»Du bist ein Feigling!«, warf sie mir vor.
Ihr Gesicht hatte jede Farbe verloren.
»Was stellst du dir vor? Was soll ich konkret tun?«, fragte ich sie. »Ich bin nur ein einzelner Mann! Ich habe keinen schwarzen Zylinder und keine Zaubertricks. Ich kenne nur die Zukunft, das ist alles. Und ich sage euch: Traversan überlebt! Solange ich mich still verhalte! Solange die Kausalität gewahrt bleibt.«
»Bitte!«, drängte sie.
»Wenn ich die Nerven verliere, dann ist alles in Frage gestellt. Dann kann es sein, dass eure Heimat untergeht. Wenn ich eingreife, ist alle Sicherheit dahin, weil man sich auf den Lauf der Geschichte nicht mehr verlassen kann.«
»Du kannst das nicht ernst meinen, Atlan!«
»Stehe ich etwa selbst nicht hier unten? Ich weiß, was passiert, wenn die imperiale Flotte über Traversan erscheint. Dann sterbe auch ich.«
Ich blickte in ihre Augen – von denen ich eine Stunde zuvor noch so intensiv geträumt hatte. In ihren Zügen erkannte ich blanke Ablehnung.
»Diese Männer sterben!«
»Ich … ich kann nichts daran ändern!«
Etwas in ihren Zügen veränderte sich mit einem Mal.
»Du bist wirklich nur ein Schwätzer«, sagte sie abfällig. »Und ich, ich dachte schon …«
Kuriol griff nach ihrem Arm.
»Tamarena.«
Doch die Prinzessin riss sich los, mit einem heftigen Ruck, der den weitaus größeren Nert beinahe ins Straucheln gebracht hätte. Anklagend streckte sie die Hand aus.
»Vater! Ich habe seine Gedanken gelesen! Da ist noch etwas, das ich bis jetzt nicht preisgegeben habe. Dieser Mann …«, ihr Finger zeigte direkt auf mich wie auf einen Angeklagten, »dieser Mann ist ein Admiral! Er ist ein erfahrener Flottenkommandant! Er könnte Irakhem und die anderen jederzeit retten!«
Von einer Sekunde zur anderen trat Stille ein. Das war es also, flüsterte mein Extrasinn. Irgendetwas hat sie verheimlicht, und jetzt ist es heraus. Sie wollte dir wohl Gelegenheit geben, dich selbst zu offenbaren.
Ich blickte in betretene Mienen. Kuriol fragte:
»Ist das wahr, Atlan?«
»Ja, Erhabener. Aber ich versichere Euch, dass es nichts an den Gegebenheiten ändert.«
Der alte Nert schwieg eine Weile. Dann ließ er die Schultern hängen und sprach:
»Ich verstehe Sie.«
Tamarena stieß einen wütenden Schrei aus.
»Du hörst dies, Vater – und du tust nichts?«
»So ist es.«
Die Prinzessin presste die Lippen zusammen. Ich konnte sehen, dass sie in diesem Augenblick einen Entschluss fasste. Aber ich hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, um was es sich handelte.
Bevor jemand reagieren konnte, war sie bereits auf dem Weg zum Ausgang. Tamarena stürmte auf den Korridor hinaus. Wir anderen blieben im Kommandosaal zurück. Ich tauschte einen hilflosen Blick mit Nert Kuriol.
Das Hologramm präsentierte immer neue Szenen der Schlacht im Weltraum. Irakhems Fehler wirkten sich langsam, aber sicher aus. Traversan besaß nur noch eine kurze Gnadenfrist.
Aus den Augenwinkeln sah ich eine Ordonnanz. Der Mann eilte herbei und flüsterte etwas in Kuriols Ohr. Ich ahnte, dass es etwas mit der Prinzessin zu tun hatte.
»Tamarena?«, fragte ich den Nert ahnungsvoll.
»Ja. Im Dachhangar des Palastes stehen einige schnelle Leka-Disken. Sie hat einen davon bestiegen.«
Ich spürte, wie mein Mund trocken wurde.
»Hat sie irgendetwas gesagt, wo sie hinfliegen wollte?«
Der alte Nert deutete wortlos nach oben. Ich wusste es auch so. Prinzessin Tamarena war auf dem Weg zur Schlacht.
8.
DER ADMIRAL VON DEN STERNEN
Vergangenheit 5772 v. Chr. / 12.402 da Ark
Narr! Behalte die Nerven!
Die Stimme meines Extrasinns war mir völlig egal.
»Was wirst du nun tun, Atlan?«
»Ich folge ihr. Wo stehen diese Leka-Disken?«
Kuriol ließ mich von demselben Adjutanten, der die Nachricht überbracht hatte, nach oben geleiten. Es dauerte viel zu lange. Der Mann war langsam wie eine Schnecke, aber ohne Führung konnte ich nicht zu den Hangars kommen.
