Meriban hatte nun ihren Rhythmus gefunden. Sie flog dahin, nahm die Hürde ohne Mühe und setzte ihren Lauf fort, als wäre er nie durch einen Sprung unterbrochen worden. »Weiter, Meriban, so ist’s gut, meine Schöne, lauf, lauf!« trieb er sein Pferdchen nun fast zärtlich an, denn das Tier hatte durch den weiten, eleganten Sprung so viel Raum gewonnen, daß es sich nun auf fast gleicher Höhe mit Beleman befand, einem etwas gedrungenen Fuchs-Wallach. Aber Beleman ist nicht schnell und auch nicht ausdauernd genug, um den Vorteil seines guten Starts zu halten oder gar auszubauen, dachte Fuxfell. Und richtig, just in dem Augenblick, als Beleman zum Sprung über den Graben ansetzte, hatte auch Meriban diesen erreicht, und wieder flog sie, fast ohne der sanften Anweisungen ihres Reiters zu bedürfen, in weitem Bogen über das Hindernis. Als sie, leicht wie eine Feder, ihren Lauf wieder aufnahm, hörte Fuxfell hinter sich das platschende Geräusch von Wasser. Er blickte sich um und sah, wie Freifrau Firisia von Marudret völlig durchnäßt aus dem Graben stieg, während Beleman verzweifelt versuchte, das Ufer zu erklimmen. Nun gut, nur noch zwei, und das Rennen ist noch lange nicht vorüber, dachte Fuxfell und fühlte, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen.
Die Rennstrecke war so angelegt, daß drei Hindernisse auf einer abgeflachten Kreisbahn aufgebaut waren: Hürde, Graben, Hecke. Diese Bahn mußte zweieinhalbmal umrundet werden, so daß der Reiter acht Hindernisse überwunden hatte, wenn er sein Pferd auf den geraden Abzweig lenkte, der zum dreihundert Schritt entfernten Ziel führte und auf dessen halber Strecke sich das letzte und schwierigste Hindernis befand, die Hecke mit dem Wasserbassin dahinter.
Das nächste Hindernis, die Hecke, rückte näher, und Sindar hatte nun endgültig die Führung übernommen – er war Praiosblume um fast eine Länge voraus. Aber der Abstand zwischen Meriban und Sindar hatte sich nicht vergrößert, nein, er schrumpfte, er schrumpfte ganz eindeutig. »Oh, Meriban, meine Kluge, meine Schöne, ich liebe dich!« rief Fuxfell begeistert; für einen kurzen Moment spürte er ein Auflodern hitziger Leidenschaft. Und wieder war es, als hätte das Tier seine Worte verstanden: Ein winziger Schauder durchzuckte die Stute, und sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen: ›Ich liebe dich auch, mein süßer Herr, und dies ist nur ein Spiel, ein schönes, wildes Spiel, und wir werden es gewinnen.‹
Als zuerst Sindar und kurz darauf Praiosblume über die Hecke setzten, sah Fuxfell, daß beide Tiere die obersten Zweige gestreift hatten. Das durfte Meriban nicht passieren! Der plötzliche peitschende Schmerz an ihren empfindlichen Fesseln würde das empfindsame Tier so sehr verwirren, daß es womöglich aus dem Takt käme. »Keine Angst, meine Schöne, du schaffst es«, flüsterte er ihr zu, als er mit einem kurzen Ruck am Zügel die Stute zum Sprung ermunterte. Doch die kluge Meriban hatte das Kommando ihres Reiters schon im voraus erahnt und setzte ihren Sprung so hoch an, daß – als sie auf dem Scheitelpunkt ihrer Flugbahn elegant die Hinterläufe anzog – mehr als ein Spann Raum zwischen diesen und der Hecke blieb.
Als die zweite Runde begann, war Fuxfell sicher, das Rennen zu gewinnen. Der Abstand zu Praiosblume hatte sich so weit verringert, daß Meriban ihn noch vor dem Graben einholen würde. Zwar ging ihr Atem inzwischen stoßweise, und das Fell ihres Halses war naß von Schweiß, aber Fuxfell kannte ihre Zähigkeit und Ausdauer. Nein, vor dem Ziel würde sie nicht aufgeben! Zunächst aber galt es, wiederum die Hürde zu überwinden. Sindar nahm sie ohne Mühe, kurz nach ihm setzte Praiosblume zum Sprung an, doch was war das? Entweder Pferd oder Reiter hatten den Sprung falsch berechnet und zu früh angesetzt. Wie dem auch sein mochte – Praiosblume streifte den oberen Holm der Hürde so heftig, daß er beim Aufsetzen strauchelte, stürzte – und der Baronet von Onjet flog in hohem Bogen auf die Rennbahn, wo er reglos liegenblieb.
