Doch es gab ein winziges Hindernis. Um zu dieser Erfahrung zu gelangen, musste man den konventionellen Orgasmus hinter sich lassen. Leider ging Pauls wilde und verrückte Seite nicht über gelegentliche seltsame Begegnungen auf Partys hinaus, und er hatte definitiv kein Interesse daran, unkonventionellen Sex zu erkunden. Kurz darauf ging ich nach Europa. Schon wieder wurden meine Pläne durchkreuzt.
In meiner nächsten Inkarnation möchte ich mein Leben rückwärts leben. Man beginnt mit dem Tod und hat das schon mal hinter sich. Dann erwacht man in einem Altersheim, und es geht einem von Tag zu Tag besser. Man wird schließlich dort rausgeworfen, weil man zu gesund ist, man bekommt seine Pension, und wenn man dann anfängt zu arbeiten, bekommt man eine goldene Armbanduhr geschenkt und direkt eine Party zur Begrüßung. Dann arbeitet man vierzig Jahre lang, bis man jung genug ist, sich zurückzuziehen. Man geht auf Partys, trinkt Alkohol und schläft sich durch diverse Betten, bis man reif für die höhere Schule ist. Danach besucht man die Grundschule, wird ein Kind und spielt. Man hat keine Verantwortung und wird zum Baby, bis man geboren wird. Die letzten neun Monate verbringt man dann, indem man unter luxuriösen, kurortsähnlichen Umständen in warmem Wasser liegt, mit Zentralheizung und Zimmerservice auf Knopfdruck, von Tag zu Tag mehr Platz hat und schließlich … Voilà! Endet man als Orgasmus! Noch Fragen?
Woody Allen
Das Buch zum Taoismus landete wieder im Regal, doch innerhalb der nächsten zwei Jahre nahm mein Leben eine radikale Wendung. Ich lehnte eine Beförderung zum Hauptsitz meiner Firma ab, um mich weiter meinen spirituellen Studien zu widmen. Das überraschte vor allem die, die mich gut kannten, denn ich war wohl kaum eine Kandidatin für einen asketischen Lebensstil. Außerdem war ich seit meinem zwölften Lebensjahr eine Erz-Atheistin – damals hatte ich etwas über Sklavenschiffe und Konzentrationslager gelernt und entschieden, dass kein Gott jemals erlauben könne, dass so etwas geschieht.
Ich hatte jedoch ein paar Jahre zuvor durch eine unerwartete Konstellation der Umstände ein Seminar besucht, den „Silva Mind Control-Kurs“. Es war mein erster Kontakt mit der Vorstellung, dass unsere Gedanken, Überzeugungen und Erwartungen unsere Erfahrung prägen, ein Konzept, das ich sehr schnell als Quatsch abtat. Um es mir selbst zu beweisen, versuchte ich ziemlich halbherzig eine Technik der Entspannungsaffirmation, und war regelrecht verärgert, als es funktionierte. Der Stresskopfschmerz, der mich seit Jahren geplagt hatte, hörte einfach auf. Es ärgerte mich, doch ich kaufte trotzdem ein Buch über kreative Visualisierung – und meine Einstellung verschob sich allmählich von Zynismus zu Optimismus, so wie ich produktiver und glücklicher wurde. Meine Beziehungen wurden liebevoller, blieben jedoch gleichbleibend zerbrechlich. Es schien so, als hätte ich noch mehr innere Arbeit zu leisten.
Unterdessen stellte ich fest, dass ich in größeren Zusammenhängen zu denken begann, die schließlich weit genug wurden, um sowohl die Evolution als auch eine Vorstellung des Göttlichen zu umfassen (wodurch ich zu Richard Dawkins schlimmstem Albtraum wurde). Ich begann die Schöpfung als eine Art explodierenden Wolkenpilz nicht endender Kreativität zu sehen, mit einer unendlichen Anzahl von Existenzebenen, die alle einzigartig sind. Was wäre, wenn wir göttliche Funken innerhalb dieses großen, wohlgesonnenen und doch unpersönlichen Kaleidoskops die Freiheit hätten, jedes kollektive Experiment vorzunehmen, das wir uns aussuchen?
Besonders fasziniert hat mich die Theorie, dass wir Menschen auf einer unbewussten Ebene Aspekte unserer kollektiven Erfahrung mit unseren Überzeugungen prägen. Wenn ich mir die Ungerechtigkeiten auf unserem Planeten so anschaute oder auch unsere Gewohnheiten, nicht erneuerbare Energien zu verwenden, oder ständig über irgendetwas zu schimpfen, dann konnte ich nachvollziehen, dass wir wohl einige regelrecht selbstsabotierende Gedanken haben mussten, wenn die Theorie stimmt. Konnte es sein, dass unsere Gedanken Mangel erschufen, Abwehr, Gier, kurzsichtiges Denken sowie ein ungutes Verhältnis zwischen den Geschlechtern? Und wenn ja, wer dachte dann all diese kontraproduktiven Gedanken?
