Die jüngsten Forschungen haben diese These bestätigt, wie die Fachzeitschrift Science vor Kurzem berichtete. Es wurde bewiesen, dass ein Tumor umso aggressiver ist, je erfolgreicher er eine lokale Entzündung hervorrufen kann, und dass er sich dann auch über große Entfernungen verbreiten kann, bis er schließlich die Lymphknoten erreicht und Metastasen bildet. 32
Der von Krebszellen verursachte Entzündungsprozess ist von so zentraler Bedeutung, dass man bei vielen Krebsarten (Darm-, Brust-, Prostata-, Gebärmutter-, Magenkrebs und Gehirntumoren) die Überlebenszeit vorhersagen kann, indem man die Produktion der Entzündungsstoffe durch einen Tumor misst. 33
Im Glasgow Hospital in Schottland messen Onkologen seit den Neunzigerjahren Entzündungsmarker im Blut von Krebspatienten. Die Untersuchungen zeigten, dass für Patienten mit besonders niedrigem Entzündungsgrad die Wahrscheinlichkeit, noch mehrere Jahre zu leben, doppelt so hoch war wie für andere Patienten. Die Entzündungsmarker lassen sich leicht messen. VI Zum Erstaunen der Glasgower Onkologen sind sie ein besserer Indikator für die Überlebenschancen als der allgemeine Gesundheitszustand der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose. 34–36Demnach hat eine chronische Entzündung großen Einfluss auf die allgemeine Gesundheit. Das gilt sogar, wenn die Entzündung nicht so gravierend scheint und es keine erkennbaren Anzeichen wie Gelenkschmerzen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt.
Mehrere Studien haben ergeben, dass Menschen, die regelmäßig entzündungshemmende Medikamente einnehmen (Ibuprofen, Diclofenac usw.), weniger anfällig für Krebs sind. 37–39Leider haben diese Medikamente Nebenwirkungen, die nicht zu vernachlässigen sind; das Risiko für Magengeschwüre und Gastritis steigt. Neue entzündungshemmende Medikamente, die sogenannten selektiven Cox-2-Hemmer wie Rofecoxib (Vioxx) und Celecoxib (Celebrex), weckten neue Hoffnungen. Sie hemmen das gefährliche Cox-2 – das Enzym, das Tumoren produzieren, um ihre Verbreitung zu beschleunigen. Mehrere Forschungsprojekte, bei denen die Schutzwirkung der Medikamente vor Krebs untersucht wurde, erbrachten ermutigende Ergebnisse. Doch 2004 wurde ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachgewiesen, und das hat die anfängliche Begeisterung erheblich gedämpft. Diese Medikamente werden normalerweise nicht gegen Krebs eingesetzt.
Der Schwarze Ritter der Krebszellen
Dank der unermüdlichen Arbeit der Forscher ist heute die Achillesferse von Krebszellen bei der Förderung von Entzündungen bekannt. Im Labor von Michael Karin, Professor für Pharmakologie an der University of San Diego, zeigten Forscher in Zusammenarbeit mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Schwachstelle bei Mäusen auf. Das Wachstum und die Verbreitung der Krebszellen basieren größtenteils auf einem einzigen Entzündungsfaktor, der von den Tumorzellen abgegeben wird – er ist sozusagen der Schwarze Ritter, ohne den Tumorzellen viel verletzlicher sind. Der Faktor wird als Nuklear-Faktor Kappa B (oder NF-Kappa B) bezeichnet. Blockiert man die Bildung von NF-Kappa B, werden die meisten Krebszellen wieder »sterblich« und bilden keine Metastasen mehr. 40Die Schlüsselrolle von NF-Kappa B bei einer Krebserkrankung ist heute so gut erforscht, dass Albert Baldwin, Professor an der University of North Carolina, in der Zeitschrift Science mit der Feststellung zitiert wurde: »Fast jedes Mittel zur Verhinderung von Krebs ist ein NF-Kappa-B-Hemmer.« 41
Es gibt aber nicht nur Medikamente, sondern auch viele natürliche Ansätze, mit deren Hilfe man die Entzündungstätigkeit dieser Substanz blockieren kann. Im selben Artikel in Science heißt es ohne jegliche Ironie, die pharmazeutische Industrie suche nach Medikamenten, die NF-Kappa B hemmen, obwohl die Moleküle, von denen man wisse, dass sie entsprechend wirkten, bereits allgemein verfügbar seien. In dem Artikel werden nur zwei Moleküle genannt, die quasi »Low-Tech« sind: die »Katechine« aus dem grünen Tee und »Resveratrol« im Rotwein. 42Dabei enthalten Lebensmittel noch zahlreiche ähnliche Stoffe, manche sind sogar noch wirksamer. Wir werden in dem Kapitel über die Nahrungsmittel gegen den Krebs näher auf sie eingehen.
