Fortunat trat mit dem Maler hinein und begrüßte seine lustigen Reisegefährten, die vor Freuden auch nicht mehr schlafen konnten und sich hier nach jahrelangem, dunklem Umhertreiben in den Dachstübchen kleiner Städte sehr behaglich und laut in dem ungewohnten Glanze sonnten. Ein großer Saal mit Stuckverzierungen, verblichenen Tapeten und einem altväterischen Billard in der Mitte diente ihnen zum Versammlungsplatz, und wenngleich die Boursen des Billards zum Teil vom Zahn der Zeit schon abgenagt waren, so hatten die erfindsamen Geister doch sogleich ihre eigenen, ohnedies ziemlich überflüssigen Geldbeutel daran geheftet, und schnitten ihre Karoline mit mehr Behagen als Geschicklichkeit. Nur Kordelchen erwies sich als Meisterin, wobei sie, in gewandten Stellungen über der grünen Tafel schwebend, ihr zierliches Figürchen zu zeigen willkommene Gelegenheit hatte.
Der enthusiastische Maler begann sogleich eine Partie mit ihr, und Fortunat wollte eben Lotharion aufsuchen, den er in der Gesellschaft vermißte, als der sonst friedfertige Komiker Fabitz plötzlich mit einem seltsamen jungen Manne, mit welchem er draußen in Zank geraten, in den Saal hereinstürzte. Der junge Mensch trug die altdeutsche Tracht, deren verschossenes Schwarz aber schon bedeutend ins Gräuliche spielte; lange, grobe Haare hingen ihm von beiden Seiten bis über die Schultern herab und gaben dem langen, eckigten Gesicht ein gewisses antiquitätisches Ansehen. Es ergab sich, daß er gleichfalls ein Maler, namens Albert , war, der auf seiner Rückreise von Rom hier seit einiger Zeit Beschäftigung und günstige Aufnahme gefunden. Dieser hatte nun kaum in Erfahrung gebracht, daß bei der eben angekommenen Gesellschaft ein Herr Fabitz den Kasperl zu spielen pflege, als er sogleich mit wahrem Missionarieneifer auf den Unglücklichen losging und ihm über das Unwürdige, Verkehrte und daher Unhaltbare seines Kunstgewerbes die gemessensten Vorstellungen machte. Er sprach viel vom ernsten Norden, wo die edlen Eichen höherer Bildung solch niederes Unkraut gar nicht aufkommen ließen, ja eine norddeutsche Zunge, wie die seinige, entsetzte sich schon vor dem barbarischen Laute: Kasperl! Fabitz dagegen meinte, er kenne zwar von den nordischen Zungen bloß die geräucherten, die langen, norddeutschen Kaspars aber seien wahrscheinlich nur zu langweilig, um auf das Theater gebracht zu werden. – Zuletzt aber, da ihm die ganze Erscheinung des Norddeutschen etwas Neues war, überwältigte ihn sein Naturell. Unwillkürlich nahm er nach und nach, Zorn und Streitpunkt vergessend, die wunderliche Haltung, Gesicht und Stimme seines Gegners, der in seinem fanatischen Eifer nichts davon merkte, selber an und focht so verzweifelt in aufgeschnappten, hochtrabenden Sentenzen, daß sein Gegner ganz konfus wurde. – Kordelchen hatte schon lange vom Billard zugehorcht. »Allerliebster Narr«, rief sie nun hinzuspringend aus und gab ihm einen herzhaften Kuß. »Pfui! Wenn er nur nicht so häßlich wäre!« sagte sie dann, sich den Mund schnell abwischend.
