Colin, Papa von Freya (sechs Monate)
In einer der ersten Untersuchungen dieser Art begleitete die Soziologin Tina Miller von der Oxford Brookes University eine Gruppe junger Väter bei ihrem Übergang in die Vaterrolle. Eine ihrer Versuchspersonen machte sich Gedanken darüber, wie man feststellt, ob man als Papa geeignet ist: »Für einen Job wird man nach Fähigkeiten und Charakter ausgewählt […] Vater kann man ganz leicht werden, es macht Angst, wie leicht es ist […] Wie weiß ich, ob ich es kann? Werde ich der Aufgabe gewachsen sein? Ich habe keine Ahnung.« Aber nach meinen Erfahrungen mit frischgebackenen Vätern verschwinden solche Gedanken auch schnell wieder. Sie sind weniger ein Grund zu anhaltender Sorge, sondern eher eine Chance, sich neu zu definieren, eine neue Rolle, Identität oder Perspektive zu übernehmen. Viele Väter in meinen Untersuchungen sagten, die Vaterschaft motiviere sie, »sich ins Zeug zu legen«, sei ein Antrieb, besser zu werden, um ein gutes Vorbild für ihr Kind abzugeben, auch wenn sie mit ihrem Wunsch nach Perfektion manchmal hinter den hohen Standards zurückblieben, die sie sich selbst gesetzt hatten. Der selbst verordnete Druck hat zwar seine Schattenseiten, aber ihnen steht der Zuwachs an Selbstachtung und Selbstvertrauen gegenüber, den die Vaterschaft für einen Mann bedeuten kann. Ich kann mit Überzeugung sagen, dass es sich für die große Mehrheit der Väter so anfühlt, als hätten sie endlich ihre Berufung gefunden.
Selbst Männer, bei denen wir erwarten, dass der Eintritt in die Vaterrolle für sie schwierig sein könnte – zum Beispiel sehr junge Väter oder Väter ohne geeignetes Rollenvorbild –, stellen unter Umständen fest, dass die Vaterschaft ihnen ermöglicht, das Stereotyp des autoritären oder abwesenden Vaters zu überwinden, oder dem Beispiel, das ihr Vater für sie war oder nicht war, den Rücken zu kehren und sich stattdessen einem anderen Modell zuzuwenden, sich damit selbst neu zu erfinden und ihrer Vergangenheit zu entfliehen.
In den letzten Jahren haben Soziologen und Sozialanthropologen, die sich mit einzelnen Gesellschaften und Kulturen befassen, begonnen, die negativen Schlagzeilen zu hinterfragen, die behaupten, alle jungen Väter seien verantwortungslos und bequem. Die Forscher untersuchen, ob es auch positive Geschichten über junge Väter gibt, ein Vorhaben, das ich uneingeschränkt unterstütze. Dabei haben sie festgestellt, dass einige junge Väter tatsächlich das Narrativ des gleichgültigen oder abwesenden Teenager-Vaters auf den Kopf stellen und Rettung und Verwandlung in ihrer Vaterrolle finden. Väter, die früher geglaubt hatten, sie müssten dem Image des harten Kerls entsprechen, das in ihren Gesellschaften propagiert wurde, nutzen jetzt die Möglichkeiten des neuen Vaterbilds und wenden sich von dem alten ab. Zum Beispiel haben Bevölkerungswissenschaftler von der London School of Hygiene and Tropical Medicine und von der University Kwa-Zulu Natal beobachtet, dass in Südafrika, wo zum Bild des Mannes bei der schwarzen Bevölkerungsgruppe vor allem Dominanz, Unterdrückung und Abwesenheit gehören, junge schwarze Väter eine neue Idee von Vaterschaft vertreten, die Affären, Drogen und leichtsinnige Geldausgaben ablehnt und an ihre Stelle den Wunsch setzt, Geld für die Familie zu verdienen, sie zu beschützen und für sie zu sorgen. In Amerika hat die Geburtshelferin Dr. Jenny Foster von der University of Massachusetts herausgefunden, dass junge puertorikanische Väter sich gegen ein Leben in der Unterwelt der Gangs – mit dem Risiko, ins Gefängnis zu kommen oder früh zu sterben – aussprachen, weil sie sich vorstellten, was ihre Kinder dazu sagen würden. Sie wollten für ihre Kinder da sein, sich um sie kümmern und sie beschützen und das so wichtige Rollenmodell sein. Bei diesen jungen Vätern revolutionierte die Vaterschaft im wahrsten Sinn des Wortes ihr Leben und ihre Zukunft. Aus Bandenmitgliedern wurden involvierte Väter.
