So kann man sich täuschen! Ihre Wohnung lag direkt hinter dem Kulturzentrum ›2411‹. In einem für die Gegend ebenfalls viel zu modernen, eleganten Haus. Fanny wollte schon aus dem Jag springen, bevor ich eingeparkt hatte. Die Folge: Er stieß mit seiner massigen Riesenschnauze an das Fenster der Tür und verbeulte sich fast seine reinrassige Visage. »Übereifer bringt nichts, Dussel«, herrschte ich ihn an und er sah mich an, als sei ich der Depp.
Mit uns hatte die Schönheit nicht gerechnet. Nach dem vierten Klingeln bellte sie ein „Wer is’n da?“ in die Gegensprechanlage.
»Richter. Machen Sie schon auf!«
Und dann kippte ich doch fast aus den Latschen! Mein Gott, war die sexy und schön zugleich. Alle Männer des Hasenbergls müssten doch hinter ihr her sein wie der Teufel hinter der Seele! Sie stand in der Tür zum Paradies, verwehrte mir dieses aber. Gott sei Dank!
»Sie haben gestern sicher aus Versehen bei Ihrer Großmutter ein kleines Bild mitgehen lassen. Vielleicht wollten Sie es nur abstauben und haben vergessen, es wieder an seinen Platz zu hängen. Also noch kann ich Ihre Situation retten, wenn Sie kooperativ sind, Ines!«
»Was für ein Bild?«, antwortete mir die Scheinheiligkeit in Person.
Sie ließ uns tatsächlich nicht in ihre Wohnung, hatte aber mit Fanny nicht gerechnet. Der war drin, schneller, als sie lügen konnte.
»Fanny wird Ihnen gleich sagen, welches Gemälde Sie geklaut haben. Sicher haben Sie den Namen Paul Klee noch nie gehört?«
Kaum hatte ich das gesagt, stand Fanny wieder in der Tür und schüttelte sein kleines Köpfchen. Er machte einen niedergeschlagenen Eindruck. Demnach kein Klee in der Wohnung, nur Gras oder Hanf? Hatte sie das Bild im Auto gelassen? Eigentlich alles Nebenkriegsschauplätze. Ich sollte doch einen Kristallschädel finden und außerdem längst auf dem Weg zu einem Nest bei Ingolstadt sein. Aber was macht man nicht alles für reiche, alte Damen …
Jetzt kam die Schleimer-Tour. Und, verdammt, sie hätte fast Erfolg damit gehabt. Zu verführerisch, das Biest! Aber ich riss mich zusammen. Ines buhlte um mich, als sei sie Cleopatra und ich Gaius Julius Caesar. Sollte es nicht eigentlich umgekehrt sein? Ich weiß nicht, wer damals wen verführt hatte – verführerisch war Ines auf jeden Fall und sie kämpfte mit den Waffen einer interessanten Frau. Welcher Caesar hätte da widerstehen können. Ich tat es widerwillig, meiner Anna zuliebe.
»Okay, Ines, dann auf die Harte: Wir fahren jetzt in die Ettstraße, wenn du weißt, wovon ich rede. Diebstahl von Kunstgegenständen kann für dich teuer werden. Erbschaft ade, sag’ ich da nur! Vom Knast mal abgesehen, der Mädchen wie dich besonders liebt. Ich kenne die JVA im langweiligen bayerischen Aichach, Deutschlands größtes Frauengefängnis, da warten sie auf Puppen wie dich! Du wirst jeden Tag Spaß haben, verlass dich drauf!«
Das zog. Ihr schönes Gesicht fror ein, als ob wir gerade bei 48 Grad minus ganz gemütlich in Hot Pants eine Pilgertour zum Nordpol machen wollten. Und schon hing sie mir am Hals, als ob ich sie vor der Kälte würde schützen können. Jetzt kam die nächste Anmach-Tour. Diesmal mit der halben Wahrheit.
»Ich bin so aufgedonnert, weil ich das Bild heute früh schon einem Kunden verkauft habe. Eigentlich wollte ich das gar nicht. Ehrlich! Ein Versehen, da ich zufällig ein Foto auf meinem Handy hatte, auf dem das Bild zu sehen war. Gezeigt hatte ich meinem Kunden eigentlich andere. Von mir. Ziemlich freizügig, wenn Sie verstehen, Herr Richter! Aber der Typ war so scharf auf das kleine Stückchen bemaltes Papier, dass ich nicht widerstehen konnte. Und so bin ich gestern zu meiner lieben Omili gefahren und habe es halt mitgehen lassen. Sie hat doch so viele Gemälde und braucht die Kohle nicht. Ich will mir einen Porsche kaufen und es fehlte noch die Summe, die mir mein Kunde dafür gegeben hat.«
Sammetweich wie eine Perserkatze, verschmust wie eine Siamkatze und zärtlich wie ein Britisch Langhaar, kurz, friedliebend wie ein Engel, eine mysteriöse Neva Masquarade. Ich musste mich erneut zusammenreißen, um ihr nicht in die Arme zu sinken. Nichts mehr mit Schüttelfrost am Nordpol. Richter, pass auf, dass du nicht in dein altes Beuteschema fällst, denk an deine Anna! Fanny schaute mich schon ganz vorwurfsvoll an. Eifersucht pur! Am liebsten hätte er der Ines auch noch gleich den Hals umgedreht. So wie dem Blonden, dessen Einbruchsmotiv ich noch nicht herausgefunden hatte.
