Franz-Michael-Felder-Archiv
Jahrbuch
Franz-Michael-Felder-Archiv
der Vorarlberger Landesbibliothek
22. Jahrgang 2021
Felder 2021 Felder 2021
„Eine unvergessliche Erfahrung“. David Henry Wilson im Gespräch mit Dominik Denk
WERNER NELL
Literatur und Sozialreform auf dem Lande
SOLVEJG NITZKE
Das Versprechen des ‚Bauerndichters‘, oder: Franz Michael Felder ökologisch lesen
JELKO PETERS
Der Sinn des Lebens. Eine Betrachtung zu Felders Autobiografie aus der individualpsychologischen Perspektive Alfred Adlers
BERNHARD FETZ
Bauer, Schriftsteller, Beamter und Klassiker. Felders Aus meinem Leben und Grillparzers Selbstbiographie als herausragende literarische Ausdrucksformen des österreichischen 19. Jahrhunderts
DAVID FRANZOI
Im Dialog. Von Felders Magerhuber zu Moosbruggers Kultur=Gesprächen
ULRIKE LÄNGLE
Sherlock Holmes in Schoppernau (Auszug)
„Die Felder-Rezeption geht immer weiter.“ Maximilian Lang, Bérénice Hebenstreit und Ralph Blase im Gespräch über Maximilian Langs Stück Sprich nur ein Wort
Aufsätze
ROGER VORDEREGGER
Das Gedicht als Essay. Zur Lyrik Oscar Sandners
ROGER VORDEREGGER
Innigkeit als Utopie. Hannes Grabhers Mundartgedichte
Bodensee-Literaturpreis 2020
ULRIKE LäNGLE
Laudatio auf Monika Helfer
MONIKA HELFER
Dankesrede zum Bodensee-Literaturpreis 2020
Bericht
Jahresbericht des Franz-Michael-Felder-Archivs 2020
Anhang
Liste lieferbarer Bücher und CDs
Beiträger/-innen
Der Dramatiker Maximilian Lang hat sich unter dem Titel Sprich nur ein Wort mit Franz Michael Felder beschäftigt. Die Uraufführung seines Stücks am Vorarlberger Landestheater haben wir zum Anlass genommen, um Felders Werk erneut zu befragen, neue Perspektiven zu diskutieren und neue Lesarten vorzustellen. Die folgenden Aufsätze dokumentieren die internationale Tagung zu Leben und Werk von Franz Michael Felder, die vom 12. bis 14. April 2021 unter dem Titel FELDER 2021. Neue Lesarten und Perspektiven online stattgefunden hat.
Felder 2021
„Eine unvergessliche Erfahrung“. David Henry Wilson im Gespräch mit Dominik Denk
Unter dem Titel A Life in the Making erschien im Februar 2021 die von David Henry Wilson angefertigte Übersetzung von Felders Autobiografie Aus meinem Leben bei Pushkin Press in London. Ich hatte das Vergnügen, David Henry Wilson bei der Durchsicht seiner Rohfassung zu unterstützen und Licht in einige der obskureren Passagen zu bringen. Über diese Arbeit, die David und mich fast ein halbes Jahr lang einen sehr regen E-Mail-Verkehr führen ließ, sprachen wir mit Jürgen Thaler am 12. April 2021 anlässlich der Eröffnung der Felder-Tagung, coronabedingt via Videokonferenz. Um das auch schriftlich festzuhalten, bat mich Jürgen, im Nachhinein ein Interview mit David zu führen, über die Übersetzung und wie sie zustande kam. Ich freute mich über die Gelegenheit, wieder in kürzeren Abständen mit David in Kontakt zu sein, berichtete ihm von dem Vorhaben, schlug einen Termin und einen Modus vor und hängte nur ein paar Beispielfragen an: „Was bedeutet Felder für Dich, was bedeutet Aus meinem Leben für Dich?“ – doch David stieg direkt in das Gespräch ein:
DAVID HENRY WILSON: Was Du über unser Gespräch geschrieben hast, leuchtet mir ein, aber ich werde trotzdem versuchen, Deine erste Frage jetzt zu beantworten, denn sie ist bei weitem die schwierigste für mich: „Was bedeuten Felder und sein Buch für mich?“ Es ist fast unmöglich, Klischees hier zu vermeiden. Wie bei jeder großen literarischen Erfahrung fühle ich mich bereichert: Ich habe einen außerordentlich interessanten Mann kennengelernt, seine tiefsten Gedanken und Gefühle mit ihm gedacht und gefühlt. Was macht ihn so außerordentlich interessant? Seine Situation in dieser abgeschlossenen Gemeinschaft, seine Sensibilität, seine Konflikte mit sich selbst und mit anderen und mit der Gesellschaft und den Traditionen und Haltungen seiner Zeit … und die absolute Ehrlichkeit, mit der er alles beschreibt – vor allem die eigenen Schwächen und Widersprüche. Er versucht nicht (oder selten), sich zu rechtfertigen: Seine Geschichte ist eine lange Suche nach der Wahrheit, der Gerechtigkeit, und einem Gleichgewicht für sich selbst und für die Menschheit im Allgemeinen. Es geht hoch, es geht tief, er lernt und vor allem er liebt. All das erfahre ich mit ihm. Und ich weiß, das was er geschrieben hat, ist in der wahren Welt passiert – es ist keine Fiktion. Die reine Tatsache, dass er den ersten Teil mit der Hochzeit beendet, finde ich fast unerträglich rührend, denn dieser gute Mann wollte uns etwas Positives am Ende schenken, obwohl das Tragische schon passiert war. Und wir wissen natürlich, dass er selbst kurz nach dem Schreiben gestorben ist, und so hat das Ende unseres Buchs noch eine Dimension der Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Die ganze wahre, rührende, gelegentlich sogar amüsante, romantische, realistische, deprimierende, erhebende, ichbezogene, selbstlose Geschichte ist unvergesslich. Das wäre vielleicht eine gute Zusammenfassung meiner Antwort auf Deine Frage: Was bedeuten Felder und seine Autobiografie für mich? Eine unvergessliche Erfahrung.
