Primat des Republikschutzes“ 75, beruhend auf einer „engen Kooperation von ziviler Exekutive und der militärischen Elite“. Damit sei die Bereitschaft verbunden gewesen, insbesondere gegen die Gegner der parlamentarischen Demokratie von links „radikale Mittel“ einzusetzen. 76Anders habe „das Überleben“ der „neuen Ordnung in ihren kritischsten Monaten“ nicht gesichert werden können. 77
Bis in den Sommer 1919 konnte im Übrigen keineswegs von einem eigenmächtigen „gegenrevolutionären“ Agieren der verschiedenen militärischen Formationen gesprochen werden, standen diese doch „in einem zumindest formalen Loyalitätsverhältnis zur neuen Regierung“. 78Ebert und Scheidemann strebten demzufolge ganz bewusst und „mit aller Kraft nach dem Gewaltmonopol“ und einer zum Selbstschutz befähigten „wehrhaften“ Republik. Ihr Handeln sei auf eine bewusste Entscheidung zurückzuführen und keineswegs mit Überforderung, einem bloßen Drang nach Machterhalt oder gar einem reaktionären Machtstreben zu erklären. 79Diese Politik einer Kombination von starkem Staat und Republikschutz habe mindestens anfänglich Erfolge erzielt und zugleich ein gesellschaftliches Integrationsangebot „bis in das nationale Lager hinein“ eröffnet. 80Darin sei auch der Versuch zu erkennen gewesen, die nach innen wie außen gerichtete sicherheitspolitische Verlässlichkeit der Sozialdemokratie in einer „bellizistisch“ gestimmten Gesellschaft zu unterstreichen und den Vorwürfen der „Wehrfeindlichkeit“ oder gar des „Landesverrats“ zu begegnen. 81
Das Scheitern des republikanischen Wehr- oder Sicherheitskonsenses – angetrieben von Versailles-Trauma, Dolchstoßlegende und Kapp-Putsch – war nicht von vornherein festgelegt. Es wäre „eine andere Entwicklung möglich gewesen“, so lautet die Quintessenz von Peter Kellers Forschung. 82Auch er zeichnet ein differenziertes Bild militärisch-politischer Kooperation während der Transformationsperiode 1918/19 und hebt hervor, wie sehr „prinzipiell die Möglichkeit“ zu einem „dauerhaften Zweckbündnis“ bestanden habe. 83Die Chance auf alternative historische Verläufe verdeutlicht er anhand von drei unterschiedlichen Idealtypen damals agierender militärischer Führungsgruppen – pragmatisch-technokratisch, verfassungsloyal-attentistisch, restaurativ-militaristisch 84– und dem vielschichtigen Charakter der zum Einsatz gelangten militärischen Verbände. „Formationen, deren Führung tatsächlich in den Kategorien einer […] entgrenzten Kriegführung dachten, standen auch 1918/19 noch immer Befehlshaber gegenüber, die ihre Truppe gezielt zur Mäßigung aufriefen, ja tendenziell ein unblutiges Vorgehen bevorzugten.“ 85Momente der Deeskalation ebenso wie der bewusste Einsatz lediglich symbolischer Gewalt während der Kämpfe im Jahr 1919 würden häufig nur unzureichend gewürdigt. 86
Keller kritisiert außerdem das ebenso dominante wie simplifizierende Bild von den Soldaten der Freikorps als ausnahmslos brutalen, vor sich hinmetzelnden, regellosen, rechtsradikalen und republikfeindlichen Gewaltmenschen. Pikanterweise habe sich in der Historiografie eine Sicht verfestigt, die vielfach auf den Überzeichnungen und Selbstheroisierungen der während der NS-Zeit entstandenen Freikorpsliteratur beruhe. Der Sammelbegriff „Freikorps“ sei in typologisch-analytischer Perspektive verfehlt, es erscheine angebrachter von „Regierungstruppen“ oder zumindest „militärischen Notbehelfen“ zu sprechen, da sie, in organisationsgeschichtlicher Hinsicht, eher regulär und geordnet gebildet worden seien und nicht dem Bild „paramilitärischer Freischärler“ entsprochen hätten (die es freilich auch gab, aber nicht nur und nicht mehrheitlich – so Keller). 87Der „staatliche Faktor bei Aufstellung und Einsatz der Formationen“ sei hoch gewesen, wenngleich Keller ebenfalls deren Unübersichtlichkeit im Frühjahr 1919 betont. 88Auch Bergien begegnet der These von der Unterlegenheit und dem hilflosen Getrieben- und Ausgeliefertsein der zivilen politischen Kräfte gegenüber dem Militär reserviert, würde dies doch „jene Mobilisierungen“ ausblenden, „die nicht ohne oder gar: gegen, sondern mit und durch die republikanischen Regierungen stattfanden“ – insbesondere die Einwohnerwehren. Hierin sei weniger ein reaktionäres als ein republikanisches Projekt erkennbar gewesen. 89
3. Zeitgenössische Wahrnehmung und Würdigung von Gewalt im liberal-bürgerlichen Spektrum
Es ist eine Stärke von Mark Jones’ Revolutionsgeschichte der Gewalt, viele Zeitgenossen zu Wort kommen zu lassen: von Ernst Troeltsch und Theodor Wolff über Harry Graf Kessler bis zu den Historikern Karl Hampe und Gustav Mayer. Diese Kronzeugen werden jedoch meist so zitiert, dass ihre Beobachtungen zu jenem „Crescendo der Gewalt“ passen, von dem Jones ausdrücklich spricht und das eine ständig ansteigende Gewaltdynamik suggeriert. 90
An einer Stelle kommt indes auch bei Jones eine andersgeartete Episode zur Sprache: ein Spaziergang Ernst Troeltschs im Berliner Grunewald, den er auf Anraten seiner besorgten Frau nur mit einem Revolver bewaffnet wagen sollte. Einigermaßen verblüfft stellte Troeltsch im Nachhinein fest, wie überflüssig dies angesichts der friedlichen Stimmung gewesen sei. Einen Monat nach den Januarunruhen wunderte er sich erneut, wie unbeeindruckt das Berliner Großstadtleben trotz aller Gräuel und Gewehrsalven weiterlief. „Musiker und Histrionen bieten sich an allen Plakatsäulen in Massen an“, notierte er in einem seiner berühmten Spectator-Briefe , „die Theater spielen weiter und versammeln ihr an Gewehrschüssen vorbeieilendes Publikum in gewohnter Masse, vor allem wird, wo irgend möglich, getanzt – ohne Rücksicht auf die Kohlen- und Lichtnot“. 91
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