Schnell wurde deutlich, dass sowohl aktive Bewegung als auch tägliche Meditation und auch HRV-Biofeedback sehr positive Effekte auf die verschiedenen stressbedingten Symptome zeigte, wie Gefühle der Niedergeschlagenheit, Ängste, schlechte Schlafqualität und Affektregulation. Die Studie wurde in der Zeitschrift Applied Psychophysiology and Biofeedback publiziert (Van der Zwan, De Vente, Huizink, Bögels, De Bruin, 2015). Interessant war dabei, dass tägliche aktive Bewegung einen genauso großen oder sogar größeren Effekt auf die Ausprägung des achtsamen Bewusstseins und des Selbstmitgefühls hatte wie tägliche Meditation. Dieses Ergebnis wurde in der Zeitschrift Mindfulness publiziert (De Bruin, Van der Zwan, Bögels, 2016).
So hatten wir Klarheit darüber gewonnen, dass wir bei den nächsten Schritten die positiven Effekte von bewusster aktiver Bewegung und Achtsamkeitsmeditation kombinieren wollten. Yoga war dabei eine logische Ergänzung, da es ein Standardelement in der klassischen Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) und der Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT) ist und einen schönen Übergang von der Komponente der bewussten aktiven Bewegung (mit körperlichem Training unter freiem Himmel) zu den Achtsamkeitsmeditationen im Trainingsraum bildete. Als die ersten Ideen standen, ging die Entwicklung des Programms Mindful2Work zügig voran. Und als wir Autorinnen und viele andere Mitglieder des Mindful2Work-Teams uns schließlich gefunden hatten, entstand eine Mischung aus Begeisterung und Überzeugung, aus Freundlichkeit und Kraft, Engagement und Freude. Zwischendurch gab es – wie wahrscheinlich immer im Leben –persönliche und auch arbeitsbedingte Enttäuschungen und Herausforderungen, aber nichts hielt uns davon ab, das Programm Mindful2Work fertigzustellen.
Für mich (Esther de Bruin) liegt einer der Samen des Programms Mindful2Work in einer ganz anderen Zeit, in der ich mich mit Achtsamkeit noch nicht so gut auskannte. Wenn ich nach einem langen Arbeitstag müde und gestresst nach Hause kam, wollte ich mich nach dem Essen und nachdem ich meine Kinder ins Bett gebracht hatte, einfach nur aufs Sofa legen. Meistens stand dann aber mein energisches Ich wieder auf und schleppte mich ins Fitness-Studio zum Spinning. Ich wusste und spürte, dass Sport gut für mich war, und wegen meines anstrengenden Arbeits- und Privatlebens mit einer jungen Familie »musste« das sowohl effektiv (Kompensation für die übermäßige Kalorienzufuhr bei meiner sitzenden Tätigkeit) als auch effizient sein (wegen meiner begrenzten Zeit). Spinning erfüllte beide Kriterien! Und am liebsten wollte ich den Sport auch noch mit sozialen Aktivitäten kombinieren. Ich ging mit einer Freundin hin und schlug so zwei Fliegen mit einer Klappe. Und tatsächlich bemerkte ich, dass es einen großen – wenn auch kurzfristigen – Effekt hatte.
Die körperliche Anstrengung beim Spinning ist so groß, dass ich dabei alle Aufmerksamkeit auf meinen Körper richten musste und meine Gedanken und mein Geist sich fast automatisch beruhigten, der Sturm in meinem Geist legte sich sozusagen, während mein Körper Energie verbrauchte. Obwohl ich am Ende einer solchen Spinning-Einheit sehr müde war, fühlte ich mich geistig mit neuer Energie versorgt, entstand Raum in meinem Kopf und Inspiration für neue Dinge, sodass ich anschließend meinen Arbeitslaptop wieder öffnete, um mit überschäumendem Eifer etwas auszuarbeiten. Das war die kurzfristige Wirkung, die mir die intensive körperliche Aktivität einbrachte und ab und zu noch einbringt. Allerdings fiel mir dabei auch auf, dass diese Wirkung, so wunderbar sie auch war, nie lange andauerte. Es fühlte sich an, als wäre mehr nötig. Mein effizientes Ich hatte das Gefühl, dass man da noch mehr rausholen könnte.
Eines Tages blieb mein Blick an einem Poster hängen, das an der Tür hinten im Spinning-Raum hing: Eine Frau in Sportkleidung, die meditierte. Im Raum dahinter schien direkt nach der Spinning-Stunde eine »Meditations- und Yoga-Stunde« stattzufinden. Zwei verschiedene Inhalte und Trainerinnen, die ansonsten nichts miteinander zu tun hatten. Damals kannte ich mich mit Sport besser aus als mit Meditation, aber meine Neugier war sofort geweckt. Nicht nur für die »Meditations- und Yoga-Stunde«, sondern vor allem dafür, dies direkt anschließend an die Spinning-Stunde zu machen. Noch schwitzend ging ich in den angrenzenden Raum. Und dies war der Samen für Mindful2Work, von der Bewegung im Freien zur Bewegung im Trainingsraum, von der Aktivität zur Ruhe, von der Leistung zum Gefühl, von der Anspannung zur Entspannung.
