Auf diesem Zuge lagerten wir einmal in einer schönen Sommernacht an einem großen Schlosse, das schon seit langer Zeit nicht mehr bewohnt schien. Die alten, zackigen Türme warfen im Mondschein lange Schatten über den wüsten Schloßgarten, wo wir lagen und unsere Pferde an die verwilderten Hecken angebunden hatten. Es war alles still in der ganzen Gegend, von Zeit zu Zeit hörte man die Pferde schnauben und die Wachen anrufen aus der Ferne, im Walde schlugen die Nachtigallen, als gäb' es keinen Krieg in der Welt. – Der Rittmeister, der den Zug führte, ein heiterer Gaskogner, lag rücklings auf seinen Mantel ausgestreckt, ich glaubte, er schliefe, er hatte aber, wie er mir nachher sagte, an seine ferne, schöne Heimat gedacht. Auch richtete er sich gleich darauf schnell und rüstig wieder auf. »Hier ist nicht Zeit zum Träumen«, meinte er, »wir müssen auf unserer Hut sein heut' nacht, denn das ist das Schloß der wilden Spanierin.« Und als ich fragte, wer die sei, benutzte er die Gelegenheit, sich munter zu erhalten, und erzählte mir alles ausführlich.
»In diesem Schlosse«, sagte er, »wohnte ehedem ein Graf aus uraltem Stamm, der nach und nach wohl sich zu beugen verlernt haben mochte. Wenigstens soll der Graf früher den Anforderungen des alten Hofes jederzeit trotzigen Stolz entgegengesetzt haben bis zu wechselseitiger, bitterer Verstimmung; um so mehr durfte man voraussetzen, daß er der neuen Ordnung der Dinge geneigt sei. Auch fanden ihn die Unsrigen, als sie das Land überzogen, einsam auf seinem Schlosse, höflich, aber finster und, wie es schien, ohne alle Teilnahme an dem, was hinter seinen Bergen vorging. Seine größte Freude war ein Töchterchen, sein einziges Kind, bei dessen Geburt die Mutter gestorben. Mit ihr pflegte er, wenn alles schon schlief, die Zinne des Schlosses zu besteigen, und zeigte ihr das Land, das ehemals ihre Ahnen beherrscht, so weit der Mond die Wälder beleuchtete, und erzählte ihr halbe Nächte hindurch von der alten, großen Zeit und der fürstlichen Freiheit, die sich dem Zwang der Städte nicht unterwerfe. Unter solchen Träumen wuchs das Fräulein auf, und da der Krieg alles vereinzelte, so sah sie fast kein anderes Frauenzimmer als ihre alte Amme, ein hexenhaftes Weib, das von ihrem Vater, einem Zigeuner, und ihrer Mutter, einer gefangenen Araberin, manch Zauberstückchen ererbt hatte, woran die Tradition dieser Stämme so reich ist.
Aber unseren Leuten blieb die junge Gräfin nicht lange verborgen, und die sie sahen, konnten nicht genug erzählen, wie wunderbar schön sie war: schwarze Locken, bleich mit brennendrotem Munde, die Augen wie ein dunkeler Abgrund. Täglich nun flimmerte es von französischen Offizieren auf dem Schlosse. Das gefiel ihr wohl, sie ritt und focht mit ihnen und war der beste Schütz auf der Jagd, sooft aber einer näher trat mit verliebten Blicken oder Worten, sah sie ihn verwundert an und wußte nicht, was er wollte, allen gleich fern und fremd, wie ein Stern in kalter Winternacht. Das verlockte aber die lustigen Gesellen nur noch immer mehr aufs Glatteis, und ein hübscher, junger Unterlieutenant – St. Val war sein Name -, der soeben erst aus der Militärschule von Paris angekommen war und davon hörte, verschwor sich mörderlich, sie müßte sein werden, oder er wollte des Teufels sein!
