Als Reflexionskanäle lassen sich kommunikationsspezifisch die folgenden unterscheiden:
▸Monolog; gedankliches oder verbalisiertes Selbstgespräch ohne Darstellung (z.B. unter der Dusche oder vor dem Einschlafen gedankliche Abläufe für sich selber artikulieren, »thinking aloud«),
▸Gespräch; vor Ort, online, in Gruppen mit Studierenden oder Nichtstudierenden (Dialog mit einem Gegenüber),
▸Schreiben; privat, nur für die reflektierende Person einsehbar oder (halb-)öffentlich (Tagebuch, »dialogic notebook«, Projektjournal, Lern- und Prozessportfolio, Reflexionsblog, geschlossenes und moderiertes Diskussionsforum im Netz (vgl. die Beiträge von Wyss & Ammann sowie Zimmermann & Rickert in diesem Band),
▸Nichtsprachlicher Ausdruck; bildnerisch oder musikalisch, kann möglicherweise in einem zweiten Schritt wieder versprachlicht werden (vgl. die Beiträge von Nyffenegger und Keller in diesem Band).
Gemeinsam ist reflexiven schriftlichen Lernaufgaben, dass Leitfragen und sogenannte Prompts die Lernenden anleiten und Vorgaben in Bezug auf die Art der Reflexion machen. Sie fordern in erster Linie dazu auf, Diffuses zu konkretisieren und schriftlich oder mündlich zu formulieren,
▸welche Erwartungen vor dem eigenen Handeln bestanden,
▸inwiefern diese Erwartungen erfüllt wurden oder nicht,
▸ob es andere irritierende Aspekte im persönlichen Erleben gab
▸und in Bezug auf das weitere persönliche Lernen und berufliche Handeln zu bilanzieren und zu planen.
Helfen diese mit Schreiben verbundenen Reflexionsanlagen beim Lernen? Die Schreibdidaktik versucht wiederkehrend, den kritischen Punkt, den Zusammenhang von Lernen und Schreiben zu erfassen (vgl. den Beitrag von Honegger & Beglinger in diesem Band; aber auch Klotz 1996, 85 ff.)
Wo genau setzt nun – wenn wir das Schreiben im Auge behalten – die Reflexion ein, und wie muss sie beschaffen sein, damit sie am Schluss bei der cognitio clara distincta adaequata, dem anzustrebenden kognitiven Bewusstseinszustand, wie ihn Klotz nach Leibniz umschreibt, anlangt? Und wie geht die cognitio schreibenderweise mit Schreibhemmungen, Zeigeblockaden oder Affekten und Emotionen einher?
Nach wie vor bestehen, trotz des für die Schreibdidaktik zentralen Modells von Hayes zum Schreibprozess (Hayes [1996] 2014, 57 ff.), Unklarheiten. Erstens: Welche Interferenzen bestehen zwischen Denken und eigenem Handeln beim schriftlichen Reflektieren? Zweitens: Wie beeinflusst affektives Erleben rund um das, was Hayes ([1996] 2014, 57 f.) Motivation nennt, schriftliches Reflektieren? Nachstehend fokussieren wir auf einen affektiven Aspekt, der bislang eher im Hintergrund geblieben ist, auf das Dilemma von Lust und Zwang, das reflektierendes Schreiben begleitet.
Reflektierendes Schreiben zwischen Lust und Zwang
Dass gerade Schreiben so häufig fürs verordnete Reflektieren gewählt wird, ist nicht immer lustvoll für Studierende, und dies beeinflusst die Wirksamkeit von reflektierendem Schreiben maßgebend.
Die Lust – wenn Reflexion lustvoll erlebt wird
Lernprozesse geschehen weitgehend unbewusst. Dies zeigt sich auch bei Schreibprozessen im Studium. Es gibt beispielsweise in jedem Schreibprozess für die Schreibenden einen kritischen Punkt (der kann auch mehrfach vorkommen), an dem sie nicht mehr weiterschreiben können. So sitzt beispielsweise eine Studentin vor ihrer Arbeit, und es scheint ihr sonnenklar zu sein, dass sie nur Banalitäten von sich gibt. Dies frustriert sie, denn sie hat sich in den vorangegangenen Tagen und vielleicht auch Monaten intensiv Fachwissen erworben und sich mit einer Fachfrage auseinandergesetzt. Nach dieser tiefen Auseinandersetzung erlebt sie jedoch an diesem kritischen Punkt keine Bereicherung und auch kein Sättigungsgefühl, sondern eine Leere. Was ihr vor einigen Monaten noch als neu erschienen ist und sie langsam immer besser verstanden hat, mutet nun, geschrieben auf dem Blatt, so banal und eben nicht mehr neu an, dass sie die Bilanz zieht, nichts gelernt zu haben. Selbstverständlich ist dies nicht so. Subjektiv erlebt dies die Studentin jedoch so, weil sie das neu Gelernte nicht mehr wahrnehmen kann. Sie hat keine Distanz mehr zu ihrem Lernprozess und ist mitten im »Wald«. Sie sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Und dass sie mal nicht im »Wald« war, hat sie ebenso vergessen. Es gibt keine Erinnerung mehr an ihren Wissensstand von vorher.