Ihre Erklärung klang plausibel. Welchem Job ging sie nach, dass sie von einem „Kunden“ sprach?
»Jetzt lass gut sein, Mädel. Du fährst jetzt sofort zu deiner Großmutter, bringst ihr die Kohle, die du für das Bild bekommen hast, auf Heller und Pfennig, entschuldigst dich und sie wird von einer Anzeige gegen dich absehen. Ich habe noch einen Termin. Danach komme ich zu dir, denn da gibt es noch einiges zu klären. Versuche nicht abzuhauen oder deine Großmutter zu bescheißen!«
Damit ließ ich sie stehen. Sollte man nicht immer an das Gute im Menschen glauben? Ich wollte es bei Ines und hoffte, mein Sinn für Gerechtigkeit würde nicht enttäuscht werden …
SOLLTE es in dem Nest wirklich einige Kriminelle geben? Idyllisch lag der kleine Ort da. Immerhin hatte Münchsmünster eine Kirche und gegenüberliegend die einzige Bank in der Gemeinde. Als ich eintraf, stand der Audi vom Langholtz schon vor der Tür der Bank. Also gingen wir, Fanny und ich, direkt rein. Da saßen sie, der Bankboss, der gleichzeitig sein einziger Angestellter zu sein schien, und Vadim. Man muss schon eine ausgesprochene Koryphäe sein, um als Studierter und Adliger hier zu versauern oder aber etwas ganz anderes vorhaben. Als ich auf ihn zuging und diesem Arnim von Radebusch in die Augen sah, wusste ich, dass sein Job bei der Bank nur eine Nebentätigkeit war und ich ahnte zugleich, dass er der Boss der Gang sein dürfte, die mit fetten Harleys durch die bayerischen Lande tuckert! Verschlagener Blick, der mich mit seinen strahlend blauen Augen ganz kurz abschätzte, während Langholtz ihm sagte, dass ich ein Mann des LKA sei. Was definitiv nicht mehr stimmte. Also hatte auch er den Banker durchschaut? Von Radebusch, Anfang/Mitte fünfzig, von robuster Statur, durchtrainiert, viel zu elegant für das Nest gekleidet und auffallend nervös. Was hatte der Typ zu verbergen? Und wie er auf Fanny blickte, da war mir auch klar, dass die keine Freunde werden würden. Der hasste Hunde, definitiv. Und was wunderte es mich: Die große Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit … Fanny übersah den Dorfsnob ganz einfach, ging zu seinem Freund Vadim und ließ sich von dem hinter den Ohren kraulen.
Mit genialem Spürsinn abgecheckt. Die Lage war klar. Ob mir mein Gefühl recht geben würde, müsste Vadim mit einer Halteranfrage abklären. Ich wollte in dem Moment nur eines wissen: Wer in dem Nest fährt alles eine Harley Davidson? Dann hätte ich schon einen Teil meiner mir von Hermine gestellten Aufgaben gelöst und der Zufall, besser, der Tod des Einbrechers, hätte mich gleich auf die richtige Fährte geführt und ich hätte die Meute von vor zwanzig Jahren identifiziert, die der kleinen Hermine ihre Schätze abjagen wollte. Und es noch immer versucht. Schon jetzt war ich mir ziemlich sicher, dass sich der Trip in die Provinz gelohnt hatte. Das Gespräch zwischen Kommissar Langholtz und dem von Radebusch plätscherte dahin. Taktik? Ich konnte Vadims Vorgehen noch nicht einschätzen. Natürlich kannte von Radebusch den Toten nur flüchtig – „wie man sich halt kennt, wenn man im gleichen Ort wohnt“. Ansonsten hätten sie keine Gemeinsamkeiten und auch sonst … München, aha, nein, zu der Stadt hätte er keinen besonderen Bezug. Eher zu Ingolstadt und Nürnberg. Die Fragen von Langholtz waren auch so allgemein gestellt, dass er gleich in den Dorfkrug hätte gehen können, um dort ein Schnitzel mit Pommes zu verdrücken. Die Pommes hätten ihm mehr erzählt.
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