Der Adjutant öffnete eine Tür. Vor mir standen hochkant vier jener Diskusschiffe, aus denen die Terraner in späteren Jahrtausenden die legendären Space-Jets entwickelt hatten. Sie alle trugen die blauen Da-Traversan-Wappen.
Eines der Startgeschirre war leer – Tamarenas Maschine.
»Benötigen Sie einen Piloten?«
Ich stieß ihn unfreundlich beiseite.
»Ganz sicher nicht. Sehen Sie zu, dass Sie aus dem Hangar kommen.«
Ich legte einen Alarmstart hin, wie ihn der ehrwürdige Palast des Nert nie zuvor erlebt hatte. Der Gedanke, Tamarena könnte im Orbit sterben, brachte mich um den Verstand. Der Lauf der Vergangenheit und der Zukunft kümmerte mich nicht mehr. Ich wollte nur noch, dass die Schlacht endete und dass ich hinterher aus einer Schleuse ihre Gestalt auftauchen sah.
Narr.
Du wiederholst dich.
Irakhem sah die Schiffe untergehen, eines nach dem anderen, und er konnte nichts daran ändern. Viele Gesichter, die er kannte, und so viele Namen, die er nie mehr hören würde. Nicht einmal bei der Trauerfeier; denn innerhalb der nächsten Stunde würde er zweifellos bei den Toten sein.
Einer der Schweren Kreuzer wollte die Flucht ergreifen. Irakhem konnte es verstehen. Im entscheidenden Moment kehrte das Schiff jedoch in die Reihen zurück. Einen Moment lang beobachtete Irakhem seinen Kurs: Es geriet zwischen die Fronten und wurde von feindlichem Kreuzfeuer erwischt. Mit versteinertem Gesicht sah der Pal‘athor die Vernichtung an.
Und dann geschah etwas, womit niemand hatte rechnen können. Aus dem Chaos, das niemand außer Irakhem und seinem Feind Troimus überschaute, tauchte ein Leka-Diskus auf. Das Ziel der kleinen Einheit war die TRAVERSANS EHRE.
Irakhem sah bereits den Glutball einer Detonation vor sich. Doch dann kam alles anders. Der Leka-Diskus schaffte es bis in den Hangar – und zum Vorschein kam eine Person, die er niemals an diesem Ort hätte sehen wollen: Prinzessin Tamarena.
Irakhem war viel zu sehr Stratege, als dass er die Gunst des Augenblicks nicht erkannt hätte.
»Verbreitet die Nachricht an alle Schiffe der Traversan-Flotte«, wies er seine Funkoffiziere an.
Die Ankunft der Prinzessin, so hoffte er, würde einen Ruck durch die Truppen gehen lassen. Wenn der Nert seine Tochter schickte, dann musste es Hoffnung geben.
Diese Hoffnung ist eine Lüge , erklärte sein Extrasinn trocken.
Irakhem starrte die schöne Prinzessin in einer Mischung aus Ärger und Freude an.
Das weiß ich , sagte er lautlos. Aber diese Lüge verschafft uns vielleicht eine halbe Stunde.
Ich ließ den Palast in einem verrückten Manöver unter mir zurück. Die Kontrollen schienen mir so vertraut, als hätte ich gestern erst am Steuer eines solchen Fluggefährtes gesessen. Dabei war es mehr als zehntausend Jahre her.
Ich flog den Diskus allein – ohne Syntron, mit minimaler Hilfe der Positronik.
Binnen weniger Sekunden erreichte ich die höheren Schichten der Atmosphäre. Auf dem Orterschirm sah ich einen Kugelraumer auftauchen. Es war ein feindliches Schiff, ein Leichter Kreuzer von 100 Metern Durchmesser. Auf eine noch unbekannte Weise musste es dem Abwehrriegel entgangen sein, der Traversan umgab.
Ich wusste ziemlich genau, was das bedeutete. Wenn es dem Kreuzer gelang, zum Palast durchzustoßen, waren Kuriol und die anderen tot. Die Kraftfeldkuppel würde ihnen gegen schiffsgestützte Thermowaffen wenig nützen.
Da stießen zwei weitere Kreuzer aus den Wolken hervor. Sie nahmen das durchgebrochene Schiff aufs Korn.
Bevor ich Gelegenheit fand, etwas zu unternehmen, war das Gefecht bereits vorbei. Der Leichte Kreuzer erhielt mitten im Landeanflug auf Erican zwei verheerende Treffer. Sein Schutzschirm brach zusammen, ein Fangschuss verwandelte die gesamte rechte Flanke in schmelzenden Arkonstahl. Über der Region, die als Garten der Sonne bekannt war, stürzte der Kreuzer ab.
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