»Meinst du, mir gefällt das?« Ich hob die Stimme. »Er wird’s nicht wieder tun. Mum hat ihn schwören lassen. Ich will nicht mehr dran denken.«
»Nein! So darf das nicht enden«, widersprach Elaine. »Und wenn ich dich eigenhändig auf die Wache zerren muss, dann mach ich das. Hör mir zu! Du darfst nicht zulassen, dass irgendein Mann mit so einer Scheiße davonkommt…«
»Elaine! Halt die Klappe! Verdammte Scheiße ! Wenn du so rumschreist, kann ich nicht denken.«
»Dann kommst du nicht mit?«
»NEEEEINN!«
Stille.
Wir sahen einander böse an.
Nach einer Weile gingen wir weiter.
»Wieso?«, wollte Elaine wissen.
»Ich glaube … ich glaube, Lloyd weiß, dass er einen Riesenfehler gemacht hat«, sagte ich. »Gestern Abend war er nicht da. Mum hat gesagt, es täte ihm leid – sie will, dass ich seinen vierjährigen Sohn kennenlerne. Ich glaube, Mum will eine richtige Familie. Ich hab mir heute noch mal alles durch den Kopf gehen lassen, und vielleicht wäre es das Beste, wenn ich … «
»Mo? Was erzählst du denn da, Sis? Glaub mir, so einem kannst du nicht trauen. Der hat gesessen und du weißt nullkommgarnichts darüber, was er verbrochen hat. Vielleicht hat er seine Ex verprügelt oder einem Rentner im Park sein Ding gezeigt. Ich weine um seinen Sohn, weil er von einem schrägen Hooligan wie dem großgezogen wird.«
»Ich glaube, so was war’s nicht«, sagte ich. »Und wenigstens hat der Junge einen Dad. Ich will nicht diejenige sein, die ihn ihm nimmt.«
»Was ist los mit meinen beiden Schwestern heute? Die eine ist scharf auf einen G aus Folly Rankings Crew, und du willst mit einem Kerl auf glückliche Familie machen, der dich aus deinem eigenen Bett geprügelt hat. Das kannst du nicht bringen!«
»Ich will nicht zu den Bullen gehen«, sagte ich. »Bei denen da drin ist mir schlecht geworden. Ist was ganz anderes, ob ich dir erzähle, was los gewesen ist, oder den Bullen. Hast du mir nicht erzählt, dass sie die Hälfte von den Leuten, die sie festnehmen, erst mal verprügeln? Nicht mal Naomi hab ich’s erzählt.«
Elaine zog mich am Arm und baute sich vor mir auf. Ein paar Sekunden sagte sie nichts, aber als sie dann doch den Mund aufmachte, sprach sie ganz langsam. »Mo, gib ihm nicht noch mal eine Chance. Wenn meine Mum einen Freund hätte, der die Hand gegen mich hebt, würde mein Dad was richtig Schweres und Scharfes aus seiner Werkzeugkiste raussuchen, das kannst du mir glauben.«
Ich schüttelte Elaines Hand ab. »Schön, dass du einen Daddy hast, der dir hilft«, sagte ich. »Meiner ist nicht da. Und kein Mensch weiß, wo der Versager steckt!«
Ich ging weiter. Jetzt schneller. Ich musste die Tränen zurückkämpfen, die mir in den Augen brannten.
Mein Dad dies und mein Dad das! Halt die Fresse mit deinem Dad. Sei froh, dass du überhaupt einen hast!
Ich schaute über meine Schulter. Ich wollte, dass sie zu mir gerannt kam. Dass sie mich einholte und mich noch mal ganz lange in den Arm nahm. Aber sie tat es nicht. Elaine stand immer noch genau da, wo ich sie stehen gelassen hatte. Das fühlte sich schrecklich an. War ja nicht ihre Schuld, dass mein Dad sich verpisst hatte.
»Kommst du zum Essen mit zu mir?«, rief sie. »Gran macht Fisch.«
»Fisch?«, schrie ich zurück. »Elaine, du weißt, dass ich Fisch nicht ausstehen kann. Schon bei dem Geruch dreht sich mir der Magen um.« Ich erinnerte mich an das letzte Mal, als ich mit Naomi in einem Fish-and-Chips-Laden war – anschließend hatte ich alle Abstufungen von Beige über das Schaufenster des Zeitungsladens nebenan gekotzt. »Außerdem hat Mum mir Nachrichten geschickt, die will wissen, wo ich bin.«
»Warte.«
Als Elaine zu mir kam, spürte ich eine Träne im linken Auge. Ich wollte sie nicht wegwischen, das hätte sie gleich gesehen. Dann umarmte sie mich endlich und ich schlang meine Arme um ihren Hals und ließ sie da liegen. Ich roch das Kokosöl in ihren Haaren, und das war in diesem Moment das Tröstlichste auf der ganzen Welt. »Dasselbe wie gestern«, flüsterte sie. »Wenn er dich auch nur schief ansieht, kommst du ganz schnell zu mir. Versprochen?«
»Versprochen.«
»Komm wenigstens noch bis zur Tür mit zu mir«, beharrte Elaine.