Gleichzeitig war ich fest entschlossen, zu überprüfen, ob die ganzen Versprechungen in meinen heiligen Texten irgendeinen Wert hatten. Konnten Partner durch die Vermeidung von sexueller Übersättigung ihre intimen Beziehungen wirklich dazu nutzen, um Gefühle der Fülle zu erzeugen, Vollständigkeit, Optimismus, stabile Zuneigung und ein erweitertes Bewusstsein? Könnte die Menschheit eine neue Erfahrung kreieren, wenn dies alles stimmte?
Es kam mir damals noch nicht in den Sinn, dass wir die ganze Abwehr, die Angst und den Mangel, die mich so irritieren, unbeabsichtigt überhaupt erst erzeugten, indem wir einander zur sexuellen Übersättigung und Fortpflanzung nutzen.
„[Laut den alten Chinesen] sollte man den Orgasmus nicht mit unserem normalen Zustand vergleichen, sondern eher mit unserem postkoitalen Zustand … Der Coitus Reservatus wird dann nicht als unerträglicher Drang oder Druck erfahren, sondern als Vollständigkeit und Kraft.“ 34
Doña Quijote macht sich auf den Weg
Eine faszinierende Reise hatte begonnen. Sie war jedoch nicht ohne Hindernisse. Ich entdeckte schnell, dass es selbst mit den besten Absichten nicht so einfach ist, sexuelle Gewohnheiten hinter sich zu lassen. Meinen ersten Versuch, den Code zu knacken, unternahm ich mit Alex, den ich auf einem Workshop bei einer spirituellen Gemeinschaft in Schottland kennengelernt hatte. Er war ein zutiefst spiritueller Mann, der eine Auszeit von seiner psychologischen Praxis nahm, um von Kanada aus um die Welt zu reisen und verschiedene inspirierende Orte zu besuchen. Nach dem Seminar fuhren wir gemeinsam nach Belgien zu mir nach Hause.
Haben Sie niemals Angst, etwas Neues auszuprobieren. Denken Sie daran: Amateure haben die Arche Noah gebaut, Profis die Titanic.
Ich holte mein verstaubtes taoistisches Buch über Liebe und Sexualität aus dem Regal und wir versuchten uns daran, Geschlechtsverkehr ohne Ejakulation zu haben. Der Autor des Buches glaubte nämlich, dass Samenverlust, nicht der Orgasmus, der Hauptnachteil von konventionellem Sex sei. Ich vertraute entsprechend darauf, dass es ein Thema des Mannes war und der weibliche Orgasmus ungefährlich. Damals wusste ich es einfach nicht besser – noch nicht.
In dem Buch standen jede Menge Tipps, wie Männer ihren Drang zur Ejakulation überwinden können. Es empfahl, die Muskeln um die Prostata anzuspannen, die Zähne zusammenzubeißen, Atemzüge zu zählen und andere ziemlich heftige Techniken – die, wie ich später lernte, alle nicht annähernd so effektiv oder gesund sind wie ein langsamerer, entspannterer Zugang zum Geschlechtsverkehr.
Jedenfalls bestand Alex darauf, dass er keinerlei Anweisungen brauchte. Doch wenn wir uns liebten, war es wie immer. Sprich, er ejakulierte. Und über die nächsten Tage passierte genau das Gleiche, trotz seiner ehrlichen Absicht, den Orgasmus zu vermeiden.
Ich schlug immer wieder vor, dass er doch das Buch lesen solle, aber er wurde immer gereizter. Als ich darauf hinwies, dass laut dem Buch seine Gereiztheit das Resultat der Orgasmen sein könnte, rastete er total aus.
„Du bist verrückt, wenn du mir erzählen willst, dass die Ejakulation einen negativen Einfluss auf Männer hat!“ bellte er mich an. „Ich bin Psychologe. Wenn das der Fall wäre, müsste ich es wissen. Wenn du weiter so ein Zeug redest, landest du in der Psychiatrie … da kannst du es deinem Arzt erklären!“
Ich sah ein, dass weiteres Argumentieren die Sache nur noch verschlimmern würde, und ich dachte, wie schön es wäre, wenn er einfach gehen und in den nächsten Zug steigen würde! Ich übte mich in eisigem Schweigen. Schließlich explodierte er: „Ich sehe, dass du offenbar kein Wort mehr mit mir sprichst, bis ich dieses Buch gelesen habe!“
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