Plötzlich packte er Ganimard, der erschreckt aufwachte, am Arm.
»Hören Sie?«
»Ja.«
»Was ist das?«
»Das bin ich, ich schnarche.«
»Aber nein, hören Sie doch …«
»Ah, tatsächlich, es ist die Hupe eines Autos.«
»Und?«
»Und nichts! Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Lupin wie ein Mauerbrecher ein Auto benutzt, um Ihr Schloss zu zerstören. Darum, Herr Baron, zurück auf Ihren Platz. Sie sollten schlafen, wie ich die Ehre habe, es wieder zu tun. Gute Nacht.« Das blieb das einzige Geräusch. Ganimard nahm seinen unterbrochenen Schlaf wieder auf, und der Baron hörte nur noch sein tiefes, regelmäßiges Schnarchen.
Beim Morgengrauen verließen sie ihre Zelle. Ein großer, tiefer Friede, der Friede des Morgens am Ufer des frischen Wassers umgab das Schloss. Cahorn, außer sich vor Freude, und Ganimard, wie immer ruhig und bedächtig, stiegen die Treppe hinauf. Kein Geräusch. Nichts Verdächtiges.
»Was habe ich Ihnen gesagt, Herr Baron? Im Grunde hätte ich nicht annehmen sollen. Ich bin beschämt.«
Er zog die Schlüssel hervor und betrat den Korridor. Zusammengekrümmt auf zwei Stühlen, mit hängenden Armen schliefen die beiden Gehilfen.
»Verdammt noch mal!« grollte der Inspektor.
Im selben Augenblick stieß der Baron einen Schrei aus:
»Die Gemälde! Der Kredenztisch!«
Er stotterte erstickt und wies mit der Hand auf die leeren Plätze, die nackten Wände, aus denen die Nägel herausstachen und die unnützen Stricke herabhingen. Der Watteau, verschwunden! Die Rubens, gestohlen! Die Wandteppiche, abgehängt! Die Vitrinen, ihrer Schmuckstücke beraubt!
»Und mein Ludwig-XVI.-Armleuchter! Und der Leuchter des Kaisers! Und meine Jungfrau aus dem zwölften Jahrhundert!«
Er lief von einer Ecke in die andere, erschüttert und verzweifelt. Er zählte die Kaufpreise auf, rechnete die Verluste zusammen, häufte die Zahlen an, bunt durcheinander in zusammenhanglosen Worten und abgerissenen Sätzen. Er stampfte mit den Füßen auf den Boden, sein Gesicht verzerrte sich krampfhaft, außer sich vor Wut und Schmerz. Man hätte meinen können, er wäre ein ruinierter Mann, der sich nur noch eine Kugel in den Kopf zu jagen brauchte.
Wenn etwas ihn hätte trösten können, dann wäre es der Anblick des dummen Gesichts von Ganimard gewesen. Im Gegensatz zum Baron rührte sich der Inspektor nicht. Er schien versteinert, mit unbestimmtem Blick betrachtete er die Dinge. Die Fenster? Geschlossen. Die Türschlösser? In Ordnung. Keine Spalte in der Decke. Kein Loch im Boden. Die Ordnung war tadellos. Alles musste methodisch nach einem unerbittlich funktionierenden Plan ausgeführt worden sein.
»Arsène Lupin …«, murmelte er niedergeschmettert.
Plötzlich sprang er auf die beiden Gehilfen zu, als ob ihn die Wut und der Zorn endlich doch gepackt hätten, er schüttelte sie wütend und beschimpfte sie lauthals. Sie wachten nicht auf! »Teufel«, sagte er, »sollte zufällig …«
Er beugte sich über sie und betrachtete sie nacheinander aufmerksam. Sie schliefen, aber keinen natürlichen Schlaf.
Er wandte sich zum Baron:
»Man hat sie betäubt.«
»Aber wer?«
»Na, er, zum Donnerwetter! Oder seine Bande, die aber von ihm geführt wurde. Das ist ein Coup nach seiner Art, die erkenne ich wieder.«
»Dann bin ich verloren, nichts zu machen.«
»Nichts zu machen.«
»Aber das ist abscheulich, einfach ungeheuerlich.«
»Reichen Sie eine Klage ein.«
»Was nützt sie?«
»Verdammt! Versuchen Sie es wenigstens, das Gericht hat Möglichkeiten …«
»Das Gericht? Aber Sie sehen ja selbst … In diesem Augenblick, da Sie nach einer Spur suchen, etwas entdecken könnten, rühren Sie sich ja nicht einmal von der Stelle.«
»Bei Arsène Lupin etwas entdecken! Aber, mein lieber Herr, Arsène Lupin hinterlässt nie etwas. Bei Arsène Lupin gibt es keinen Zufall! Ich bin so weit, mich zu fragen, ob er sich in Amerika nicht freiwillig von mir hat verhaften lassen!«
»Also muss ich auf meine Gemälde verzichten, auf alles verzichten! Aber er hat die Perlen aus meiner Sammlung gestohlen. Ich würde ein Vermögen geben, um sie wiederzufinden. Wenn man schon nichts gegen ihn unternehmen kann, soll er wenigstens seinen Preis nennen!«
Ganimard sah ihn scharf an.