ICH GING MIT ELAINE BIS ZU IHREM BLOCK, und wieder drängte sie mich, doch wenigstens noch auf ein Sandwich mit hochzukommen. Ich lehnte ab. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Ich ging in den Park. Drei Brüder hingen auf dem Klettergerüst rum und teilten sich einen Joint. Junge Familien genossen die frühe Abendsonne. Mütter schubsten Kinder auf den Schaukeln an. Väter spielten Ball mit ihren Söhnen. Ich beneidete sie. Vielleicht konnte ich mich ja bereit erklären, Lloyds Sohn Jason zu treffen – war ja nicht seine Schuld, dass sein Vater im Knast gewesen war. Es mochte nicht die stinknormale Familie sein, von der ich immer geträumt hatte, aber eine bessere würde ich nicht bekommen. Immerhin lebten wir in South Crong. Mum stand schwer auf Lloyd und ich konnte einen Scheiß dran ändern. Ich musste ihn ja nicht mögen – einfach nur seiner XXL-Gestalt aus dem Weg gehen. Guten Morgen, guten Tag, wie lief dein letztes Vorstellungsgespräch, dann ab in mein Zimmer. Aber wenn er noch mal die Hand gegen mich erhob, würde ich noch was viel Übleres machen, als ihn bei den Bullen anzuzeigen. Das schwor ich mir.
Als ich mich auf den Weg zu meinem Block machte, war ich bereit, Lloyd eine letzte Chance zu geben.
Ich schob den Schlüssel ins Schloss. Schaute noch mal aufs Handy – kurz nach sechs. Ich ging durch den Flur. Der Boden war vollkommen staubfrei. Mum musste ihren Arsch gehoben und Putzfee gespielt haben. Das Radio war aus, also vermutete ich, dass sie arbeiten war. Aber dann roch ich Tabak aus der Küche und ging hin. Lloyd und Mum saßen am Tisch, hielten sich die Hände. Lippenspuren an zwei Kaffeebechern. Kekskrümel auf einer Untertasse. Die Ringe um Mums Augen waren zwei Töne dunkler als der Rest ihres Gesichts. Der Aschenbecher war voll. Vier ungeöffnete Bierdosen direkt daneben. Beide sahen mich an, als hätte ich ihnen auf ihre Valentinskarten gekackt.
»Hat sich Cristiano Ronaldo den großen Zeh gebrochen?«, fragte ich.
Lloyd schüttelte den Kopf. Mum strich ihm über den Unterarm, als wollte sie ein totes Eichhörnchen wiederbeleben. Sie brauchte eine Weile, bis sie mich ansah. Ihr Blick verhärtete sich wie der eines verunglückten Hypnotiseurs.
»Warum?«, fragte sie.
»Warum was?«, erwiderte ich.
Sie stand auf. Ein-aus, ein-aus atmete sie, ihre Adern pochten, ihre Lippen bebten, sie wartete auf den richtigen Moment, um ihre Schimpfattacke zu starten. Dann ging es mir auf, mit Wucht, als wäre mir das höchste Hochhaus von Crong auf den Kopf gefallen – die Bullen hatten sich gemeldet. Vor dem großen Ausbruch knetete sie Lloyds Schulter mit der Hand. Ein-aus, ein-aus. Ihre Adern tanzten wie in ihrem Hals gefangene Würmer. Lloyd starrte unter sich, strengte sich an, den Mund zu halten – Mum musste ihm das Versprechen abgenommen haben, zu schweigen. Gute Entscheidung.
»Darf ich nicht auch mal ein bisschen glücklich sein?«, schrie Mum. »Hab ich das nach all den Jahren nicht verdient? Ich hab mich weiß Gott mit genug Abschaum abgegeben und mich wie Scheiße behandeln lassen. Als du auf die Welt gekommen bist, hätte ich dich ins Heim stecken können, weißt du das? Mein Leben wäre so viel einfacher gewesen! Aber ich hab’s nicht gemacht. Ich hab dich behalten! Und das ist der Dank, verdammt noch mal?«
»Dein Freund hat mich aus dem Bett geprügelt, Mum! Was glaubst du wohl, was ich mache?«
Wütend starrte ich Lloyd an, forderte ihn mit Blicken heraus. Lieber bekriegte ich mich mit ihm als mit Mum. Er schaute weg und kaute auf seiner Lippe.
Читать дальше