Angesichts der demografischen Expansion der arabischen Bevölkerung wäre eine mehrheitlich jüdische Bevölkerung in diesem Land wohl kaum möglich, es ist sogar fraglich, ob ein solches Israel überhaupt überlebensfähig gewesen wäre. In direkter Nachbarschaft hätten sich der Staat der palästinensischen Araber sowie andere arabische Länder befunden. Es liegt auf der Hand, dass die Juden aufgrund einer solchen Sachlage zwar einen zivilisatorischen Einfluss hätten ausüben können, jedoch keinesfalls in der Lage gewesen wären, eine expansionistische Politik zu betreiben.
Doch es geht immer auch anders. Man hätte etwa sagen können: „Was gehen uns die gebildeten Juden oder der Holocaust und die Nazis an? Die Juden haben einfach kein Recht, sich hier auf fremdem Land niederzulassen.“ Genau dies geschah, und die Geschichte nahm in der Folge ihren Lauf.
Palästina war seit jeher ein Verwaltungs- und kein Nationalgebiet
Die Frage von Recht und Unrecht kann jedenfalls auch aus diesen Gesichtspunkten betrachtet werden:
Auf dem Gebiet von Palästina existierte damals kein Staat oder staatsähnliches politisches Gebilde.
In Palästina stellten die Juden seit jeher rund 10 % der Bevölkerung dar.
Die Besiedelung solcher Gebiete ist in der neueren Geschichte keine Seltenheit (Australien, Amerika).
Die damalige mehrheitliche Bevölkerung Palästinas definierte ihre Identität als arabisch und nicht als palästinensisch.
Selbst die politischen Vertreter einiger arabischer Staaten, wie z. B. Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien, leugneten die Existenz von Palästina.
In der Welt wurde jahrzehntelang über palästinensische Flüchtlinge berichtet, während palästinensisches Volk noch kein Begriff war.
Die Juden fanden, dass sie ein historisches Anrecht hatten, sich auf diesem Gebiet niederzulassen, denn das war ursprünglich ihr Land, bevor sie vor rund 2.000 Jahren von den Römern vertrieben wurden – dies allerdings unter der Voraussetzung, dass den palästinensischen Arabern kein Nachteil daraus erwuchs.
Daraus ergibt sich die Kernfrage, nämlich: Wie viel Zeit darf vergehen, damit ein vertriebenes Volk das Recht behält, in das eigene Land zurückzukehren bzw. wie viel Zeit muss vergehen, damit das betreffende Volk das Recht auf die Rückkehr in die Heimat verliert?
Militärische Interventionen der arabischen Länder – ein wiederholtes Eigentor
Es gibt in der Geschichte Palästinas vielschichtige Themen, die es zu beleuchten gilt. Doch ich will hier insbesondere auf einen wesentlichen Faktor eingehen, nämlich auf die Reaktion der arabischen Welt auf den UN-Teilungsplan. Wären die arabischen Staaten damals vernünftiger (geschweige denn humaner) gewesen, so hätten sie das durch den Plan vorgesehene Israel ohne Säbelrasseln und Drohgebärden akzeptiert. Schließlich war das Land aufgrund seiner Größe und Bevölkerungsstruktur für sein Umfeld völlig unbedenklich. Eine solche Entscheidung wäre zum Vorteil aller gewesen, sowohl der jüdischen als auch der arabischen Bevölkerung.
Doch der Teufel bzw. Scheitan, wie auch immer, ließ den Arabern keine Ruhe. Als im Jahr 1948 der Staat Israel ausgerufen wurde, fielen noch am selben Tag fünf arabische Länder mit ihrem jeweiligen Heer in das Land ein, in der Absicht, dieses UN-Gebilde zu vernichten. Fast wäre ihnen dieses Vorhaben auch gelungen, doch gleichzeitig war es von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dies vor allem deswegen, weil es für die Juden, die vor der Verfolgung durch die Nazis geflohen oder nach dem Krieg als Holocaustüberlebende nach Palästina gekommen waren, keinen anderen Ausweg gab, als für ihr Überleben zu kämpfen. Sie führten einen verbitterten und scheinbar aussichtslosen Kampf gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Feind und gewannen dadurch die Sympathien der ganzen Welt.
