Die Frage entsteht: Wie stellten sich die Grafen, die doch die nächstoberste Macht im Lande waren, zu all diesen Übergriffen? Waren sie nie zur Hand, um die Städte gegen den Adel, und nie zur Hand, um den Adel gegen die Städte zu schützen? Es scheint, daß ihnen früh der Zügel der Herrschaft entfiel; mühsam sich selber bei Ansehen haltend, waren sie viel zu schwach, um in jedem gegebenen Falle, gleichviel nun, wie sich die Rollen tauschten, das Recht des Schwächeren gegen den Stärkeren wahrzunehmen.
Schutz und Ordnung kamen erst in diesen Landesteil, als ein neues, lebendiges Regiment an die Stelle des alten, hinfälligen trat, mit andern Worten, als die Hohenzollern – nach dem Tode des letzten Grafen, Wichmann – das Ruppiner Land als Lehn einzogen und sich selber als die Herren desselben etablierten. Dies war 1524, wie wir gesehen.
Es kam nun ein Jahrhundert rasch wachsender Prosperität. Die Stadt wußte sich den Hohenzollern zu verpflichten und empfing dafür, neben der Bestätigung alter Privilegien, neue Freiheiten und Vorrechte. Die Zünfte und Innungen waren stark besetzt, und Handel und Verkehr blühten unter den Joachims, wie es die Stadt nie vordem gekannt hatte. Der Dreißigjährige Krieg, der wenige Jahrzehnte später dem allem ein Ende machte, warf keine voraufziehenden Schatten in die Ruppiner Gemüter, ahnungslos lebte jeder dem Augenblick, und an die Stelle der kriegerischen Erregtheit, in die einst die nachbarlichen Fehden die guten Bürger von Ruppin versetzt hatten, traten jetzt die friedlicheren Aufregungen, zu denen abwechselnd eine Predigt gegen die Pluderhosen oder eine dem Kurfürsten zu leistende »Huldigung« einen immer erwünschten Anlaß gaben.
Die erste Huldigung, die Stadt und Grafschaft nach dem Tode des letzten Grafen (1524) dem damaligen Kurprinzen Joachim darbrachten, war entweder von besonderer Nüchternheit, oder die Aufzeichnung faßte sich allzu kurz. Desto mehr erfahren wir über die Huldigung, die, gegen Ausgang desselben Jahrhunderts, die Ruppiner dem Kurfürsten Joachim Friedrich leisteten. Kaspar Witte, einer der beiden Bürgermeister, hat den Hergang selbst beschrieben. Es heißt darin:
Am 23. Juni 1598 kamen der Kurfürst samt Gemahlin zur Huldigung nach Neuruppin; mit ihnen waren die Kanzlei und der Hofstaat. Der ganze alte und neue Rat, dazu die Deputierten von Wusterhausen und Gransee, von Lindow, Zehdenick und Alten-Ruppin, als sie hörten, daß der kurfürstliche Zug die Grenze überschritten habe, fuhren auf dreien Wagen bis an den Egelpfuhl, um daselbst Seine Durchlaucht zu begrüßen. Nachdem sie zwei Stunden gewartet hatten, kam der Kurfürst. Der Rat und die Deputierten gingen ihm vierzehn bis sechzehn Schritte entgegen. Er gab jedem die Hand. Der Kanzler Johann von Löben (der Schwiegervater des später so berühmt gewordenen Konrad von Burgsdorf) stellte sich darauf neben den Wagen, und der regierende Bürgermeister, Andreas Berlin, hielt eine lange Rede und überreichte die Schlüssel der Stadt. Der Kanzler antwortete in einer kurzen Rede. Nun bewegte sich der Zug langsam in die Stadt. Der Magistrat und die Deputierten begleiteten den kurfürstlichen Wagen auf beiden Seiten zu Fuß, ungeachtet es stark regnete , wofür sie aber durch die Unterhaltung mit Seiner Durchlaucht schadlos gehalten wurden. Vom Rosengarten bis zum Rathause stand die Bürgerschaft in zwei Reihen, unter ihnen 150 »Buntröcke« oder Soldaten, welche Ehrenschüsse taten. Darauf speiste der Kurfürst samt seiner Gemahlin auf dem Rathause; ihnen zunächst saßen die beiden durchnäßten Bürgermeister, Andreas Berlin und Kaspar Witte. Es herrschte ein heiterer, ungezwungener Ton, und Graf Hunert von Zerbst, der dazumalen kurfürstlicher Hauptmann auf dem Seeschloß von Alt Ruppin war, »brachte viel Scherz und launige Rede an, von Jungfern und Frauen, von Ehebrecherei und anderer Löffelei«. (Unser Gewährsmann Bratring, dem wir diese Stelle entnehmen, bemerkt dazu vorwurfsvoll, daß angenehme Zweideutigkeiten also auch damals schon in gebildeter Gesellschaft betroffen worden seien.)