Währenddes hatte sich, ohne von dem Streit Notiz zu nehmen, ein kurzer, runder Mann zu Fortunaten gesellt, der sich ihm als den fürstlichen Schulrat vorstellte, und in welchem er sogleich den dicken Schützen wiedererkannte, dem sie gestern vom Felsen geholfen. Fortunat wußte gar nicht, wie ihm geschah, da der Kleine auf einmal sehr gelehrt von Poesie, Kunst und Religion zu sprechen anfing und sich endlich angelegentlich erbot, ihn in den wenigen Augenblicken der Muße, die ihm blieben, mit den mancherlei Merkwürdigkeiten des Orts bekannt zu machen. Kaum hatte der kämpfende Maler Albert den Schulrat erblickt, als er vornehm den Streit abbrach und sich zu ihnen wandte. – »Vortrefflich«, sagte der Schulrat, sich an Fortunats Arm hängend, »so geleite ich Sie gleich zu einem Götterfrühstück, womit ich mich jeden Morgen für meine Berufsgeschäfte zu stärken pflege.« – So schritten sie eilig durch einen langen Korridor zu einer schweren, eichenen Tür, die Albert mit einer gewissen Feierlichkeit öffnete. Es war sein Atelier, ein hohes, ritterliches Gemach, an dessen schmuckloser Hauptwand ein großes, mit der Jahreszahl 1813 bezeichnetes Schwert hing, um das sich ein verwelkter Eichenkranz wand. »Das ist mein treuer Reisegefährte«, sagte Albert zu Fortunat, »und wenn mich schlaffe Ruh oder weichliche Lust überschleichen wollen, blick ich die Eisenbraut an und gedenke der ernsten, großen Zeit.« – »Ach, das ist schon eine alte Geschichte!« entgegnete Fortunat lachend. – »Sind Sie damals mit zu Felde gewesen?« fragte der Maler etwas spitzig. – »Freilich«, erwiderte jener, »das versteht sich ja aber ganz von selbst.«
Inzwischen befand sich der Schulrat schon mitten unter Alberts Arbeiten, die in dem Gemach umherstanden und von dem erstaunenswerten Fleiße des Malers zeugten. Da waren die ungeheuersten Anstalten zur Kunst: Gliederpuppen, sorgfältig gefaltete Mäntel, Modelle und Büsten, dazwischen mehrere vollendete Bilder, Historienstücke aus der antiken Heroenzeit von sehr zusammengesetzter, studierter und nicht leicht faßlicher Komposition. »Göttlich!« rief der Schulrat einmal über das andere aus, während er mit Kennermiene beschäftigt war, jedes Bild genau in das rechte Licht zu stellen. »Sehen Sie den ätherischen Hauch des Inkarnats, die Perspektive, diesen klassischen Ausdruck!« – »In der Tat, ein philosophischer Pinsel«, erwiderte Fortunat. Denn diese anmaßlichen, affektierten Heldengestalten voll Männerstolz und Männerwürde wollten ihm nicht im mindesten behagen, und die Jungfrauen mit ihrer langgesstreckten, anmutlosen Tugendlichkeit kamen ihm gar wie gemalte Begriffe der Jungferschaft vor.
»Nun, ich muß mich nur wieder mit Gewalt losreißen«, sagte endlich der Schulrat, seinen Hut ergreifend, »ernstere Gesschäfte rufen mich. – Ein Genie!« flüsterte er, im Fortgehen auf Albert deutend, Fortunaten zu. – »Ein tiefer, umfassender Geist!« sagte Albert, als der Schulrat verschwand.
Fortunaten aber hatte unterdes eines von den kleinern Bildern angezogen. Man sah Rom in der Ferne mit seinen phantastischen Trümmern und Palästen in der vollen Glut des südlichen Abendhimmels. Im Vorgrunde, von Rom fort, schritt einsam durch das schon dunkelnde, öde Feld ein einzelner Mann mit antikem Faltenwurf des Mantels und feierlich ernster Miene, an der Fortunat sogleich den Maler selbst erkannt hätte, wenn er auch nicht zum Überfluß noch mit dem obengedachten Schwerte vom Jahre 1813 umgürtet gewesen wäre. – »Aber warum in aller Welt kehren Sie dieser leuchtenden Wunderpracht hier so eilfertig den Rücken?« fragte er erstaunt. – »Dieses Bild«, erwiderte Albert, mit seinem allerlängsten Gesicht, »bezeichnet eigentlich die dunkle Führung überhaupt, die in meinem Leben waltet. Rom ist herrlich, und ich nahte voll Ehrfurcht den alten Heldenmalen. Aber das leichtsinnige Geschlecht und das Klingeln der Bonzen über den Gräbern versunkener Größe störte und empörte mich. Ich konnte mich den Anmutungen des Aberglaubens, auch nur zum Scheine, nicht gefällig erweisen und hatte beständig Verdruß. Dazu kam, daß das Geschick meines deutschen Vaterlandes, wo eine neue, große Zeit sich ausgebärt, heimlich an meinem Herzen fraß, ich hatte nirgends Ruhe. Meine Kameraden gefielen sich dort bald höchlichst – ich aber ermannte mich zur rechten Zeit und flüchtete vor den gleißenden Schlingen doppelter Knechtschaft nach dem ernsten, heimatlichen Norden.«
»Norden?!« – rief Fortunat erschrocken über dieses plötzlich wiederkehrende Lieblingsthema des Malers aus und griff hastig nach seinem Hute. Albert, welcher dies für eine Aufwallung übereinstimmender Empfindung halten mochte, drückte ihm stumm die Hand, aber mit so seltsamer Kreuzung der Finger, daß es Fortunat sogleich für das heimliche Zeichen irgendeines ihm fremden Bundes erkannte. Fortunat besann sich nicht lange, sondern erwiderte den Druck, zu Alberts Verwunderung, mit noch abenteuerlicheren Handgriffen und stürzte dann ins Freie hinaus.
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