»Das ist ein vernünftiges Wort. Sie nehmen es nicht zurück?«
»Nein, nein, nein. Aber warum?«
»Ich habe eine Idee.«
»Was für eine Idee?«
»Wir werden darüber sprechen, wenn die Ermittlungen ergebnislos verlaufen. Nur, ich möchte mit keinem Wort erwähnt werden, wenn Sie Wert darauf legen, dass ich etwas erreiche.«
Und zwischen den Zähnen murmelte er noch:
»Außerdem habe ich wirklich keine rühmliche Figur abgegeben.«
Die beiden Gehilfen kamen nach und nach wieder zu Bewusstsein, ihre Gesichter waren so stumpfsinnig wie die von Menschen, die aus einem hypnotischen Schlaf erwachen. Sie machten erstaunte Augen, versuchten zu verstehen. Als Ganimard sie ausfragte, erinnerten sie sich an nichts.
»Ihr habt doch jemanden sehen müssen.«
»Nein.«
»Denkt mal nach.«
»Nein, nein.«
»Und ihr habt nichts getrunken?«
Sie überlegten, dann sagte der eine von ihnen:
»Doch, ich habe etwas Wasser getrunken.«
»Wasser aus dieser Karaffe?«
»Ja.«
»Ich auch«, erklärte der andere.
Ganimard roch an dem Wasser, probierte es. Es hatte keinen besonderen Geschmack, keinen Geruch.
»Los«, sagte er, »wir verlieren unsere Zeit. Man kann nicht in fünf Minuten die Probleme lösen, die Arsène Lupin stellt. Aber bei Gott, ich schwöre, dass ich ihn erwischen werde. Ich gewinne die zweite Runde. Der Sieg ist mein.«
Am gleichen Tag reichte Baron Cahorn gegen den in der Santé inhaftierten Arsène Lupin Klage wegen schweren Diebstahls ein. Diese Klage bereute der Baron noch oft, als er den Malaquis den Polizisten, dem Staatsanwalt, dem Untersuchungsrichter, den Journalisten und allen Neugierigen, die sich überall dort einschleichen, wo sie nicht sein sollten, ausgeliefert sah.
Die Affäre erregte die Öffentlichkeit. Sie hatte sich unter so besonderen Umständen zugetragen, und der Name Arsène Lupins steigerte die Fantasie so sehr, dass fantastische Geschichten die Spalten der Zeitungen füllten und bei den Lesern Glauben fanden.
Der erste Brief Arsène Lupins, den die Zeitung Echo de France veröffentlichte (niemand erfuhr jemals, wer der Zeitung den Text in die Hand gespielt hatte), jener Brief, in dem der Baron so unverschämt vor dem, was ihn bedrohte, gewarnt worden war, erregte ganz besonders die Gemüter. Sofort wurden fantastische Erklärungen aufgestellt. Man erinnerte an das Vorhandensein der berühmten Kellergewölbe. Und die beeinflusste Staatsanwaltschaft unternahm ihre Ermittlungen in dieser Richtung.
Das Schloss wurde von oben bis unten durchsucht, jeder Stein beklopft. Man prüfte die Täfelungen und die Kamine, die Fensterrahmen und die Deckenbalken. Bei Fackelschein untersuchte man die gewaltigen Kellerräume, in denen die Herren von Malaquis früher ihre Munition und Vorräte aufbewahrten. Selbst das Innere der Felsen wurde durchröntgt. Alles war vergeblich. Nicht die kleinste Spur eines Kellergewölbes wurde gefunden. Es gab keinen geheimen Weg.
Gut, erwiderte man von allen Seiten, aber die Möbel und Gemälde lösen sich nicht wie Gespenster in nichts auf. So etwas wird durch Türen oder Fenster fortgetragen, und die Leute, die das vornehmen, gehen ebenfalls durch Türen oder Fenster ein und aus. Wer sind diese Leute? Wie sind sie hereingekommen? Und wie sind sie wieder fortgegangen?
Die von ihrer Ohnmacht überzeugte Staatsanwaltschaft von Rouen bat um die Unterstützung von Pariser Kriminalbeamten. Herr Dudouis, der Chef des Sicherheitsdienstes, schickte seine besten Polizeispione von der Eisernen Brigade. Er selbst hielt sich zwei Tage im Malaquis auf. Auch er erreichte nicht mehr.
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