Unterdes wurden die Plänkeleien in der Gegend immer ernster, die Offiziere hatten vollauf zu tun und blieben aus, da konnte sich die Gräfin gar nicht wiederfinden in die alte Einsamkeit und das einförmige Rauschen der Wälder. – So stand sie auch eines Abends allein mit der Amme vor dem Schloß. Der Krieg ging unten wie eine lustige Jagd durch die Berge, zuweilen sahen sie fern in der Abendsonne ein Geschwader von Reitern aufblitzen, einzelne Trompeten klangen herüber, dann verhallte und verdunkelte nach und nach alles wieder, nur die Flammen brennender Dörfer blieben am Horizonte stehn. Die Gräfin sah lange stumm und unverwandt in das ferne Feuer, dann brach sie still in Weinen aus und sagte für sich: »Wie ist das herrlich! Ach, daß ich kein Mann geworden bin! ihnen gehört alles, sie regieren die Welt.« – Die kluge Amme erwiderte: »Desto besser, Kind, desto besser, denn die Frauen regieren wieder die Männer.« – »Wieso?« – sagte die Gräfin und sah sie groß an, daß ihr die Tränen funkelnd in den schönen Augen stockten. – »Nun, nun«, antwortete die Alte, »kein schlanker Tiger verwundet so tief, als wenn ihr lacht und ihnen die weißen Zähnchen weist oder einen beim Küssen heimlich damit beißt; keine buntgefleckte Schlange ist so schön und stark, als eure Arme, wenn ihr einen umschlingt.« – Die Gräfin hörte nur halb darauf und sagte wie in Gedanken: »Darum habe ich immer in den alten Büchern meines Vaters gelesen, wie Fürsten und Könige vor Mädchen knieten und ihnen treu und gehorsam waren bis in den Tod. – Ach, liebe Amme, du weißt so viele Künste von deinem Vater, kannst du denn nicht machen, daß alle Männer, die mich sehen, in Liebe entbrennen und mir folgen müssen?« – »Hm«, entgegnete die Amme zögernd, »wenn nur – ich wüßte wohl «
Die Gräfin aber, deren Seele ganz erfüllt war von dem Gedanken, hatte sie schon am Arm gefaßt und drängte sie ungeduldig fort: die Nacht sei dunkel und schwül, alles schlafe schon im Schloß, es sei eben die rechte Zeit. – So gingen sie weiter den stillen Garten entlang bis ans einsamste Ende. Unterwegs sagte die Amme: »Es ist nichts Geringes, dem Freier, den ich Euch zuerst zeigen werde, müßt Ihr den Ring vom Finger ziehn – aber laßt's Euch nicht anfechten, wann er etwas bleich und wirre sieht – den Ring drückt Ihr ans Herz bis es blutet, dann ist Euer Herz liebefest, und Eure Augen werden schön funkeln wie der Stein im Ringe, der arme Junge aber muß sterben.« – Hier waren sie an ein altes, zerfallenes Gemäuer gekommen, die Amme holte ein weißes Stäbchen aus einem hohlen Baumstamme, da schwirrten plötzlich Fledermäuse hervor und schlugen mit den Flügeln in den Zweigen, eine Schlange fuhr rasch zwischen das Gestein, unter dem sie eine dicke Kröte mit großen, rötlichen Augen ansah. »Hoho, bist du auch da, Großmutter«, lachte die Alte und schien lustig auf zigeunerisch mit den Tieren zu sprechen. Darauf tauchte sie Hände und Stab in einen Topf, daß sie hell leuchteten, und beschrieb unverständlich murmelnd einen feurigen Kreis, bei dessen grüngoldenem Glanz die Eidechsen neugierig im Grase hervorschlüpften. Die Gräfin stand mitten drin, es war ihr wie im Traume, als fingen die Blumen, Büsche und Wälder in der stillen Runde leise zu singen an, Johanniswürmchen zogen leuchtend um ihr Haupt, so sah sie mit tiefer, tiefer Lust vom Berg über die mondbeschienene Gegend und in den weiten, gestirnten Himmel hinein. – Die Amme aber schien in großer Unruhe, die Schweißtropfen standen auf ihrer Stirn. »Siehst du noch immer nichts?« fragte sie manchmal leise dazwischen. Aber nur ein Hund bellte aus dem fernen Dorf, dann war alles wieder still, die Gräfin hielt den Atem an vor Erwartung. Auf einmal fuhren beide zusammen – ein fremder Mann, dicht im Mantel verhüllt, trat plötzlich in der Ferne zwischen den Bäumen hervor. »Um Gottes Willen!« rief die Amme und flüsterte noch etwas in der höchsten Angst. Aber die Gräfin, wie ein Falk in den Lüften hängend, stürzte mit unmenschlicher Lust schon auf ihre Beute. Der Fremde erschrak heftig, erholte sich aber, da er ein Weib vor sich erblickte. Sie sah ihn groß an, sie kannte ihn nicht. Auf ihre Frage: wo er hin wolle, erwiderte er zögernd und sichtbar verwirrt, er wolle der schönen, jungen Gräfin ein Ständchen bringen. Der Wind schlug ein wenig seinen Mantel auf, da fiel es ihr seltsam aufs Herz, daß ein französischer Offizier, doch sagte sie nichts, aber ihre Blicke gingen scharf seitwärts in die Dunkelheit, denn es war ihr, als hörte sie etwas heimlich durch den Garten huschen und Pferde schnauben in der Ferne. – »Kannst du mir die Fenster zeigen, wo sie schläft?« sagte der Fremde wieder, und da sie ihm gefiel, umschlang er sie mit einem Arme. Die Gräfin besann sich einen Augenblick. »Warum nicht!« sagte sie dann schnell, »wenn Ihr mir Euren schönen Ring gebt zum Lohne; aber Euren Mantel müßt Ihr mir borgen, damit man mich nicht erkennt.« Der verliebte Offizier hing ihr selbst den Mantel um und meinte dabei, ihre aufgeringelten Locken sähen wie Schlangen aus bei Nacht. Sie aber hatte schon ganz andere Gedanken, und als er eben den Ring vom Finger zog, ergriff sie rasch ein Pistol, das er unter dem Rock auf der Brust trug, und stieß ihn damit rücklings von der Rampe, auf der sie standen. – »Sie ist im Garten, greift die kleine Hexe« rief jetzt eine Stimme tiefer unten. Da drückte sie schnell ihr Pistol ab und: »Herr Jesus!« hörte man unten dieselbe Stimme verhallen. Dann, sich in den Mantel wickelnd, rief sie hinab: »Mir nach, sonst seid ihr alle verloren!«
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