254
Auch wenn die Nutzung biometrischer Daten stark zugenommen hat, darf nicht übersehen werden, dass biometrische Daten unter die besonderen Kategorien personenbezogener Daten nach Art. 9 fallen und daher eine Verarbeitung dieser Daten grundsätzlich unzulässig ist. Werden also Zugangskontrollenzu Arbeitsstätten oder einem Fitness-Center durch die Nutzung biometrischer Daten durchgeführt (Fingerabdruck-Scanner am Eingang), so wird dies mangels Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit in der Praxis regelmäßig nur mit Einwilligung zulässig sein. Ohne Einwilligung dürfte auf nicht biometrische Technik auf eine Zugangskarte oder Karte mit Magnetstreifen zurückzugreifen sein.[586]
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Der Verwendung biometrischer Fotos kommt im Zuge der verstärkten Nutzung von Social Media-Plattformeneine besondere Bedeutung zu. So werden Fotos per Messenger verschickt oder auf der eigenen Profilseite der Nutzer hochgeladen. Deren Erfassung und Verarbeitung in biometrischen Systemen ist dabei unter anderem an die strengen Voraussetzungen einer Einwilligung[587] geknüpft und stellt Datenverarbeiter insbesondere bei Big Data-Anwendungen[588] hinsichtlich einer klaren Zweckbestimmung vor enorme Herausforderungen.[589] Dennoch hat Facebook im September 2019 die umstrittene Funktion der Gesichtserkennung[590] in Europa wieder eingeführt.[591] Teilweise wird die diesbezügliche Einwilligung aufgrund von verhaltenssteuernden Mechanismen bei der Gestaltung der Einwilligungserklärungen bzw. der Entscheidungsumgebung wegen eines Verstoßes gegen Art. 25 Abs. 2 S. 1 in analoger Anwendung bzw. mangels Freiwilligkeit der Einwilligung für unzulässig erachtet. So unterstreicht Facebook etwa die Vorzüge der Gesichtserkennungstechnik und blendet bestehende Nachteile und Gefahren aus.[592]
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Biometrische Daten werden auch bei der Videoüberwachung[593] relevant. Sie findet zunehmend durch biometrische Systeme statt. Dabei werden zunehmend auch Gesichtserkennungen durchgeführt sowie zusätzliche Elemente – etwa die Gangart oder Gestik – erfasst.
XVI. Art. 4 Nr. 15: Gesundheitsdaten
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Gesundheitsdaten sind nach Art. 4 Nr. 15personenbezogene Daten, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person, einschließlich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand hervorgehen.
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Ausweislich ErwG 35 S. 1gehören zu den Gesundheitsdaten alle Daten, aus denen Informationen über den früheren, gegenwärtigen und künftigen körperlichen oder geistigen Gesundheitszustandder betroffenen Person hervorgehen.
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Hinsichtlich der Systematik ist zum einen die enge Verknüpfung zu Art. 4 Nr. 13 und 14zu beachten. Insoweit können Gesundheitsdaten zugleich biometrische oder genetische Daten darstellen, so dass sich inhaltliche Überschneidungen der Begrifflichkeiten ergeben.[594] Zum anderen ist der Zusammenhang zu Art. 9 [595] hervorzuheben: Während Art. 4 Nr. 15den Begriff der Gesundheitsdaten definiert, regelt Art. 9die besonderen Anforderungen an deren Verarbeitung. Dies ergibt sich aus der Aufnahme der Gesundheitsdaten in den Katalog der besonderen Kategorien personenbezogener Daten nach Art. 9 Abs. 1. Darüber hinaus stellen sich gerade im Hinblick auf die praktische Nutzung von Gesundheitsdaten[596] besondere Herausforderungen für eine wirksame Einwilligung. Insofern sind die Bezüge zu den Art. 4 Nr. 11 , 6 Abs. 1 lit. asowie 7und 8wesentlich.
