An einem schönen Sommerabende fuhr ich einmal in Venedig auf dem Golf spazieren. Der Halbkreis von Palästen mit ihren still erleuchteten Fenstern gewährte einen prächtigen Anblick. Unzählige Gondeln glitten aneinander vorüber über das ruhige Wasser, Gitarren und tausend weiche Gesänge zogen durch die laue Nacht. Ich ruderte voll Gedanken fort und immerfort, bis nach und nach die Lieder verhallten und alles um mich her still und einsam geworden war. Ich dachte an die ferne Heimat und sang ein altes, deutsches Lied, eines von denen, die ich noch als Knabe Angelina gelehrt hatte. Wie sehr erstaunte ich, als mir da auf einmal eine wunderschöne weibliche Stimme von dem Altan eines Hauses mit der nächstfolgende Strophe desselben Liedes antwortete. Ich sprang sogleich ans Ufer und eilte auf das Haus zu, von dem der Gesang herkam. Eine weiße Mädchengestalt neigte sich zwischen den Orangenbäumen und Blumen über den Balkon herab und sagte flüsternd: Rudolf! Ich erkannte bei dem hellen Mondenscheine sogleich Angelina. Sie schien noch mehr sprechen zu wollen, aber die Tür auf dem Balkon öffnete sich von innen, und sie war verschwunden.
Verwundert und entzückt in allen meinen Sinnen, setzt' ich mich an einen steinernen Springbrunnen, der auf dem weiten, stillen Platze vor dem Hause stand. Ich mochte ohngefähr eine Stunde dort gesessen haben, als ich die Glastür oben leise wieder öffnen hörte. Angelina trat, sich furchtsam auf dem Platze umsehend, noch einmal auf den Balkon heraus. Ihre schönen Locken fielen auf den schneeweißen, nur halbverhüllten Busen herab, sie war barfuß und im leichtesten Nachtkleide. Sie erschrak, als sie mich wirklich noch unten erblickte. Sie legte den Finger auf den Mund, während sie mit der andern Hand auf die Tür deutete, lehnte sich stillschweigend über das Geländer und sah mich so lange Zeit unbeschreiblich lieblich an. Darauf zog sie ein Papierchen hervor, warf es mir hinab, lispelte kaum hörbar: gute Nacht! und ging zaudernd wieder hinein. Auf dem Zettel stand mit Bleistift der Name einer Kirche aufgeschrieben.
Ich begab mich am Morgen zu der benannten Kirche und sah das Mädchen wirklich zur bestimmten Stunde mit einer ältlichen Frau, die ihre Vertraute schien, schon von weitem die Straße heraufkommen. Ich erschrak fast vor Freuden, so überaus schön war sie geworden. Als sie mich ebenfalls erblickte, wurde sie rot vor Scham über die vergangene Nacht und schlug den Schleier fest über das Gesicht. Auf dem Wege und in der Kirche erzählte sie mir nun ungestört, daß sie schon lange wieder in Italien zurück seien, daß ihr Vater, da ihre Mutter bei ihrer Geburt in Todesnot war, das feierliche Gelübde getan, sie, Angelina, als Klosterjungfrau dem Himmel zu weihn, und daß der dazu bestimmte Tag nicht mehr fern sei. Das verliebte Mädchen sagte dies mit Tränen in den Augen.
Wir kamen darauf noch oft, bald in der Kirche, bald in der Nacht am Balkon zusammen; der Tag, wo Angelina aus dem väterlichen Hause fort ins Kloster sollte, rückte immer näher heran, und wir verabredeten endlich, miteinander zu entfliehn.
In der Nacht, die wir zur Flucht bestimmt hatten, trat sie, mit dem Notwendigsten versehen und reich geschmückt wie eine Braut, hervor. Die heftige Bewegung, in der ihr Gemüt war, machte ihr Gesicht wunderschön, und ich sehe sie in diesem Zustande, in diesem Kleide, noch wie heute vor mir stehn. Sie war noch in ihrem Leben nicht um diese Zeit allein auf der Gasse gewesen, sie wurde daher noch im letzten Augenblick von neuem schüchtern und halb unschlüssig; sie weinte und fiel mir um den Hals. Ich faßte sie endlich um den Leib und trug sie in den Kahn, den ich im Golf bereit hielt. Ich stieß schnell vom Ufer ab, das Segel schwoll im lauen Winde, der Halbkreis der erleuchteten Fenster versank allmählich hinter uns, und wir befanden uns allein auf der stillen, unermeßlichen Fläche.
Die Liebe hatte sie nun ganz in meine Gewalt gegeben. Sie wurde nun ruhig. Innerlichst fröhlich, aber still, saß sie fest an mich gedrückt und sah mit den weit offenen, sinnigen Augen unverwandt ins Meer hinaus. Ich bemerkte, daß sie oft heimlich zusammenschauerte, bis sie endlich ermüdet einschlummerte.