Bei Phex, was soll ich tun? Bürschchen, roll dich zur Seite! dachte Fuxfell verzweifelt, als ihm klar wurde, daß der Kopf des Baronets just an der Stelle lag, wo in wenigen Wimpernschlägen Meribans zierliche Hufe aufsetzen würden. Es war zu spät, denn schon spannte sie sich zum Sprung, wie er es ihr halb unbewußt befohlen hatte. Zu spät, zu spät, dachte er, denn nun stieg sie, flog – Fuxfell schloß die Augen – und gab im letzten Augenblick durch eine angestrengte Bewegung ihres Körpers und ihrer Füße dem Sprung eine andere Richtung, so daß sie wenige Spann neben dem Baronet landete.
»Oh, Meriban, mein Kleinod, mein Juwel«, jubelte Fuxfell, »bist nicht nur schön und klug – auch rücksichtsvoll!« Denn als er nun zurückblickte, sah er, wie der Baronet sich mühsam erhob; es war ihm wahrhaftig kein Unbill widerfahren, weder durch den Sturz noch durch Meribans Hufe.
Nun haben wir nur noch einen Gegner, dachte Fuxfell mit grimmiger Freude, und seine Kräfte erlahmten allmählich. In der Tat war es Sindar nicht gelungen, seinen Vorsprung auszubauen, obwohl Meriban durch ihr Ausweichmanöver ein wenig aus dem Rhythmus gekommen war. Den Graben schaffte der Hengst nur knapp, während Meriban weit und elegant hinübersetzte. Und dann, auf der Strecke zwischen Graben und Hecke, gelang es ihr tatsächlich, an Sindar vorbeizuziehen. Fuxfell warf einen Blick auf seine Gegnerin, aber Brinna von Efferdas schaute starr geradeaus, die Brauen gerunzelt und die Lippen fest zusammengepreßt.
Als Fuxfell seine Stute nun auf den Sprung über das nächste Hindernis vorbereitete, wurde ihm klar, daß auch ihre Kräfte nicht unerschöpflich waren. Zwar übersprang Meriban die Hecke ohne Furcht, doch an dem winzigen Schauder, der ihren Körper durchzuckte, spürte er, daß sie die obersten Zweige gestreift haben mußte. »Halt durch, halt durch, meine Schöne, nur noch drei Hindernisse!« rief er ihr zu, aber Meriban antwortete nicht. Ihr ganzer Körper war nun naß von Schweiß, und kleine Schaumfetzen flogen ihr vom Maul.
Bevor sie die Hürde erreichten, blickte Fuxfell sich um: Sindar war um drei Längen zurückgefallen; auch sein Fell glänzte naß, sein Atem flog, und sein Speichel schäumte. Wenn wir erst auf der Geraden sind, ist uns der Sieg gewiß, dachte Fuxfell. Die Anspannung und der in immer greifbarere Nähe rückende Sieg versetzten ihn in einen rauschhaften Zustand, in dem er mehr denn je mit seinem Pferd zur Einheit zu verschmelzen glaubte.
Die Hürde – Meriban nahm sie, touchierte, doch setzte sie auf, ohne zu straucheln. Fuxfell wußte, daß die zierliche Stute Schmerzen litt, doch verscheuchte er den Gedanken, kaum, daß er entstand. Der Graben noch – Meriban setzte über, sicher zwar, doch knapp –, und nun waren sie auf der Geraden, und nur noch ein einziges Hindernis stand zwischen ihnen und dem Sieg.
Ein nie gekanntes Gefühl von Glück und Triumph durchströmte Fuxfell, und als er sich wiederum umblickte und sah, daß Sindar nun dreißig Schritt zurücklag, schrie er laut auf vor Freude. »Oh, Meriban, du schaffst es, wir schaffen es!« rief er, während er sie auf die Hecke zutrieb. Ich kann nicht mehr, mein guter Herr, schien ihr fliegender Atem zu sagen, aber Fuxfell überhörte ihr Flehen. Dies eine, letzte Hindernis mußte sie noch schaffen, einen letzten hohen und weiten Sprung mußte er ihr noch abtrotzen, einmal noch sollte sie all ihre Kräfte sammeln und allen zeigen, was in ihr steckte! Ja, er würde sie zwingen, Hecke und Bassin in einem Satz zu nehmen! Trocken und unbesudelt würde er zur Siegerehrung schreiten! Und seine Schöne sollte so viel Zuckerbrot bekommen, wie sie nur fressen konnte …
Nun war die Hecke auf wenige Schritt heran. Fuxfell maß den Abstand, verstärkte im rechten Moment den Druck seiner Schenkel und riß am Zügel. Und die brave Meriban gehorchte: Kraftvoll stieß sie sich ab, überflog die Hecke wie ein Vogel und dann …
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