2. Inhalt und Reichweite des Begriffs der Gesundheitsdaten
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Weil Gesundheitsdaten alle Daten sind, die sich auf den früheren, gegenwärtigen oder künftigen Gesundheitszustand einer Person beziehen, liegt hier weites Begriffsverständniszugrunde. Nach ErwG 35 S. 2 gehören dazu etwa Informationen über Krankheiten, Behinderungen, Krankheitsrisiken, Vorerkrankungen, klinische Behandlungen oder den physiologischen oder biomedizinischen Zustand der betroffenen Person.[597] Die Herkunft der Daten(z.B. Arzt, Medizinprodukt, In-Vitro-Diagnostikum) ist für die Einordnung als Gesundheitsdatum nach ErwG 35 S. 2 unerheblich.[598]
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Darüber hinaus stellen auch Informationen, die von der Prüfung oder Untersuchung eines Körperteils oder einer körpereigenen Substanz, auch aus genetischen Daten und biologischen Proben abgeleitetwurden, Gesundheitsdaten dar. Die Art.-29-Datenschutzgruppe[599] betont, dass der Begriff der Gesundheitsdaten deutlich weiter als etwa derjenigen der medizinischen Daten zu verstehen ist und weist darauf hin, dass sich Gesundheitsdaten auch aus einer Kombination mit anderen Daten, die für sich genommen keine Gesundheitsdaten sind, ergeben können.[600] So muss etwa die Erfassung des Gewichts noch keine Information sein, die Aufschluss über den künftigen Gesundheitszustand einer Person gibt. Durch die Verknüpfung mit Informationen zu Alter und Geschlecht und zum Zeitraum der Dokumentation der Daten, können allerdings Gesundheitsdaten generiert werden.[601]
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Gesundheitsdaten sind auch solche Daten, die mittelbar Rückschlüsseauf den Gesundheitszustand erlauben (z.B. Schwerbehinderteneigenschaft, Angaben zu Krankheitssymptomen, Krankschreibungen).[602] Während die Art.-29-Datenschutzgruppe die Notwendigkeit eines hohen Schutzniveaus von Gesundheitsdaten betont und daher etwa auch Lichtbilder eines Brillenträgers, Ergebnisse eines IQ-Tests oder das Rauch- oder Trinkverhalten einer Person unter die Begriffsdefinition fasst[603], betonen andere[604] dass es bei der Ableitung von Angaben zum Gesundheitszustand auf den Verwendungszusammenhang und eine Auswertungsabsicht ankomme, um den Schutzbereich der Gesundheitsdaten mit den Anforderungen an eine Verarbeitung aus Art. 9nicht über Gebühr auszuweiten. Angesichts des Ziels des Verordnungsgebers das Schutzniveau des Datenschutzrechts zu erhöhen und der Tatsache, dass die Begriffsdefinition ausdrücklich einen möglichen Bezug zum Gesundheitszustand der betroffenen Person ausreichen lässt, erscheint es wertungsfremd in diese objektiven Kriterien ein subjektives Element „hineinzulesen“. Gleichwohl bleibt die Notwendigkeit einer Beurteilung im konkreten Einzelfall unentbehrlich.
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ErwG 35 S. 2 stellt klar, dass zu Gesundheitsdaten auch die Nummer, Symbole oder Kennzeichen, die einer natürlichen Person zugeteilt wurden, um diese Person für gesundheitliche Zwecke eindeutig zu identifizieren, gehören. Damit fallen also auch pseudonymisierte Daten[605] – etwa eine Versicherungsnummer – unter den Begriff der Gesundheitsdaten, wenn sie Informationen zum Gesundheitszustand der betroffenen Person enthalten.[606]
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Nach ErwG 35 S. 2 werden auch Angaben zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungendie im Zuge der Anmeldung sowie der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen im Sinne der RL (EU) 2011/24 erhoben werden unter den Begriff der Gesundheitsdaten gefasst. Dadurch werden alle Formen der Organisation und Erbringung von Gesundheitsleistungen erfasst. So fallen etwa im Rahmen einer Anmeldung erhobene Anamnesedaten oder Dienstleistungen im Rahmen von Pflegediensten unter diese Fallgruppe.[607]
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Die besondere Sensibilitätvon Gesundheitsdaten folgt insbesondere aus den möglichen Auswirkungen für den Betroffenen, wie dem Diskriminierungspotenzial.[608] Das Datenschutzrecht knüpft damit an rechtliche Grundsätze an, die bereits in § 203 StGBund § 35 SGB IEingang gefunden haben und so dem Betroffenen im Falle einer gesundheitlichen Notsituation und Hilfebedürftigkeit versichern, dass ihnen keine Nachteile aus einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung oder einer Weitergabe an Dritte erwachsen.[609] Auf der anderen Seite betont die Datenethikkommission aber auch die signifikante Bedeutung von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken, zur Förderung der Prävention sowie zur Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen.[610]
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