Auf der anderen Seite kämpften die nicht vereinten arabischen Kräfte für ein Land, das nicht das ihre war, sie waren unmotiviert für diesen Kampf, und das Schicksal der arabischen Bevölkerung Palästinas war ihnen ebenfalls egal. Die palästinensischen Araber waren die Einzigen, die eigentlich hätten kämpfen sollen, doch sie hatten keine ausgeprägte nationale Identität, und es mangelte ihnen an Organisation. Fast ohne Widerstand zu leisten, wurden sie zu Flüchtlingen, und die ganze Welt behandelte sie jahrzehntelang als solche.
Die Folge dieser unüberlegten arabischen Intervention war, dass Israel sein Territorium im Vergleich zum UN-Teilungsplan um 40 % vergrößerte und auch Westjerusalem einnahm.
Im Jahr 1967 wiederholte sich die Geschichte, ohne dass man daraus gelernt hatte. In der Überzeugung, militärisch deutlich stärker als Israel zu sein, provozierten die arabischen Länder einen Krieg, der durch die rundum propagierte Absicht „die Juden ins Meer zu werfen“ (sic!) angeheizt wurde. Die Folge: Israel eroberte auch Ostjerusalem, das Westjordanland und die strategisch wichtigen Golanhöhen in Syrien – Gebiete, die sich bis heute unter israelischer Kontrolle befinden.
Die politisch-militärischen Schritte der arabischen Länder waren sowohl 1948 als auch 1967 gelinde gesagt höchst seltsam. Deren Folgen waren nicht zugunsten der Palästinenser, sondern eigentlich zu ihrem Schaden, fast so, als hätten die arabischen Länder im Auftrag der CIA und nicht in eigenem Sinne gehandelt. Die palästinensische Nakba (zu Deutsch: Katastrophe) besteht nicht nur in der Flucht und Vertreibung der arabischen Bevölkerung Palästinas infolge des Krieges 1948, sondern vielmehr in der schändlichen Rolle, die die arabischen Staaten in dieser Tragödie gespielt haben und immer noch spielen.
Allen voran ist dabei der damalige Emir von Transjordanien, Abdallah ibn Husein, zu nennen, der die palästinensischen Araber verriet, indem er während des Krieges 1948 mit Unterstützung der Briten mit der israelischen Politikerin Golda Meir Verhandlungen über eine Teilung Palästinas führte und einen Großteil des britischen Mandatsgebiets Palästina seinem Königreich Jordanien einverleibte. Aus diesen Gründen fiel er bereits im Juli 1951 einem Attentat zum Opfer.
Möglicherweise ist es aber auch so, dass jemand es so wollte und immer noch will, dass Palästina ein Dauerkriegsherd bleibt und dort niemals Frieden einkehrt, unabhängig davon, was die Juden oder die Araber auch tun.
Die Palästinenser als Zukunftsträger in der arabischen Welt
Die fürchterlichen Folgen der Kriege für die arabische Bevölkerung Palästinas haben auch einige positive Entwicklungen begünstigt:
Bei den damaligen Flüchtlingen bildete sich eine eigene Identität heraus, und sie wurden zum palästinensischen Volk, was zum Teil dadurch bedingt war, dass die Gegenseite, vor allem Israel, ihre Existenz leugnete.
Nachdem sie vor rund 2.000 Jahren von den Römern aus ihrem Land vertrieben worden waren, mussten die Juden, in der ganzen Welt zerstreut, für ihr nacktes Überleben kämpfen und wurden notgedrungen zu richtigen Lebenskünstlern. So ähnlich wurden die Palästinenser in der größten Not zu jenem Volk, das die höchste Bildung unter den arabischen Völkern aufweist. 97 % der Palästinenser können gut lesen und schreiben. Aus dem palästinensischen Volk sind Intellektuelle wie Edward Said (Literaturtheoretiker und Aktivist), Ghada Karmi (Medizinwissenschaftlerin, Gelehrte und Schriftstellerin), Emil Habibi (Schriftsteller und Politiker), Ibrahim Nasrallah (Dichter, Schriftsteller, Politiker), Areen Omari (Schauspielerin und Produzentin) u. v. a. m. hervorgegangen.
Das weitere Schicksal der Palästinenser wird in großem Maße davon abhängen, ob sie wahrhaftig selbstständig werden, d. h. ob sie die Fäden in die eigene Hand nehmen und aufhören, als Marionetten der arabischen Länder zu fungieren. Doch selbst wenn sie das tun und eigenständig entscheiden, was sie für das Beste halten, wird die Zukunft der Palästinenser ungewiss bleiben, denn alle Bemühungen und Errungenschaften dieses Volkes werden zunichte sein, wenn ihm Israel und die globalen Großmächte die Gründung eines eigenen Staates Palästina nicht ermöglichen.
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