Da rauschte plötzlich ein Kahn mit mehreren Leuten und Fackelschein vorüber nach Venedig zu. Der eine von ihnen schwang eben seine Fackel und ich erblickte bei dem flüchtigen Scheine den unbekannten, wunderbar mit mir verknüpften Fremden wieder, der mitten im Kahne aufrecht stand. Ich fuhr unwillkürlich zusammen, und höchst seltsam, obschon die ganze Erscheinung ohne das mindeste Geräusch vorübergeglitten war, so wachte doch Angelina in demselben Augenblicke von selber auf und sagte mir erschrocken, es habe ihr etwas Fürchterliches geträumt, sie wisse sich nun aber nicht mehr darauf zu besinnen. Ich beruhigte sie und sagte ihr nichts von dem Begegnis, worauf sie denn bald von neuem einschlief.
Ein lauter Freudenschrei entfuhr ihrer Brust, als sie nach einigen Stunden die hellen Augen aufschlug, denn die Sonne ging eben prächtig über der Küste von Italien auf, die in duftigem Wunderglanze vor uns da lag. Es war der erste überschwengliche Blick des jungen Gemütes in das freie, lüstern lockende, reiche, noch ungewisse Leben. Wir stiegen nun ans Land und setzten unsre Reise zu Pferde nach Rom fort. Dieses Ziehen in den blauen, lieblichen Tagen über grüne Berge, Täler und Flüsse, rollt sich noch jetzt blendend vor meiner Erinnerung auf, wie ein mit prächtig glänzenden, wunderbaren Blumen gestickter Teppich, auf dem ich mich selbst als lustige Figur mit buntgeflickter Narrenjacke erblicke.
In Rom nisteten wir uns in einem entlegenen Quartiere der Stadt ein, wo uns niemand bemerkte. Wir führten einen gar wunderlichen, ziemlich unordentlichen Haushalt miteinander, denn Angelina gewöhnte sich sehr bald auch an das freie, sorglose Künstlerwesen. Sie hatte, gleich als wir ans Land stiegen, Mannskleider anlegen müssen, um nicht erkannt zu werden, und ich gab sie so für meinen Vetter aus. Die Tracht, in der sie mich nun auch frei auf allen Spaziergängen begleitete, stand ihr sehr niedlich; sie sah oft aus wie Correggios Bogenschütz. Sie mußte mir oft zum Modell sitzen, und sie tat es gern, denn sie wußte wohl, wie schön sie war. Damals wurden meine Gemälde weniger hart, angenehmer und sinnreicher in der Ausführung.
Indes entging es mir nicht, daß Angelina anfing, mit der Mädchentracht nach und nach auch ihr voriges, mädchenhaftes, bei aller Liebe verschämtes Wesen abzulegen, sie wurde in Worten und Gebärden kecker, und ihre sonst so schüchternen Augen schweiften lüstern rechts und links. Ja, es geschah wohl manchmal, wenn ich sie unter lustige Gesellen mitnahm, mit denen wir in einem Garten oft die Nacht durchschwärmten, daß sie sich berauschte, wo sie dann mit den furchtsam dreisten Mienen und glänzend schmachtenden Augen ein ungemein reizendes Spiel der Sinnlichkeit gab.
Weiber ertragen solche kühnere Lebensweise nicht. Ein Jahr hatten wir so zusammen gelebt, als mir Angelina eine Tochter gebar. Ich hatte sie einige Zeit vorher auf einem Landhause bei Rom vor aller Welt Augen verborgen, und auf ihr eigenes Verlangen, welches meiner Eifersucht auffiel, blieb sie nun auch noch lange nach ihrer Niederkunft mit dem Kinde dort. -
Eines Morgens, als ich eben von Rom hinkomme, finde ich alles leer. Das alte Weib, welches das Haus hütete, erzählt mir zitternd: Angelina habe sich gestern abend sehr zierlich als Jäger angezogen, sie habe darauf, da der Abend sehr warm war, lange Zeit bei ihr vor der Tür auf der Bank gesessen und angefangen so betrübt und melancholisch zu sprechen, daß es ihr durch die Seele ging, wobei sie öfters ausrief: Wär' ich doch lieber ins Kloster gegangen! Dann sagte sie wieder lustig: Bin ich nicht ein schöner Jäger? Darauf sei sie hinaufgegangen, habe, während schon alles schlief, noch immerfort Licht gebrannt und am offenen Fenster allerlei zur Laute gesungen. Besonders habe sie folgendes Liedchen zum öftern wiederholt, welches auch mir gar wohlbekannt war, da es Angelina von mir gelernt hatte:
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