Aber vielleicht am stärksten ist die Veränderung der Identität bei schwulen Vätern wie Simon:
Für jemanden, der in der Zeit als Schwuler aufgewachsen ist, in der ich aufgewachsen bin, war [Vater werden] niemals eine Option, und es war wirklich hart, das zu realisieren. Ich würde nie Vater sein und nie Kinder haben. Und scheinbar fand ich mich damit ab. Bis in meine Zwanziger war das auch vollkommen in Ordnung. So war es nun einmal. Aber die Welt hat sich verändert […] Und dann lernten wir uns kennen und waren schnell ein Paar [und] alles fühlte sich richtig an. Wir haben in vielerlei Hinsicht Glück. Ein schönes Haus und Geld […] Deshalb passte es einfach, dass wir in der Lage sein würden, Väter zu sein.
Simon, Papa von Daisy (sechs) und Bill (fünf)
Bis vor sehr kurzer Zeit war es für die Mehrheit der schwulen Männer unerreichbar, Vater zu werden. Die Einstellung der Gesellschaft zur Adoption durch Schwule und der eingeschränkte Zugang zu künstlicher Befruchtung, dazu der Irrglaube, Kinder würden am besten in einer heterosexuellen Kleinfamilie aufwachsen, bedeuteten für viele Männer, dass sie sich damit abfinden mussten, niemals Vater zu werden, wenn sie ihre Sexualität lebten. Doch in manchen Ländern haben sich die Einstellungen inzwischen geändert, und Hürden wurden abgebaut, sodass Vatersein für schwule Männer mittlerweile eine echte Option ist. Nachdem sie sich von der väterlichen Identität bereits verabschiedet haben, müssen sie sie wieder hervorholen, abstauben und annehmen. Adrians Weg ist typisch:
Ich wollte immer Kinder. Ich erinnere mich, dass ich mit vierzehn oder fünfzehn meinem Freund erzählt habe, dass ich schwul bin [und dass] das größte Problem für mich dabei war: »Schwule Menschen bekommen keine Kinder.« Das hing immer wie eine große schwarze Wolke über mir. Und dann wurde ich älter und erkannte, dass es tatsächlich die Möglichkeit gibt. Ich hatte immer einen sehr starken Drang, Vater zu werden. Ich denke […] am Anfang war es ein bisschen der Gedanke: »Ich kann die Welt nicht verlassen, ohne dass ein Teil von mir bleibt! Ich kann nicht einfach aussterben!« Aber das spielt jetzt gar keine Rolle mehr.
Adrian, Papa von Judy (sieben)
Für die schwulen Väter, mit denen ich gearbeitet habe, war es manchmal schwierig, eine »Papa«-Identität anzunehmen, weil es so wenige Beispiele oder Rollenmodelle für schwule Väter gibt, denen sie hätten folgen können, und weil viele Probleme damit haben, ihre Identität mit der Figur des eindeutig heterosexuellen Vaters in Einklang zu bringen. Hinzu kommt noch, dass die Ankündigung eines schwulen Mannes, er werde Vater, nicht unbedingt Begeisterungsstürme auslöst, wie sie heterosexuelle Paare erwarten können.
Aber der schwule Vater hat im Vergleich zum heterosexuellen bei Identitätsfragen einen großen Vorteil: Seine Rolle wird weniger durch das Geschlecht bestimmt. In der heterosexuellen Beziehung ist gesellschaftlich festgelegt, dass es eine Mutter und einen Vater gibt und dass diese Rolle und alle damit verbundenen Aspekte durch das Geschlecht definiert werden. In einer schwulen Elternbeziehung sind die Grenzen zwischen den Rollen hingegen fließender, nicht das Geschlecht gibt den Ausschlag, sondern wer welche Rolle übernimmt, kann danach entschieden werden, wer was gut kann oder gern tut. In Großbritannien gibt es bislang nur sehr wenige schwule Väter, und diejenigen, mit denen ich Interviews geführt habe, nutzen diese Flexibilität, um ihre Rollen zu entwickeln. Für Simon und seinen Ehemann Calum hat das bedeutet, einem traditionellen heterosexuellen Modell zu folgen, bei dem Calum als Hauptverdiener in Vollzeit arbeitet und Simon mit Begeisterung die »Mutterrolle«, wie er sagt, übernommen hat:
Ich fühle mich – natürlich hat alles mit Kultur und Geschlechterrollen und so zu tun –, aber ich fühle mich wirklich als Mutter, weil ich zu Hause bin. Ich hole sie ab, und in der Nacht kommen sie zu mir. Ich bin normalerweise für Essen und Trösten und für all die kleinen Dinge zuständig. Ich fühle mich als Mama.
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