An dieser Leerstelle hilft Reflexion, vorab auch geschriebene. In ihrem Lernjournal liest die frustrierte Studentin nun nach, wie sie vor einigen Monaten über Sachverhalte und Bezüge gestaunt, wie sie nach Antworten auf Fragen gesucht hat, die sie nun im Schlaf zu beantworten vermag. Das persönliche Wachstum zu konstatieren, kann Lust bereiten.
Ebenso hilft Reflektieren, den Lernprozess selber zu steuern. Es hilft, wenn bereits beim Start der Lernstoff, der normierte Lernprozess mit persönlichen (häufig nicht sachlastig, sondern emotional ausgelösten) Fragen und Zweifeln verbunden und zum Ausdruck gebracht wird. Reflexion macht das unpersönliche Stoffvakuum zu etwas Eigenem, färbt die Inhalte eines anonymen Lernsystems (die mitunter in ihrer Sinnhaftigkeit schwer ergründbar sind) subjektiv ein. Durch diese Subjektivierung erlebt die Lernende sich selber, und zwar positiv, dies wird als Lustgewinn erlebt.
Weiter hilft reflektierende Dokumentation eines durchweg inneren Prozesses, den komplexen, nicht ganz fassbaren inneren Prozess sichtbar zu machen. Das Blackbox-Phänomen von Lernen verliert dadurch von seiner Dunkelheit. Es zeigen sich Schrittchen, Fragmentchen, Zwischenprodukte und Lernstufen, und das motiviert, macht Lust. Persönlichen Fortschritt zu erleben, kann Lust bereiten.
Demnach lässt sich das Lust-Erleben beim Reflektieren in zwei Dimensionen beschreiben:
▸Lust-Dimension 1: Reflexion macht Stofferfassung zu etwas Eigenem
Lernen – das Eintreten in neue geistige Felder – wird durch Reflexion zum Eigenen. Reflektieren verbindet den Lernprozess in einem unpersönlichen Studiengang durch persönliche Dokumentation mit eigenen Fragen und Eingrenzungen. Dadurch erlebt das lernende Individuum den Wissenszuwachs als etwas Eigenes. Das ist zentral. Denn Lernen geschieht nur, wenn wir persönlich involviert sind. Persönliches Involviertsein kann (muss aber nicht) Lust bereiten.
▸Lust-Dimension 2: Reflexion ermöglicht die Sicht auf Teilschritte
Reflexion segmentiert komplexe Lernprozesse und zeigt Teilschritte, Teilerfolge. Reflektieren gibt im Vakuum des Lernprozesses, in dem das Gelernte nicht immer wahrgenommen wird, eine Orientierung. Reflektieren macht – ähnlich wie ein Messverfahren bei einem Suchtentzug oder einer Verhaltenstherapie – einzelne Lernschritte und -fortschritte wahrnehmbar und sensibilisiert das lernende Individuum somit auf den Lernzuwachs. Der Blick auf die Veränderung, das Wachstum, das Persönliche ist ein befriedigender. Darum Lust.
Reflexion und Zwang
Im formellen Lernkontext erlebt ein Lernender Reflexion mitunter als Zwang. Dies ist ein zentraler Unterschied zu reflektierenden Tätigkeiten im informellen Lernen. Gerade wenn die geschriebene Reflexion später abgegeben werden muss und von einer Dozierenden bewertet wird, kann die Aufgabe, schriftlich reflektieren zu müssen, als Zwang wirken (vgl. auch den Beitrag von Honegger & Beglinger in diesem Band). Weil die bewertende Person Einblick in die Teilschritte hat, fühlt sich der Schreibende unter dem Druck, beweisen zu müssen, dass er seinen Lernprozess hinter sich und erfolgreich überstanden hat. An die Stelle der kritisch fragenden, subjektiv involvierten Erkenntnis tritt ein erzwungenes Bekenntnis, keine Probleme mehr zu haben, alle Lernhürden genommen zu haben. Wird Reflexion verordnet, verwandelt sich das personalisierende und lustvoll wirkende Element von Reflexion und wird als Unlust, als Zwang erlebt.
Читать дальше