Die Anwesenheit des kurfürstlichen Paares dauerte zwei Tage. »Der Magistrat hatte die sämtliche Dienerschaft beschenkt, zugleich aber mit allen Köchen und Kammerknechten sich gezankt«, und war deshalb froh, als am dritten Tage die Huldigungsfeierlichkeiten vorüber waren.
Wenn Bürgermeister und Deputierte, wie wir aus dieser Kaspar Witteschen Relation ersehen, sich mit »Köchen und Kammerknechten zankten«, so stiegen sie, in besonderer Erwägung dessen, was es damals mit dem Ruppiner Magistrat auf sich hatte, eigentlich tief unter sich selbst herab, denn nach andern Berichten, die uns vorliegen, hatte Ruppin, etwa um dieselbe Zeit, wo Joachim Friedrich zur Huldigung erschien, nicht mehr und nicht weniger als sein augusteisches Zeitalter. Die Stadt, so bemerkt der Chronist, trat eben damals in eine Periode ein, die wir mit Recht die gelehrte nennen dürfen. Der Adel, in dessen Händen bis dahin sich die vorzüglichsten Magistratsstellen befunden hatten, ging auf seine nachbarlichen Güter zurück, und statt seiner nahmen »gelehrte und berühmte Männer« die erledigten Sitze ein. Ruppin entfaltete sich zu einem Beschützer der Musen und freien Künste, und die Kämmereiregister aus dem Schluß des sechzehnten Jahrhunderts geben uns Auskunft darüber, in welcher Weise das Mäzenatentum der Stadt damals nachgesucht und betätigt wurde. Im Jahre 1573 überschickte Nikolaus Rensperger, Künstler und Mathematiker zu Halle, einen geschickt gearbeiteten Quadranten und empfing »dreiunddreißig Groschen« nebst einem Dankesschreiben – die meisten Arbeiten aber, die eingingen, waren literarisch-theologischer Natur und wurden in artigster Form entgegengenommen. Petrus Sinapius aus Garz schickte sein gelehrtes Carmen »de Sanctis Angelis« (1580), Balthasar Leutinger überreichte 1585 sein Werk »de principio theologico«. Die Honorare, die zur »Ermunterung ferneren Fleißes« bewilligt wurden, waren nicht bedeutend, Petrus Sinapius erhielt zwei Gulden sieben Groschen, Balthasar Leutinger einen Golden und elf Groschen; wie bescheiden aber auch diese Ehrensolde sein mochten, sie hatten ihren Wert und ihre Bedeutung in der Vergleichung untereinander . Die eigentlichen belles lettres, so scheint es, kamen schon damals zu kurz, und George Pondo, der, unter dem Titel »Der Knabenspiegel«, eine Komödie zu überreichen wagte, erhielt seine Arbeit zurückgesandt unter einfacher Beifügung von sechs Groschen.
Wie seltsam diese Dinge, besonders auch diese Summen, uns heutigen Tages erscheinen mögen, sie waren weder kleinlich noch komisch zu ihrer Zeit, und das gelehrte Ruppin von 1570, indem es auf ein halbes Jahrhundert in den Rang und Reigen deutscher Universitätsstädte eintrat, genoß vorübergehend die Ehren eines literarischen Tribunals. Erst der Dreißigjährige Krieg machte dem allem ein Ende. Einzelnes aus jener Unglücksepoche geh ich später, namentlich in dem Kapitel »Gottberg«.
4. Andreas Fromm
Hispan'sche Mönche, öffnet mir die Tür!...
Laßt hier mich ruhn, bis Glockenton mich weckt.
Platen
In der Epoche des »gelehrten Ruppin« war es, daß Andreas Fromm, nicht der gekannteste, aber höchstwahrscheinlich der gelehrteste Mann, den die Ruppiner Lande hervorgebracht haben, um 1615 geboren wurde, nach einigen in der Stadt Ruppin selbst, nach andern in dem benachbarten Dorfe Plänitz. Ich lasse gleich eingangs folgen, was ich über den Lebensgang dieses mit der Kirchengeschichte der Mark in engem Zusammenhange stehenden Mannes in Erfahrung bringen konnte. Dieser Lebensgang, wie fast immer bei Künstlern und Gelehrten, zeigt im großen und ganzen keine Verkettung äußerlich interessanter Lebensschicksale. Fromms hervorragende Teilnahme jedoch an den theologischen Streitigkeiten der Paul-Gerhardt-Zeit, sein Übertritt zum Katholizismus, um diesen Streitigkeiten zu entgehen, endlich seine angebliche, wenn auch durchaus nicht erwiesene Verfasserschaft der »Lehninschen Weissagung« machen sein Leben zu einem Gegenstande, der Anspruch darauf hat, an dieser Stelle beschrieben zu werden.
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