Mit Stress zusätzlich Öl ins Feuer gießen
Ein Grund für die plötzliche Überproduktion von Entzündungsfaktoren, der aber in Zusammenhang mit Krebs nur selten erwähnt wird, ist ein anhaltendes Gefühl von Ohnmacht, einer Verzweiflung, die einfach nicht aufhört. Diese emotionale Verfassung führt zur Ausschüttung von Noradrenalin (das »Kampf-oder-Flucht-Hormon«) und Cortisol (das »Stress-Hormon«). Die beiden Hormone bereiten den Körper auf eine mögliche Verletzung vor, indem sie beispielsweise die Bildung von Entzündungsfaktoren anregen, die zur Reparatur des Gewebes benötigt werden. Gleichzeitig stimulieren diese Hormone aber auch das Wachstum bösartiger Tumoren, egal, ob sie noch schlummern oder sich bereits manifestiert haben. 43, 44
Die Entdeckung, welch eine wichtige Rolle die Entzündung beim Wachstum und der Ausbreitung von Tumoren spielt, ist noch relativ jung. Eine Suche in der Datenbank MedLine nach englischsprachigen Artikeln über Entzündungen ergibt, dass sich das wissenschaftliche Interesse erst allmählich regt (zwei Artikel 1990, 37 Artikel 2005). Das ist ein Grund, warum bei den Ratschlägen, die wir zur Krebsprävention und -behandlung erhalten, nur so selten von der Kontrolle der Entzündung die Rede ist. Außerdem haben entzündungshemmende Medikamente zu viele Nebenwirkungen und bieten daher keine überzeugende Lösung für das Problem. Allerdings lässt sich die Entzündung im Körper auch mit natürlichen Methoden, die jeder umsetzen kann, reduzieren. Dazu müssen wir einfach entzündungsfördernde Gifte aus unserer Umgebung verbannen, eine Antikrebs-Diät befolgen, nach innerem Gleichgewicht streben und das Bedürfnis unseres Körpers nach Bewegung stillen. Wir werden darauf in den folgenden Kapiteln zurückkommen.
Ein Arzt wird uns diese Ratschläge aller Wahrscheinlichkeit nach kaum geben. Veränderungen der Lebensweise lassen sich nun einmal nicht patentieren, daher kann man auch keine Medikamente daraus machen und kein Rezept dafür ausstellen. Das wiederum bedeutet, dass sich viele Ärzte dafür nicht zuständig fühlen, und so liegt es an jedem Einzelnen, sich darüber zu informieren.
Entzündungsfördernd |
Entzündungshemmend |
Traditionelle westliche Ernährung |
»Mittelmeerdiät«, indische Küche, asiatische Küche |
Depression und Ohnmachtsgefühle |
Gelassenheit, Ruhe, Zuversicht |
Weniger als 20 Minuten Bewegung am Tag |
30 Minuten spazieren gehen, sechsmal pro Woche |
Zigarettenrauch, Luftverschmutzung, Abgase |
Eine saubere Umwelt |
Tabelle 3: Die wichtigsten Einflüsse bei Entzündungsprozessen. Entzündungsvorgänge spielen eine Schlüsselrolle beim Fortschreiten von Krebserkrankungen. Mit natürlichen Mitteln, die jeder anwenden kann, können wir Entzündungen in unserem Organismus bekämpfen.
Teil 3
Die Nachschublinien des Tumors kappen
Wie Schukows Sieg in Stalingrad
Im Kampf gegen den Krebs werden zur Beschreibung oft militärische Metaphern bemüht. Und dabei erscheint mir keine geeigneter als die größte Schlacht, die im Zweiten Weltkrieg auf europäischem Boden stattfand.
Ich spreche vom August 1942. In der Umgebung von Stalingrad zieht Hitler an den Ufern der Wolga eine riesige Streitmacht zusammen. Ihr gegenüber stehen eine erschöpfte und schlecht ausgerüstete sowjetische Armee und die Einwohner der Stadt, die ihr Land, ihre Heimat und ihre Familien verteidigen wollen. In einer Schlacht von unvorstellbarer Härte halten die russischen Streitkräfte, unterstützt von Zivilisten, den Herbst über stand. Trotz ihres Heldenmuts sind sie eindeutig unterlegen. Der Sieg der Nazis scheint nur noch eine Frage der Zeit. Da entscheidet sich Marschall Georgi Schukow für eine völlig andere Taktik: Anstatt den frontalen Angriff fortzusetzen, der keine Hoffnung auf den Sieg bietet, verteilt er die Überreste seiner Truppen hinter den Linien in dem von den Deutschen besetzten Gebiet. Dort sind die Einheiten stationiert, die den Nachschub der deutschen Truppen sichern sollen. Die rumänischen und italienischen Soldaten sind nicht so diszipliniert und kampflustig wie die Deutschen und leisten nicht lange Widerstand. Binnen weniger Tage kann Schukow den scheinbar unvermeidlichen Verlauf der Schlacht um Stalingrad ändern. Nachdem die Nachschublinien gekappt sind, ist die 6. Armee unter General Paulus nicht mehr in der Lage zu kämpfen und muss schließlich kapitulieren. Im Februar 1943 wird der deutsche Vormarsch endgültig aufgehalten.
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