DOMINIK DENK: Bist Du an diese Übersetzung anders herangegangen als an andere Werke?
DAVID HENRY WILSON: Nein, denn bei mir handelt es sich immer darum, die genauen Absichten des Schriftstellers zu suchen, und dann so treu wie möglich diese Absichten zu erfüllen. (Selbstverständlich spielt dann die Subjektivität eine wichtige Rolle, und deshalb war Deine Sachkenntnis allwichtig, weil Felders Sprache und verschiedene Anspielungen manchmal für mich unverständlich waren. Ich will Dich nicht in Verlegenheit bringen, aber ohne Deine Beiträge wäre die Übersetzung gar nicht möglich gewesen.) Dieses Prinzip gilt natürlich für allerlei Bücher. Bei Felder war es von Anfang an klar, dass er seine Geschichte 100% ehrlich und offen erzählen wollte, auch wenn er sich selbst analysierte und kritisierte. Deshalb musste der Stil der Übersetzung genauso direkt und spontan wirken.
DOMINIK DENK: Am Beginn unserer Zusammenarbeit musste ich Deinen Zugang zum Übersetzen erst verstehen, denn vieles, was ich zuerst als Fehler interpretiert hatte, war natürlich Absicht. Dein größtes Ziel schien mir immer, die Leser*innen so wenig wie möglich spüren zu lassen, dass sie gerade eine Übersetzung lesen.
DAVID HENRY WILSON: Es ist meines Erachtens absolut notwendig, dass die Leser*innen den Text wie einen originalen englischen Text lesen können. Sobald die Sprache sie vom Inhalt ablenkt, ist die Übersetzung ein Misserfolg. Das ist aber nicht „das größte Ziel“. Es ist unentbehrlich, um das größte Ziel zu erreichen, denn es ist bestimmt nicht die Absicht des Autors, die Leser*innen vom Inhalt abzulenken! Das größte Ziel ist gerade NICHTS zu verlieren, aber ein englisches Äquivalent zum deutschen Text zu finden.
DOMINIK DENK: Das ist aber nicht immer so einfach, und manchmal schier unmöglich. Auf erklärende Fußnoten hast Du aber dieses Mal verzichtet.
DAVID HENRY WILSON: In einem rein akademischen Buch habe ich keine Hemmungen, Fuß- oder Endnoten einzubringen. Manchmal sind Akademiker*innen ganz stolz auf ihre Fußnoten, denn sie verbreitern die Kenntnisse der Leser*innen und zeigen auch, wie gründlich der Autor sein Thema erforscht hat (das meine ich nicht ironisch). Die Fußnoten sind dann keine Ablenkung, sondern eine Erweiterung. Dasselbe könnte auch für eine Biografie gelten, wenn es nur um Fakten geht. Aber wenn Du eine Geschichte erzählst, ist die Situation ganz anders, und Felder erzählt seine Geschichte. Wenn jemand spricht, ist es unhöflich zu unterbrechen, und jede Fußnote ist eine Unterbrechung. Deshalb wollte ich mit Deiner Hilfe subtile Erklärungen oder Vereinfachungen 1innerhalb des Textes einbringen oder, wenn irgendeine Anspielung völlig unverständlich war, dann lieber streichen als die Leser*innen vom allwichtigen Ziel des Satzes abzulenken 2. Ich hoffe, dass wir gar nichts Unvollständiges im Text hinterlassen haben. Wenn die Leser*innen fragen, „Was soll das bedeuten?“, dann hab’ ich mich geirrt.
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