In derselben Zeit entstand bei mir (Anne Formsma) in einem Fitnessstudio in der Nähe dieselbe Idee. Auch ich ging regelmäßig nach der Arbeit noch für ein intensives Training ins Studio. Ehrgeizig wie ich bin, trainierte ich so, dass ich ständig an meine Grenzen kam und verschob diese dabei immer weiter. Ich tat dies mit der Vorstellung, dass es gut für mich war. Aber obwohl ich regelmäßig Sport machte, hatte es nicht die Wirkung, die ich mir davon erhoffte. Zunächst war ich voller Energie, aber dann auch sehr bald wieder erschöpft. Ich begann darüber nachzudenken. War so viel überhaupt gut für mich? Mir wurde bewusst, dass ich den Sport über meinen Kopf (meinen Willen) betrieb, anstatt auf meinen Körper zu hören. Als ich mich näher mit den Effekten von Sport zu beschäftigen begann, wurde mir klar, dass die bekannte Formel »Sport hält fit« nicht ohne Randbemerkungen auskommt. Sport erzeugt Energie, verbraucht aber auch Energie. Besonders, wenn wir schon erschöpft sind, ist es relevant, in welchem Umfang wir Sport treiben. Von dem Moment an, als mir dies klar wurde, ging ich anders an den Sport heran. Ich richtete mich danach, wie ich mich fühlte und was gut für meinen Körper war, statt danach, was ich mir in Gedanken (in meinem Kopf) ausgemalt hatte.
Von diesem Moment an machte ich nach dem Sport immer noch ein wenig Yoga, sodass mein System wieder zur Ruhe kam. Und ich bemerkte, dass ich so mehr Energie tankte und vitaler wurde. Ich erlebte, dass achtsamer Sport und anschließendes Yoga für etwas Größeres standen. Aus dem Körper heraus leben, statt aus dem Kopf. Auf die eigenen Grenzen hören dürfen und die eigene Freundin sein dürfen. Nah bei mir selbst bleiben dürfen und tun, was sich wirklich gut anfühlt. Ausgeglichen leben, wobei sich Anstrengung und Entspannung abwechseln. Ich bin dankbar dafür, dass wir unseren Teilnehmenden dieses Prinzip mit dem Programm Mindful2Work vermitteln können.
Bei mir (Susan Bögels) war es in dieser Zeit um die Bewegung weniger gut gestellt. In meinem Kopf war ich noch immer eine Sportlerin, aber in Wirklichkeit hatte ich nach der Geburt meines letzten Kindes vor zehn Jahren aufgehört, Sport zu treiben und verbrachte den ganzen Tag hinter meinem Computer. Die einzige Bewegungseinheit bestand aus einem Spaziergang zum Kaffee-Automaten und zum Drucker und der Fahrt auf dem Fahrrad zur Arbeit. Die Arbeit war zum Sport geworden. Probleme bei der Blasenkontrolle und die Wechseljahre halfen auch nicht wirklich dabei, dass ich mich wieder aktiv bewegte, mein Körper schien abgeschrieben, während mein Geist auf vollen Touren arbeitete. Immerhin meditierte ich regelmäßig und machte Yoga am Strand, aber das war auch schon alles. Als ich an einem Workshop von Anne Formsma für Betriebsärzte teilnehmen sollte, um das Programm Mindful2Work aus der Vogelperspektive kennenzulernen, fand ich ganz unten im Schrank meine Sportschuhe und den Trainingsanzug, den ich schon jahrelang nicht mehr benutzt hatte und der komplett aus der Mode war. »Kann ich überhaupt noch joggen?«, fragte ich mich nervös. In dem kleinen Park mitten in der hektischen Stadt, wo Anne uns anleitete, zwei Runden achtsam zu laufen, jeder in seinem Tempo, im Bewusstsein unserer Grenzen, und ich mich bei den Langsamsten wiederfand, spürte ich, wie die frische Morgenluft in meine Lungen strömte, die ersten Sonnenstrahlen auf meine Haut fielen, als ich von den Geräuschen der erwachenden Stadt umringt war, und ich jubelte innerlich: Mein Körper funktioniert noch! Nach diesen zwei Runden im Park fielen mir die anschließenden Bewegungsübungen nicht schwer. Wir standen zusammen im Kreis und bewegten uns gemeinsam, die Sonne fiel glitzernd durch die Bäume und unsere Schatten auf das Gras und ich fühlte mich glücklich und verbunden. Dann ging die Bewegung in Yoga über, von draußen nach drinnen. Und das Körpergefühl war so intensiv, nach der aktiven Bewegung in der frischen Luft, jetzt in der stillen Yoga-Haltung in der angenehmen Wärme und im Schutz des Achtsamkeitsraumes, auf meiner weichen Matte. Und wie still wurde es anschließend in und um mich herum während der Meditation, ein ganz neues Gefühl trotz der jahrelangen Meditationserfahrung. In diesem Moment wurde in mir der Samen für achtsame Bewegung gepflanzt, auf diese Weise gewann ich neues Vertrauen in meinen Körper. Inzwischen spiele ich wieder regelmäßig Tennis, gehe ich zum Yoga. Mein Körper ist wieder wach und im Gleichgewicht mit meinem Geist.
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